Bad Wiessee:Frischzellenkur

Das etwas angestaubte Bad Wiessee will sich aufhübschen - mit einem neuen Jodschwefelbad und einem Luxushotel

Von Matthias Köpf, Bad Wiessee

Bad Wiessee ist ein Ort des 20. Jahrhunderts. Zuvor gab es am Westufer des Tegernsees inmitten feuchter Wiesen nur ein Gasthaus zur Post und einige Höfe. Erst als der Holländer Adrian Stoop auf der Suche nach Erdöl am 27. Mai 1909 unverhofft die stärksten Jodschwefelquellen Deutschlands im Moor entdeckte, schoss nach dem heilkräftigen Wasser bald auch das heutige Kurbad aus dem Boden. Doch in vielen Pensionen und Hotels ist das 20. Jahrhundert sichtlich in den Siebzigern stehen geblieben, und auch das alte Jodschwefelbad hat seine besten Tage hinter sich. Genau hier soll nun bald auch in Bad Wiessee das 21. Jahrhundert beginnen.

Aus Sicht von Bürgermeister Peter Höß ist es dafür höchste Zeit. Denn das gute, alte Kurwesen endete genau genommen sogar einige Jahre früher als das 20. Jahrhundert - als Mitte der 1990er Jahre der damalige Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer die oft wochenlangen Kassenkuren mit abendlichem Tanzvergnügen auf das Allernötigste zusammenstreichen ließ. 150 000 Anwendungen im Jahr hatte es vorher in Bad Wiessee gegeben, heute sind es noch gut 16 000 einzelne Wannen-, Sprüh- oder Augenbäder mit dem Jodschwefelwasser. 80 Prozent der Patienten sind inzwischen Selbstzahler. Den großen Bau im Stil und mit dem Charme der Fünfziger braucht es dafür nicht mehr. Eigentlich würden die paar im Jahr 2010 neu gestalteten Wannen-Kabinen reichen, doch manche der betagteren Gäste empfinden speziell die schwarzen Fliesen als zu morbid und bevorzugen eher das alte Interieur aus ihrer Jugend.

In einem guten Jahr wird es wohl beide Versionen nicht mehr geben. Neben der denkmalgeschützten Wandelhalle soll bis 2019 unter der Regie von Schweizer Investoren ein orthopädisches Zentrum für ambulante Operationen mit zwei angeschlossenen Hoteltrakten und zusammen mehr als hundert Zimmern entstehen. Höß erhofft sich Zukunftsweisendes, denn im "Gesundheitshotel Sportsclinic Germany" sollen die Patienten sogar künstliche Hüftgelenke gleichsam im Vorbeigehen eingesetzt bekommen und sich schon am Abend nach dem Eingriff wieder selbständig durchs Hotel bewegen. Das architektonische Konzept kommt ebenso wie die Pläne für das neue Jodschwefelbad auf dem Nachbargrundstück von dem renommierten Südtiroler Architekten und Gestalter Matteo Thun. Ihm soll hier ein Spagat gelingen. Zum einen sollen seine Gebäude zur Wandelhalle passen und sich in den sensiblen Ort in der Nähe des Seeufers einfügen. Zum anderen aber soll er Bad Wiessee ein architektonisches Markenzeichen verschaffen, wie es etwa seinem Kollegen Peter Zumthor mit dem Thermalbad im Schweizer Vals gelungen ist.

Der Motor hinter den Projekten ist die Gemeinde selbst, die das defizitäre Jodschwefelbad von Adrian Stoops Nachfahren 2001 gepachtet und 2011 mitsamt den rund 100 000 Quadratmetern Fläche für viel Geld gekauft hat. Seither macht die 5000-Einwohner-Kommune damit ein jährliches Minus von einer halben Million Euro. Der Gemeinderat hat die aktuellen Entwürfe mit großer Mehrheit gebilligt. Thun plant eher niedrig und mit viel Holz - und in Dimensionen, die vielen angemessener erschienen als die ursprünglich geplanten vier kreuzförmig angeordneten Trakte, die den ehrgeizigen Bürgermeister Höß vor zwei Jahren wohl die Wiederwahl gekostet hätten, wenn er daran festgehalten hätte. Sogar die sehr aufs Bewahren der Landschaft und der alten Bauten bedachte Schutzgemeinschaft Tegernseer Tal kann sich mit den Neubauplänen anfreunden. "Die Gemeinde macht sich wirklich sehr intensiv Gedanken, damit das wirklich ein großer Wurf wird", sagt die Vereinsvorsitzende Angela Brogsitter-Fink. "Es wäre schön, wenn Wiessee sein Gesicht behält."

Das bezieht sich auch auf das Antlitz des Ortes zum See hin. Denn hier an der Promenade liegt die zweite planerische Großbaustelle in Bad Wiessee: Ende 2015 hat Hexal-Gründer Thomas Strüngmann nach einigem Hin und Her das leere Hotel Lederer gekauft und verfügt nun mit der 2012 erworbenen Brache der einstigen Spielbank, dem alten Kuramt sowie dem kleinen Hotel Wittelsbach über mehr als 30 000 Quadratmeter in Bestlage. Hier soll ein Luxushotel entstehen, das auch Strüngmann selbst von seinem Anwesen drüben am Tegernseer Ufer aus kein Dorn im Auge ist. Es müsste auf dem großen Areal nicht in die Höhe wachsen, aber wegen der amtlichen Hochwasser-Linie weiter vom See abrücken als das Lederer.

In dessen Keller hat das Hochwasser 2013 Spuren hinterlassen. Im Büro, dem einzigen beheizten Zimmer im Hauptgebäude, kämpft der 1939 geborene Josef Lederer an surrenden Computern um seine Gesundheit und um seinen ehemaligen Besitz. Wenn er seine Runde durch den noch voll möblierten Hotelkomplex mit den zuletzt 120 Betten dreht, setzt er den Hut auf und zieht die dicke Jacke an. Das Lederer war seit 1936 im Familienbesitz und zwei Jahre zuvor Schauplatz der Verhaftung des SA-Chefs Ernst Röhm durch Hitler und dessen Schergen. Nach Jahren als Lazarett und Erholungsheim wurde es später wieder das erste Haus am Platz. Doch nach Modernisierungen drückten die Schulden, und als wegen des monatelangen Abrisses der Spielbank mitten in der Hauptsaison 2006 die Gäste wegblieben und die Bank die Kredite fällig stellte, kam der Zwangsverwalter. Seit 2009 ist geschlossen, Lederer hat ein Wohnrecht bis zum Abriss und lebt mit seiner alten Haushälterin und vier Pferden inmitten des schleichenden Verfalls. Der ließe sich aus seiner Sicht noch aufhalten, doch ihm gehe es inzwischen nur noch um Schadenersatz, sagt er. Lederer, der zwölf Jahre lang Gemeinderat war und in seinem Verhältnis zum Rathaus doch kaum je ohne Gerichte auskam, sieht sich von der Gemeinde und der Bank um sein Lebenswerk gebracht. Seine Pläne habe man abgeblockt, um einem Neubau den Weg zu ebnen. "Und jetzt haben sie's geschafft."

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