Baustelle:Täglich grüßt der Stau auf der A 9

Baustelle: Auf der Baustelle wird in zwei Schichten rund um die Uhr gearbeitet. Sieben Tage die Woche.

Auf der Baustelle wird in zwei Schichten rund um die Uhr gearbeitet. Sieben Tage die Woche.

(Foto: Robert Haas)
  • Seit Mitte April wird auf der A 9 zwischen Allershausen und Dreieck Holledau gebaut.
  • Mit 17 Kilometern ist die Baustelle ungewöhnlich lang. Bis Oktober müssen sich die Autofahrer wohl noch damit abfinden.
  • Die Planer haben sich bewusst für die Variante einer großen Baustelle entschieden, um Zeit zu sparen.

Von Matthias Köpf

Hinter der Behelfsplanke aus Betonteilen geht gar nichts mehr. Helge Clauß zwickt die ohnehin schon schmalen Augen zusammen. Stillstand ist das Letzte, was er hier gebrauchen kann. Dass es stockt und dass die elektronischen Anzeigen von Staugefahr auf Stau springen, das ist hier ganz normal, und deswegen ist er ja auch hier.

Aber gewöhnlich bildet sich der Stau ganz woanders. Da, wo die Autos Richtung München heruntergebremst werden von freier Fahrt auf 120, 100, 80 und schließlich auf 60. Wo sie dann alle den Schlenker auf die verschobenen drei Fahrspuren machen müssen. Aber nicht hier, mitten in der Baustelle. In seiner Baustelle, der Helge Clauß gerade den Puls fühlt, wie der 54-jährige Aichacher seine Kontrollfahrten selber beschreibt. Noch ist alles im Takt, noch wird da Zement ins Erdreich gepresst, dort Asphalt auf den Untergrund gewalzt und dazwischen Diesel in einen Bagger gepumpt. Aber wenn sich in der Lebensader nicht bald der Pfropfen löst, dann setzt auch hier auf der Baustelle der Herzschlag aus.

Die A 9 zwischen München und Nürnberg: Für Helge Clauß und seine Kollegen von der Autobahndirektion Südbayern ist sie die Lebensader, und zwar die wichtigste der gesamten Republik. Sie verbindet Nord- und Süddeutschland, die zwei größten Städte Bayerns, dazwischen liegt Ingolstadt mit Audi und der Chemie, am Dreieck Holledau verzweigt sich die Ader nach Regensburg. Seit Jahren operieren sie nun schon an diesem letzten Stück vor München, während zugleich unablässig die Lastwagen, die Pendler und die Urlauber aus ganz Europa hindurchströmen, Tag und Nacht. Alles hängt an der A 9, sagt Helge Clauß. Und auf der steht jetzt wieder einmal alles still.

Er selbst kommt beim Pulsfühlen noch ein Stückchen voran, denn Clauß ist einer von den wenigen, die ihrem SUV grobes Gelände zumuten. Anders käme er nicht durch die 17 Kilometer lange Baustelle, nicht über die Fräskanten, die hohen Stufen zwischen den einzelnen Asphaltschichten und den grobkörnigen Untergrund der frischen Fahrbahndämme.

Nur an den meisten Brückenbaustellen geht es auch für den Projektleiter nicht weiter, da müsste er auf die verstopfte Fahrbahn ausweichen, genauso wie die Kipplaster, die heißen Asphalt aus dem Mischwerk transportieren, das neben der Autobahn eigens aufgebaut worden ist. Sie bringen auch den alten Fahrbahnbelag weg, der zerkleinert als Frostschutzschicht unter dem frischen Asphalt eingebaut wird.

Der Klassiker: Jemand ist liegengeblieben

Clauß späht über die Betonbarriere, und dann ist alles klar. Ein Wohnwagen-Gespann steht mit eingeschalteter Warnblinkanlage auf der rechten Spur, die Familie ratlos zwischen Kombi und Anhänger. Und dahinter stehen alle anderen: 14 Kilometer Stau, 50 Minuten Wartezeit, wird es bald im Verkehrsfunk heißen, der sich immer wieder in Clauß' sonst stummen Autoradio einblendet.

"Der Klassiker", sagt Clauß. Wenn es kein dänischer Wohnwagen wäre, dann wäre es ein tschechischer Laster mit geplatztem Reifen oder ein Auffahrunfall, weil die Fahrer lieber auf seine Baustelle schauen statt auf das Auto, hinter dem sie schon so lange herrollen. "Und schuld ist dann wieder die Baustelle", sagt Clauß. Dabei gibt es ja durchgehend drei Spuren, so wie vorher auch.

Dass auf denen die ganzen 17 Kilometer lang Tempo 60 gilt, das haben die Bauleute der Autobahndirektion erst gegen ihre Verkehrsabteilung durchsetzen müssen, aber sie sehen sich bestätigt: Es gebe nur halb so viele Unfälle wie bei Tempo 80, das vor zwei Jahren bei den Bauarbeiten in der Gegenrichtung gegolten hat. Und wenn doch etwas passiere, dann sei es meistens nur ein Blechschaden. Außerdem: "Lieber fahre ich mit 60, als ich stehe bei 80", sagt Clauß.

Nebenan stehen sie jetzt. Und natürlich ist daran auch die Baustelle schuld. Denn ohne sie gäbe es rechts einen Pannenstreifen, auf dem das dänische Gespann erst einmal aus dem Weg wäre. Einen solchen Pannenstreifen wird es in Zukunft aber auch nur noch zeitweise geben, denn genau das ist das Ziel der ganzen Arbeiten: Der bisherige Seitenstreifen soll per elektronischer Anzeige als vierte Fahrspur freigegeben werden können, wenn es das Verkehrsaufkommen erfordert.

"Für die Holländer gehört das hier schon zum Urlaubserlebnis"

Das wird oft der Fall sein, denn auf der überlasteten A 9 sind hier im Durchschnitt jeden Tag 100 000 Fahrzeuge unterwegs. Wenn die Prognosen stimmen, werden es in wenigen Jahren 120 000 sein. So viele sind es jetzt an den Spitzentagen, die mit dem Ferienbeginn in Bayern bevorstehen. Nordrhein-Westfalen und ein paar andere Bundesländer sind schon durch, ein weiterer Schwung wird an diesem Wochenende in den Urlaub aufbrechen, doch für den meisten Verkehr zwischen Nürnberg und München sorgen die Bayern selbst. Nach aller Erfahrung von Clauß sind die Urlauber weniger routiniert unterwegs als die Pendler. "Die kennen's jetzt schön langsam, aber für die Holländer gehört das hier schon zum Urlaubserlebnis", sagt er mit Blick auf seine Baustelle.

Baustelle: SZ-Karte

SZ-Karte

Die Pendler und der Güterverkehr leiden nicht nur ein- oder zweimal im Jahr unter der Baustelle, sondern nahezu jeden Tag. Manchmal dauert es eine halbe Stunde länger, manchmal eine ganze - einfach, wohlgemerkt.

Dass auch die halbe Staatsregierung samt Verkehrsminister da durch muss, ist der Autobahndirektion als Landesbehörde wohl bewusst. Ministerpräsident Horst Seehofer hat an der Stelle das bisher einzige Mal in seiner gesamten Amtszeit das Blaulicht auf der Dienstlimousine benutzen lassen, um das niederländische Königspaar doch noch rechtzeitig empfangen zu können. Manch andere Pendler zählen die eigene, im Stau vergeudete Lebenszeit zusammen, rechnen auf einen gewaltigen volkswirtschaftlichen Schaden hoch und fragen, ob all das nicht auch in kürzeren Abschnitten erledigt werden könnte.

In der Tat ist eine 17 Kilometer lange Baustelle ziemlich ungewöhnlich, räumt Josef Seebacher von der Autobahndirektion ein. Dafür arbeite man auch sieben Tage die Woche im Zwei-Schicht-Betrieb rund um die Uhr, was ebenfalls keineswegs Standard ist. In der Tagschicht, wenn bei besserer Sicht die Brücken saniert und der nur 1,5 Zentimeter dicke Flüsterasphalt aufgetragen werden, sind 200 Arbeiter auf der Baustelle. Nachts, wenn die gröberen Fräs-, Erd- und Asphaltarbeiten erledigt werden, sind es nicht viel weniger.

Wenn sie sich nicht lieber von der Holledau über die Dörfer bis zur Auffahrt Allershausen kämpfen, dann bemerken gerade die Pendler, dass auf der Baustelle etwas vorangeht, sagt Josef Seebacher. Er kann das an den E-Mails erkennen, die manchmal bei ihm eintreffen, wenn bei den Verkehrsmeldungen im Radio wieder allzu flapsig dahergeredet wird.

Warum die Variante der langen Baustelle gewählt wurde

Man habe sich schließlich gerade deshalb zu diesem Kraftakt in nur einer Saison entschlossen, um Zeit und Geld zu sparen. Zweimal eine Baustelle einzurichten dauere viel länger und werde viel teurer. So sollen innerhalb von sechs Monaten bis Anfang Oktober 60 Millionen Euro verbaut werden. Zehn Millionen pro Monat, mehr als 300 000 Euro pro Tag, rechnet Projektleiter Clauß vor und schaut auf den Stau. Der bremst auch die Baufahrzeuge aus, die am Ende 185 000 Tonnen Asphalt und jede Menge anderes Material herangefahren haben werden.

Der Aushub wird routinemäßig von Kampfmittelräumern untersucht, die wie die Polizei ständig auf der Baustelle präsent sind und gut zu tun haben. Denn die A 9 ist von 1937 bis 1939 gebaut und im Krieg bombardiert worden. In den Siebzigern kamen zu den zwei Fahrspuren pro Richtung je eine dritte plus Pannenstreifen hinzu, wobei dieser keinen stabilen Unterbau bekommen hat. Zusätzlich zur lange fälligen Sanierung der Autobahn muss jetzt ein solcher Unterbau geschaffen werden, damit der Verkehr auch auf den Seitenstreifen rollen kann.

Die Freigabe der Seitenstreifen, die im Herbst nach vielen Jahren steter Staus und Bauarbeiten durchgehend von München bis in die Holledau möglich sein wird, darf rechtlich nur eine Zwischenlösung sein. Bis es hier acht reguläre Spuren plus Seitenstreifen gibt, werden aber noch Jahrzehnte vergehen - zum Leidwesen vieler Anwohner, denn erst mit einem solchen Ausbau können sie vom Bund auch einen verbesserten Lärmschutz verlangen.

Im Wagen von Clauß springt das Radio an: 17 Kilometer Stau, eine Stunde Wartezeit. Alles aufgrund der Dänen. Irgendwann löst sich auch dieser Stau wieder auf - und damit die Schlangen vor den Dixie-Klos, die eigentlich für die Bauarbeiter bestimmt sind, nun aber von gestrandeten Autofahrern genutzt werden. Die Operation A 9 geht weiter.

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