Bahnverkehr:In Bayern qualmen immer noch die Dieselloks

Deutsche Bahn

Diese Bahnstrecken sind in Bayern elektrifiziert

  • Nur 48,6 Prozent des öffentlichen Schienennetzes in Bayern sind elektrifiziert, im bundesweiten Durchschnitt sind es etwa 60 Prozent der Strecken.
  • Wegen fehlender Oberleitungen sind vielerorts noch immer Dieselloks unterwegs.
  • Nicht immer liegt es an der Finanzierung: Bund und Freistaat streiten auch um die Zuständigkeiten.

Von Maximilian Gerl

Eigentlich müssten Diesellokomotiven ausgestorben sein. Ihre Vettern, die E-Loks, sind in der Evolution weiter. Sie sind günstiger und zuverlässiger im Betrieb, beschleunigen besser und fahren mit Strom statt Diesel. Der Transport von Menschen und Waren wird so schneller, umweltschonender, billiger, pünktlicher und flexibler. Vorausgesetzt: Die Gleise, auf denen die E-Loks fahren sollen, haben Oberleitungen für den Strom. Das Problem: Haben sie oft nicht. Zumindest nicht in Bayern. Was dazu führt, dass Dieselloks vielerorts einfach weiterqualmen.

Dem bayerischen Verkehrsministerium zufolge stehen 48,6 Prozent des öffentlichen Schienennetzes unter Strom. Bis 2021 sollen es 51 Prozent sein, unter anderem, weil dann die Bahnstrecke München - Lindau ausgebaut und elektrifiziert sein wird. Das ist mehr als zuvor. Aber immer noch deutlich weniger als der bundesweite Durchschnitt, der bei 60 Prozent liegt. Österreich kommt auf 70, Belgien auf 85, die Schweiz auf 100 Prozent. Sie lässt nur E-Loks auf ihre Schienen. Dieselzüge sind dort tatsächlich ausgestorben.

Markus Ganserer sagt: "Dem bayerischen Verkehrsminister fehlt der dringend nötige Antrieb. Die Elektromobilität auf der Schiene kommt nur im Schneckentempo voran." Ganserer ist Landtagsabgeordneter der Grünen, Verkehrsexperte und - logisch - Fan von E-Zügen. Für einige wichtige Nahverkehrsstrecken gebe es noch keinen Plan, wann sie von Diesel- auf Strombetrieb umgestellt würden, sagt er. "Auf der Schiene funktioniert die Elektromobilität seit 100 Jahren." Und trotzdem gebe es in Bayern riesige Dieselinseln, Regionen, in denen keine E-Lok verkehren könne.

Inseln kennt das Ministerium auch, sieht die Verantwortung aber woanders. Der Bund sei dafür zuständig, die Infrastruktur der Deutschen Bahn (DB) zu finanzieren, sagt Staatssekretär Gerhard Eck von der CSU. "Das ist fest im Grundgesetz verankert." Wo der Freistaat in der Pflicht stehe, leiste er seinen Teil, zum Beispiel bei der Erweiterung der Nürnberger S-Bahn. "Vielmehr muss sich der Bund ernsthaft Gedanken über eine Elektrifizierungsoffensive bei der Schiene machen", sagt Eck. Auch, um die selbstgesteckten Klimaziele zu erreichen.

Im Bundesverkehrswegeplan 2030, im Oktober verabschiedet, sind deutschlandweit 112 Milliarden Euro für Baumaßnahmen auf der Schiene vorgesehen. Dazu zählt auch die Elektrifizierung bayerischer Strecken, etwa München - Mühldorf - Freilassing oder Hof - Marktredwitz. Einige Projekte sind eingeplant, andere werden noch geprüft. 2030 bedeutet jedenfalls nicht, dass sämtliche Baumaßnahmen bis dahin abgeschlossen sein müssen.

Im Allgäu wird seit mehr als 40 Jahren geplant

Infrastrukturprojekte erfordern einen langen Atem. Nirgendwo sieht man das besser als im Allgäu. Die Region gehört deutschlandweit zu den zwei größten Dieselinseln. Bereits 1975 kündigte die damalige Bundesbahn an, die Strecke zwischen München und Lindau zu elektrifizieren. Tatsächlich beschlossen wurde das im Februar 2017. Durch die Elektrifizierung dieser Hauptstrecke wird die Dieselinsel Allgäu schrumpfen. Aber nicht verschwinden. Denn auf den angeschlossenen Nebenstrecken und Querverbindungen bleibt alles beim Alten, also: im Dieselbetrieb.

Von Wirtschaftsvertretern heißt es dazu, dass eine Elektrifizierung dieser Strecken natürlich einen gewissen Standortvorteil böte. Als öffentliche Kritik soll das nicht verstanden werden, man will es sich ja mit niemandem verscherzen. Außerdem herrsche auf den Nebengleisen noch recht wenig Güter-, dafür mehr Personennahverkehr.

Immer wieder gibt es Pattsituationen

Das sperrige Wort "Personennahverkehr" ist eine Art Zauberwort. Es kann über die Zukunft von Strecken entscheiden. Die Bahnreform der 1990er-Jahre regelte die Zuständigkeiten zwischen Bund, Bahn und Ländern neu. Der Bund ist demnach für die Infrastruktur verantwortlich, die Länder für den Personennahverkehr. "Der Bund schlussfolgert daraus, dass Strecken nur dann über den Bundesverkehrswegeplan ausgebaut werden, wenn davon der Fern- und Güterverkehr profitiert", sagt Ganserer. Eine "etwas verzwickte Lage", weil auf vielen Strecken vorwiegend Personennahverkehr herrsche. "Die Staatsregierung kann deshalb durchaus eigenverantwortlich auf solchen Strecken tätig werden", sagt Ganserer. Wenn sie wollte.

Dieselnetz Oberfranken - agilis

Auf dem Oberfrankener Dieselnetz verkehrt die Agilis Verkehrsgesellschaft. Die Strecken rund um Bayreuth, Hof, Marktredwitz sind nicht elektrifiziert .

(Foto: David Ebener/dpa)

Im Allgäu herrscht eine Pattsituation. Das Bundesverkehrsministerium verweist darauf, dass die unelektrifizierten Verbindungen hauptsächlich für den Personennahverkehr interessant seien und somit nicht für den Bundesverkehrswegeplan. Das bayerische Innenministerium wiederum sagt, "dass der Bund gemäß Grundgesetz für die Finanzierung der DB-Infrastruktur zuständig ist, egal welche Art von Schienenverkehr auf diesen Gleisen hauptsächlich verkehrt". Und dass die Möglichkeiten, dass Bayern für den Bund finanziell in die Bresche springe, begrenzt seien. "Das machen wir schon in beträchtlichem Umfang beim barrierefreien Ausbau der DB-Bahnhöfe", sagt Staatssekretär Eck.

Solche Pattsituationen gibt es immer wieder. Auch auf der Strecke Rosenheim - Mühldorf - Landshut - Regensburg. Weil ihr Ausbau hauptsächlich dem Güterverkehr diene, gebe es für den Freistaat "neben der fehlenden Zuständigkeit auch keinen indirekten Ansatz eines finanziellen Engagements", so das Innenministerium. Das Bundesverkehrsministerium ist sich unschlüssig, prüft das Projekt und behandelt es im Bundesverkehrswegeplan solange als potenziellen Bedarf. Heißt: Andere Projekte haben erst mal Vorfahrt.

Dabei könnte die Route, die weiter gen Regensburg und Hof führt, einmal eine Lücke im sogenannten Ostkorridor schließen. Eine Alternative zur stark befahrenen Hauptachse München - Ingolstadt - Nürnberg. Das Problem: Weil die Strecke Rosenheim - Landshut noch nicht elektrifiziert und vergleichsweise schlecht ausgebaut ist, rumpelt der Güterverkehr lieber auf anderen Gleisen. Das macht die Strecke momentan wenig wirtschaftlich. Die Wirtschaftlichkeit ist aber ein wichtiges Kriterium, um im Bundesverkehrswegeplan als vorrangig eingestuft zu werden.

Letztlich läuft es immer auf eines hinaus: Geld. "Man kann jeden Euro nur einmal ausgeben", sagt Eck. "Und ich kann mir nicht vorstellen, dass wir großen Beifall ernten, wenn wir die Nahverkehrsleistungen, für die wir in der Pflicht stehen, vernachlässigen."

Manches Projekt ist zu teuer und wird abgelehnt

Wenn zu Budgetvorgaben weitere Hürden hinzukommen, ist für die Oberleitung schnell Endstation. Wie in Miltenberg. Viele Miltenberger pendeln von Unterfranken nach Hessen, indem sie mit einem Dieselzug den Main entlang nach Aschaffenburg fahren und in einen E-Zug nach Frankfurt umsteigen. Selbst der umsatzstarke Mainhafen ist nur per Diesellok angeschlossen ans Schienennetz, obwohl er gegenüber vom Aschaffenburger Bahnhof am anderen Flussufer liegt. Das alles würde Miltenbergs grüner Landrat Marco Scherf gern vereinfachen und die Strecke Aschaffenburg - Miltenberg elektrifizieren, inklusive dem Abstecher zum Hafen.

Theoretisch kein Problem, es gibt ja den Güterverkehr und den Bahnhof Miltenberg, den viertgrößten Unterfrankens. Leider gebe es auch ein "Nadelöhr", so Scherf: mehrere Bahnüberführungen in Aschaffenburg. Sie sind so niedrig, dass ein Zug hindurchpasst, aber keine Oberleitung mehr. Ein Umbau wäre kompliziert und 25 Millionen Euro teuer. Abgelehnt. "Und deshalb", sagt Scherf, "liegt bei uns die Elektrifizierung jetzt erst einmal auf Eis.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: