Bad Aibling:Nach Katastrophen fehlen häufig die Notfallseelsorger

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Die Notfallseelsorge ist in den Kriseninterventionsdienst im Landkreis integriert. (Foto: Norbert Försterling/picture alliance / dpa)

Nicht überall werden sie automatisch alarmiert. Dabei leisten Kriseninterventionsteams nach dramatischen Ereignissen wie dem Zugunfall von Bad Aibling wichtige Arbeit.

Von Lisa Schnell, München

Horst Henkes Piepser ging in der Früh, da war er gerade in der Arbeit angekommen. Hermann Saur bekam einen Anruf und setzte sich sofort ins Auto. Sie wurden gebraucht beim Zugunglück von Bad Aibling, wo am 9. Februar zwei Züge ineinanderrasten, elf Fahrgäste starben.

Ihre Aufgabe war es nicht, die Zuginsassen aus den Abteilen zu holen oder Verletzte zu versorgen. Sie kümmerten sich nicht um die körperlichen Leiden der Betroffenen, sondern um deren Psyche. Um die Fahrgäste, die äußerlich vielleicht nur leicht verletzt waren, innerlich aber traumatisiert. Um die Freunde, Eheleute, Eltern, die Angst hatten, ihre Lieben könnten unter den Opfern sein und schließlich um die Angehörigen, die einen Menschen verloren hatten.

Henke und Saur koordinierten den Einsatz der Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) in Bad Aibling. Henke als Kriseninterventionsteam-Leiter des Bayerischen Roten Kreuzes, Saur als katholischer Notfallseelsorger im Erzbistum München und Freising.

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Vor einer Woche kamen sie bei einem Treffen der Landeszentralstelle PSNV in Geretsried zusammen, um mit Vertretern des Landratsamtes Rosenheim und dem Bundesamt für Katastrophenschutz den Einsatz in Bad Aibling auszuwerten. Insgesamt habe die Versorgung gut funktioniert, sagt Henke und fügt hinzu: "So gut, wie es die Gegebenheiten eben hergeben." Die aber müssen sich ändern, da waren sich alle Teilnehmer einig.

Enge Zusammenarbeit mit den Kriseninterventionsteams des Roten Kreuzes

Zwar ist mittlerweile anerkannt, wie wichtig die Arbeit der PSNV ist, dass sie maßgeblich dazu beiträgt, posttraumatische Belastungsstörungen bei den Betroffenen zu vermeiden. Anders als Feuerwehr, Rettungskräfte oder Polizei werden sie aber nicht überall in Bayern automatisch bei einem Einsatz wie in Bad Aibling alarmiert. Es gibt keinen offiziellen Einsatzleiter PSNV, der die Koordination bei einer Großlage übernimmt.

"Was ein Einsatzleiter anschaffen darf, wofür er zuständig ist, das muss gesetzlich geregelt werden", sagt Henke. Das sei die einzige Möglichkeit, um in Bayern verlässliche Strukturen zu schaffen, stimmt ihm Andreas Müller-Cyran von der Landeszentralstelle PSNV zu. Jetzt aber hänge es vom "Glück" ab, ob ein Einsatz gut funktioniere wie in Bad Aibling oder eben nicht.

Glück war es etwa, dass die kirchliche Notfallseelsorge und die Kriseninterventionsteams des Roten Kreuzes in Rosenheim schon seit Jahren eng zusammenarbeiten und einen gemeinsamen Dienstplan haben. So konnten in kurzer Zeit schnell viele Kräfte mobilisiert werden.

Glück war es auch, dass die zentrale Leitstelle gleich nach Eingang des Notrufs um 6.48 Uhr neben Feuerwehr, Rettungsdiensten und Polizei auch die Notfallseelsorge alarmierte. Oft ist das aber nicht der Fall. Dann hängt es davon ab, ob ein Kollege bei der Feuerwehr oder vom Roten Kreuz am Unfallort an die PSNV denkt.

Die aber haben bei Unglücken wie in Bad Aibling genug zu tun, das blanke Leben zu retten. "Da sind ein Haufen Leute, die bluten, die verletzt sind, aber die psychische Belastung sieht man nicht. Die hat man dann nicht auf dem Schirm", sagt Henke.

In manchen Landkreisen versuchen die Notfallseelsorger die gesetzliche Lücke zu schließen und bilden Arbeitskreise, bei denen die verschiedenen Akteure regelmäßig zusammenkommen und Absprachen treffen für den Fall, dass ein großer Unglücksfall eintritt. Einen PSNV-Einsatzleiter haben bisher nur 15 Landkreise bestimmt - von mehr als 90 in Bayern. Auch in Bad Aibling hätte ein Einsatzleiter geholfen, sagt der Notfallseelsorger Saur.

Als er am Unglücksort ankam, wusste er nicht, wo die Sammelstelle für Fahrgäste aus dem Unglückszug war. Er ging mit dem Kollegen Henke den ganzen Einsatzort ab, fragte Feuerwehrleute, Sanitäter, bis er herausfand, dass sie im Feuerwehrhaus Kolbermoor untergebracht waren.

Die Kooperation mit Feuerwehr, Polizei und Rettungskräften war extrem gut, sagt Saur, trotzdem: Mit einem offiziellen PSNV-Leiter hätten gesicherte Informationen wohl schneller weitergegeben werden können, wären mehr Notfallseelsorger schneller bei den Betroffenen gewesen.

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So passierte es, dass in Bad Aibling Fahrgäste nach Hause gingen, nachdem sie von der Polizei vernommen wurden - ohne mit einem Notfallseelsorger gesprochen zu haben. Ähnliches sei auch in Bad Reichenhall geschehen, als dort 2006 die Eislaufhalle einstürzte, sagt Müller-Cyran.

Novellierung des Katastrophenschutzgesetzes

Schon seit Jahren gebe er als Mitarbeiter der Landeszentralstelle PSNV die Empfehlung an die Legislative weiter, dass die PSNV gesetzlich verankert werden muss. Derzeit liegt es im Gutdünken der Landkreise, ob sie einen Einsatzleiter PSNV berufen, Müller-Cyran will aber, dass sie dazu verpflichtet werden.

Außerdem müsse die PSNV wie Feuerwehr und Rettungsdienst zu einem Fachdienst gemacht werden. Dann würde sie automatisch bei einem Großeinsatz alarmiert. Bis jetzt scheinen die Empfehlungen nicht gehört worden zu sein.

Jetzt, nach dem Zugunglück von Bad Aibling, könnte das anders sein. Horst Henke nutzte die Gelegenheit beim Empfang der Helfer in der Residenz, um Innenminister Joachim Herrmann auf das Problem aufmerksam zu machen.

Aus dem Ministerium heißt es, man arbeite in der Tat an der Novellierung des Katastrophenschutzgesetzes. Es werde gerade geprüft, ob es Sinn habe, die PSNV im Gesetz zu verankern. Die Meinung von Henke dazu ist klar: "Der Ministerpräsident hat gesagt, er will viele Regeln abschaffen. Hier aber gehören Regeln geschaffen."

© SZ vom 30.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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