Bamberg:"Da bleibt einem ja "des Brötla" im Halse stecken!"

Bamberg: Helmut Müllers Spruch über Sandkerwa-Besucher ist Zündstoff.

Helmut Müllers Spruch über Sandkerwa-Besucher ist Zündstoff.

(Foto: oh)
  • Der CSU-Fraktionsvorsitzende Helmut Müller hat Besucher der traditionellen Sandkerwa in Bamberg als "Prekariat" bezeichnet.
  • Die Äußerung hat eine politische Debatte ausgelöst. Die Junge Union fordert Müllers Rücktritt.
  • Müller deutete an, nicht erneut für den Stadtrat kandidieren zu wollen.

Von Olaf Przybilla, Bamberg

Wie genau es aussah am Donnerstag bei den Niedermaiers am Frühstückstisch, ist nicht dokumentiert. Auf Facebook aber gab es hernach eine Art politischen Urschrei nachzulesen, der einiges vermuten lässt: "Pfui!!!!", schrieb da die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CSU im Bamberger Stadtrat, Anna Niedermaier. Und dass ihr, so viel Detailansicht eines öffentlichen Frühstücksstilllebens sollte schon sein, "das Brötla im Halse stecken" geblieben sei bei der Lektüre des Fränkischen Tag. In jenem hatte ihr Chef im Stadtrat, der CSU-Fraktionsvorsitzende Helmut Müller, eine Sentenz hinterlegt, die womöglich als der Satz-aller-Sätze in die politische Geschichte der Welterbestadt eingehen wird: "Die Sandkerwa ist eine Belustigung für das Prekariat. Niedere Schichten kommen zusammen, um sich zu besaufen."

Um den politischen Urschrei der Parteifreundin und Stellvertreterin zu verstehen, muss man nun erstens wissen, dass es sich bei der Sandkerwa um die traditionelle Kirchweih in Bambergs Altstadt handelt. Dass diese zweitens jedes Jahr Hunderttausende Besucher in die Stadt lockt und sie drittens gerade existenziell bedroht ist, weil die privaten Ausrichter an ihre Grenzen gelangt sind. Was man nicht wissen muss, die 30 Jahre alte Fraktionsvize Niedermaier aber unumwunden zuzugeben bereit ist: dass sie, ehe sie in ihre Frühstückssemmel biss, zunächst eine Suchmaschine ihres Vertrauens bemüht habe. Und sich darüber in Kenntnis setzen ließ, dass es sich beim Prekariat, dem gemeinen Sandkerwa-Besucher also in der Müller'schen Definition, um Mitglieder einer sozial eher niedrig einzustufenden Gruppierung handelt, die durch Unsicherheit im Hinblick auf die Art ihrer Erwerbstätigkeit gekennzeichnet ist.

Niedermaier, apricotfarbener Blazer, Jeans, Halstuch, betreibt ein Blumengeschäft in Bamberg. Sie berichtet, sie sei, so lange sie denken könne, noch jeden Tag auf die Kerwa gegangen. Dann hebt sie die Arme, schaut zu ihrer Begleiterin hinüber und ruft: "Juhuu, Prekariat!"

Man darf ohne Übertreibung sagen, dass Müller mit seinem Satz einen Volltreffer gelandet hat. Allerdings, nach Stand der Dinge, tendenziell eher im eigenen Körperzentrum. Als "Spießrutenlaufen" beschreibt seine Stellvertreterin Niedermaier das Leben von CSU-Politikern seither: Nirgends könne man sich mehr in der Stadt blicken lassen, ohne ein "Ohoo, die Elite" zu hören zu bekommen von vermeintlichen Prekariats-Mitgliedern. Wer ihr das nicht abnimmt, dem zeigt sie die Zugriffe auf ihren "Pfui!!!!"-Eintrag. Aktueller Stand: 42 500. Es gäbe vermutlich Menschen, die es gar nicht für möglich gehalten hätten, dass es überhaupt so viele Internetanschlüsse gibt in Bamberg.

Christian Lange, CSU-Kreisvorsitzender und Kerwa-Besucher, hat dem Fraktionschef am Morgen nach dem Prekariats-Zitat erst mal per SMS das Wort entzogen. Er hat dann weitschweifige Gegenerklärungen über die Kerwa ins Netz stellen lassen - Tenor: Wir lieben sie doch alle -, hat anschließend selbst zum Telefon gegriffen, um diese, bei Bedarf, weiter zu erläutern und hat die Fraktionsvize Niedermaier wissen lassen, dass er nun rede in der Causa. Will sagen: ausschließlich er.

Mit übersichtlichem Erfolg. Kurz darauf publizierte Bambergs Junge Union einen einstimmigen Beschluss, demzufolge Müller von allen Ämtern zurücktreten müsse. Aus der Not mit dem Müller-Zitat versucht die Stadt-JU eine Tugend zu machen: Sie veröffentlicht dieser Tage unterm Schlagwort "Wir sind das Prekariat".

Müller, 73, hat seit Donnerstag geschwiegen. Nur eine schriftliche Erklärung schob er nach: Auf Wildpinkelei und dergleichen habe er aufmerksam machen wollen. Am Montag meldet er sich am Telefon und sagt, er sei beileibe nicht abgetaucht. Er habe halt grundsätzlich "viel um die Ohren". Rücktritt? Er werde "kein Öl ins Feuer gießen", für den Abend sei ja eine Fraktionssitzung anberaumt. Spekuliere man aber, dass er nicht noch einmal für den Stadtrat kandidiere, so könnte man richtig liegen. Just während die CSU tagt, will OB Andreas Starke (SPD) am Montagabend einen weiteren Versuch unternehmen, um die Kerwa zu retten. Fortsetzung folgt also.

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