Bad Reichenhall:Es bleibt die Frage nach einer Mitschuld der Stadt

Im Gerichtssaal wird mit harten Bandagen gekämpft: Zu Beginn des Revisionsprozesses um den Einsturz der Eishalle in Bad Reichenhall geht es anfangs weniger um den Angeklagten als die Nicht-Angeklagten. Doch dann stellt sich wieder die Frage nach dem Verhalten der Stadt.

Heiner Effern

Eigentlich sind die beiden Männer in den schwarzen Roben angetreten, um den Angeklagten Rüdiger S. am Landgericht Traunstein der fahrlässigen Tötung an 15 Menschen zu überführen. Doch zu Beginn des Revisionsprozesses um den Einsturz der Eishalle von Bad Reichenhall geraten die Staatsanwälte Günther Hammerdinger und Andreas Miller selbst massiv unter Druck: Robert Schromm, der seine Frau in der Eishalle verloren hat, kündigt im Gerichtssaal eine Anzeige gegen Oberstaatsanwalt Hammerdinger wegen Strafvereitelung im Amt an. Begangen durch seine Weigerung, nach dem Einsturz am 2. Januar 2006 gegen Mitarbeiter der Stadt Bad Reichenhall zu ermitteln.

Revisionsprozess Einsturz Eislaufhalle in Bad Reichenhall

Am Landgericht in Traunstein hat der Revisionsprozess um den Einsturz der Eislaufhalle in Bad Reichenhall im Jahr 2006 begonnen. Gleich am ersten Verhandlungstag wird mit harten Bandagen gekämpft.

(Foto: dpa)

Die Verteidiger des 58 Jahre alten Bauingenieurs wollen den Oberstaatsanwalt Hammerdinger daraufhin aus dem Prozess nehmen lassen. Ein faires Verfahren sei nicht mehr möglich, weil der Oberstaatsanwalt nun plötzlich ein gemeinsames Interesse mit seinen wichtigsten Belastungszeugen, den Angestellten der Stadt, habe: durch eine Verurteilung des Angeklagten die eigene Unschuld zu beweisen. Das Landgericht möge doch bei der Leitung der Staatsanwaltschaft um eine Ablösung Hammerdingers ersuchen, eine Forderung oder einen direkten Antrag lässt der Rechtsweg nicht zu. Nach einer Stunde Prozessunterbrechung die wenig überraschende Nachricht: In der Staatsanwaltschaft sehe man keinen Grund, Hammerdinger abzulösen.

Die harten Bandagen zeigen es, gleich zu Beginn des auf zehn Verhandlungstage angesetzten Prozesses steht also wieder die Frage im Mittelpunkt, die von Anfang an über dem Verfahren schwebt: Wie kann eine Kommune mehr als 30 Jahre lang nichts für die Sicherheit eines städtischen Gebäudes tun, außer Eimer für das einlaufende Wasser aufzustellen - und trotzdem muss sich kein Mitarbeiter dafür verantworten, wenn die Halle einfällt und zwölf Kinder und drei Frauen getötet werden?

Die Anwälte des Angeklagten werfen den Staatsanwälten ebenfalls vor, aus Motiven, die "im Dunkeln" lägen, Mitarbeiter der Stadt Bad Reichenhall zu schonen. "Sündenbockstrategie" nennt Verteidiger Rolf Krüger die Tatsache, dass nur sein Mandant, aber kein Verantwortlicher der Stadt auf der Anklagebank sitzt, obwohl sogar der Bundesgerichtshof in Karlsruhe Hinweise auf Mittäter in der Verwaltung gesehen hat, als er im Januar 2010 den Freispruch des Bauingenieurs in erster Instanz aufgehoben hat. Und Anwalt Krüger setzt seine heftigen Angriffe fort: "Pseudo-Ermittlungen" nennt er die Bemühungen der Staatsanwaltschaft, Mitschuldige in der Bauverwaltung aus den Jahren vor dem Einsturz zu finden.

Ob die Weigerung der Staatsanwaltschaft, die damalige Baudirektorin oder den Hochbauchef als Beschuldigte zu vernehmen, womöglich etwas mit der Verjährungsfrist zu tun habe, fragt der Verteidiger. Die Frist ist mittlerweile abgelaufen, eine Beschuldigtenbefragung hätte sie wohl über den jetzigen Prozess hinausgeschoben. "Ich habe kein Vertrauen in eine objektive Strafverfolgung der Staatsanwaltschaft", sagt Krüger.

Die Staatsanwälte zeigen sich wenig beeindruckt, sowohl von der Strafanzeige als auch von den heftigen Anwürfen der Verteidiger. Natürlich hätte er unter großem Beifall einen kleinen Stadtangestellten anklagen können, sagte Oberstaatsanwalt Hammerdinger. Allerdings nur wenn das Kriterium die öffentliche Meinung, und nicht der Rechtsstaat sei. Der Vorwurf der Beißhemmung gegen Mitarbeiter der öffentlichen Hand sei "absurd", die Auffassung, dass keine Rechtsgrundlage für Ermittlungen bestehe, von der Generalstaatsanwaltschaft und dem Justizministerium bestätigt. Hammerdinger wirft den Verteidigern vor, mit den Angriffen von der Schuld ihres Mandanten ablenken zu wollen. Und zu Schromm sagt er, dessen Forderung nach einem Freispruch für den Angeklagten sei wegen seiner Position als Nebenkläger eine "prozessuale Groteske".

Der Angeklagte im Schwurgerichtssaal, der am Tod von zwölf Kindern und drei Frauen schuld sein soll, sitzt bis in den Nachmittag völlig unbeteiligt da. In der letzten Stunde kommt dann Rüdiger S. doch noch zu Wort. Er erklärt, wie er zu dem Auftrag gekommen ist, der ihn vor Gericht gebracht hat: jene Studie für die Stadt Bad Reichenhall, in der er knapp drei Jahre vor dem Einsturz dem Eishallendach einen allgemein guten Zustand bestätigt hat.

Mehr trägt der erste Prozesstag zur Wahrheitsfindung nicht mehr bei. Die meisten Angehörigen, die sowohl bei Rüdiger S. als auch bei Stadtangestellten eine Schuld sehen, verlassen den Gerichtssaal mit einem bekannten Gefühl: Frustration, weil wenig herauskommt darüber, wer alles Schuld hat am Tod ihrer Angehörigen. Trotzdem wird Robert Schmidbauer, dessen beide Töchter von den Dachtrümmern erschlagen worden sind, wieder kommen. "Du hoffst immer, dass einer auspackt." Am Dienstag wird der Prozess fortgesetzt.

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