Bamberg:Tüfteln an der Wurzel

Lange Zeit war es von der Bildfläche verschwunden, nun wird in Bamberg wieder Süßholz geerntet - mühsam, weil das Wissen darüber fast verloren ist. Als Mitbringsel ist es schon beliebt, zum Kauen oder Raspeln

Von Katja Auer, Bamberg

Der Rüttelroder ist eigentlich für Sellerie. Da, wo er jetzt den Boden aufreißt, der wie eine unscheinbare Wiese im Nebel liegt, kommen aber keine Knollen an die Oberfläche. Lange Wurzeln sind es, wie die dünnen Beine einer Krake hängen sie an der Pflanze. Hinter dem Traktor mit dem Rüttelroder laufen die Helfer über das Feld und ziehen die verworrenen Stränge aus dem Boden. Es ist Süßholz-Ernte im oberfränkischen Bamberg.

"Das haben wir alles erst austüfteln müssen", sagt Gertrud Leumer, auf deren Feld seit ein paar Jahren wieder Süßholz wächst. Die Pflanze mit den gefiederten Blättern, die im Sommer weiße, rosarote oder hellblaue Blüten trägt, war lange vergessen in der Stadt, deren Gärtner das Süßholz früher bis nach Prag, Ungarn und Venedig exportierten. 1520 erwähnte der Chronist Johannes Boemius den Süßholz-Anbau zum ersten Mal: "Keine Landschaft Deutschlands erzeugt mehr und größere Zwiebeln, keine größere Rüben und Kohlköpfe. Füg hierzu die Süßwurzel, die im Bamberger Land in solcher Menge ausgegraben wird, dass man hochgetürmte Wagen damit beladen sieht."

Wo die Pflanze herkam, die eigentlich vor allem in wärmeren Gefilden angebaut wird, ist nicht eindeutig bezeugt. Klar ist aber, dass der Süßholz-Anbau in Bamberg über Jahrhunderte ein gutes Geschäft war. Bis sich die Zuckerrüben durchsetzten und außerdem mit importierten Rohrzucker gesüßt wurde. Die Bedeutung des Süßholzes schwand. Das letzte Foto vom gewerblichen Anbau in Bamberg datiert aus dem Jahr 1950, zwei Männer ziehen die langen Wurzeln darauf mit der Hand auf dem Boden. "Das war mal Bestandteil der Gärtnerprüfung", sagt Gertrud Leumer, aber weil niemand mehr Süßholz anpflanzte, ist auch das Wissen darüber verloren gegangen. Deswegen muss jetzt erst wieder experimentiert werden. Wie mit dem Rüttelroder, der hat sich nun schon bewährt. Aber Routine ist die Ernte noch lange nicht. In diesem Jahr haben sie die Pflanzen zuerst abgemäht, sodass der Acker gar nicht mehr als solcher erkennbar ist. Dafür müssen die Wurzeln bei der Ernte nicht eigens abgehackt werden. "Vergangenes Jahr haben wir dreimal so lange gebraucht", sagt die Gärtnerin.

Die Bamberger Süßholz-Felder sind die einzigen in Deutschland. In Europa wird die Pflanze nur noch in der nordenglischen Stadt Pontefract und in einem Familienbetrieb in Kalabrien kultiviert.

"Im ersten Jahr haben wir die Wurzeln mit dem Spaten und der Gabel ausgegraben", erzählt Karin Dengler-Schreiber, die mit ihrem Mann zum Helfen gekommen ist. Die beiden sind Mitglieder der Bamberger Süßholz-Gesellschaft, die sich im Jahr 2010 gründete, um eine Rückbesinnung anzustoßen. Zwei Jahre vor der Landesgartenschau war das, denn diese sollte auch genutzt werden sollte, um auf Bambergs jahrhundertealte Gärtnertradition hinzuweisen, die zum Weltkulturerbe zählt. Mitten in der Stadt werden immer noch Gemüse, Kräuter und Blumen angebaut, auch alte Sorten wie die Bamberger Hörnla, jene kleinen krummen Kartoffeln. Die Felder liegen oft direkt hinter den charakteristischen Gärtnerhäusern mit der großen Toreinfahrt. Lange allerdings ignoriert von den vielen Besuchern der Stadt, die sich vor allem um den Dom und in der Altstadt drängen. Das sei anders geworden, sagt Gertrud Leumer, auch wegen des wiederbelebten Süßholz-Anbaus.

Leicht und sandig muss der Boden sein, damit das Süßholz darauf wächst, erst nach vier Jahren kann es geerntet werden. Seit ein paar Jahren gibt es nun einige Versuchsflächen, die Süßholz-Gesellschaft pachtet die Felder, weil sich der Anbau für die Bamberger Gärtner nicht lohnt. Noch nicht. Noch ist es Idealismus, der die Leute antreibt. Aber das muss nicht so bleiben. Inzwischen gibt es das Bamberger Süßholz in kleine Schachteln verpackt als Souvenir zu kaufen, die Gesellschaft will bald Tee anbieten, ein Metzger verkauft Süßholz-Schinken. Lakritze wird nicht daraus gemacht, dafür reicht die Menge nicht.

Süßholz

Die Süßhölzer (Glycyrrhiza) gehören wie Erbsen oder Bohnen zur Familie der Hülsenfrüchtler. Nach der Blüte entwickeln sie braunrote Hülsenfrüchte. Die älteren Pflanzen können bis zu zwei Meter hoch werden, die Wurzeln ragen metertief in den Boden und verzweigen sich zudem in die Breite. Der wichtigste Bestandteil des Süßholzes ist das Glycyrrhizin, das gegen Bakterien, Viren und Pilze wirkt und so Entzündungen hemmt. Außerdem wird es schleimlösend und fördert die Verdauung. Süßholz wird deswegen etwa zu Hustenbonbons verarbeitet. 2012 war das Süßholz Arzneipflanze des Jahres. Außerdem wird aus Süßholz Lakritze gemacht. Verwendet wird es auch für Liköre, Magenbitter oder Tee. Ebenso wird die Pflanze in der Tabakverarbeitung genutzt, nicht nur wegen des Geschmacks, sondern weil sie zur Feuchtigkeitsregulierung beiträgt. Das meiste industriell verarbeitete Süßholz wird heute als Extrakt aus asiatischen Ländern importiert. Infos zum Bamberger Süßholz im Internet unter www.bamberger-suessholz.de. kaa

Auf dem Feld sammeln sechs Helfer von der Bamberger Lebenshilfe die Wurzeln auf und werfen sie auf einen Anhänger. Es ist die Gartengruppe, die jedes Jahr bei der Ernte hilft. Und nicht nur das. Der volle Hänger wird auf dem Gelände der bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau geparkt, dann geht die Arbeit weiter. Das Süßholz muss gewaschen werden. Auch das wurde früher von Hand gemacht, jetzt behilft man sich mit einem Gerät, in dem sonst gelbe Rüben gesäubert werden. Harald steht vor dem Hänger und spritzt mit dem Schlauch Wasser auf die braunen Wurzeln. "Immer schon draufhalten", sagt Betreuer Georg Schaller. Harald wiegt den Oberkörper vor und zurück, den Schlauch auf das Süßholz gerichtet. Dann stopft er einen Arm voll in das Gerät, in dem sich wie in einer Waschmaschine eine Trommel dreht. Sonja klaubt derweil ein bisschen Unkraut aus den verworrenen Wurzeln.

Es ist eine glückliche Verbindung zwischen der Süßholz-Gesellschaft und der Lebenshilfe. Deren Gartengruppe ist in der ganzen Stadt im Einsatz, pflegt die Rabatten bei der Polizei und beim Arbeitsamt und kann auch für private Gärten gebucht werden. Aber im Winter geht die Arbeit aus. Da wird jetzt Süßholz verarbeitet. Wenn die Wurzeln gewaschen sind und ein paar Tage getrocknet wurden, müssen sie geschnitten und verpackt werden. "Das ist eine gute Beschäftigung für den Winter", sagt Georg Schaller. Wochenlang haben die Helfer damit zu tun, das Süßholz wird dann als Souvenir in einigen Bamberger Geschäften verkauft. Und die Mitglieder der Süßholz-Gesellschaft bekommen ihren Anteil, den sie über sogenannte Genuss-Scheine vorfinanziert haben.

Als Mitbringsel finden viele Touristen das Süßholz recht originell, auch wenn mancher nicht recht weiß, was damit anzufangen ist. Die Holzstückchen kann man kauen, die Süße hält eine Weile vor. Aus den größeren Stücken soll nun Tee gewonnen werden, das Süßholz wird dafür in kleine Stücke geraspelt. Tatsächlich, nicht sprichwörtlich. Die Redensart soll aber auch daher kommen, dass auf diese Weise die Süße gewonnen wurde. Was wesentlich anstrengender ist, als das sprichwörtliche Süßholz raspeln.

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