Babyleichen in Wallenfels:Verdrängen, gebären, töten

  • Im Prozess um die acht toten Babys aus dem oberfränkischen Wallenfels hat die Mutter der Kinder ein Geständnis abgelegt.
  • An die genaue Zahl der von ihr durch Ersticken getöteten Neugeborenen könne sie sich aber nicht mehr erinnern.
  • Sie habe die Schwangerschaften bis zur Geburt verdrängt, sagen ihre Anwälte.

Aus dem Gericht von Hans Holzhaider, Coburg

Es sind die einzigen Worte, die man an diesem Tag von der Angeklagten hören wird: die Angaben zur Person. Andrea G., geboren 1970, Hausfrau. Die Anschrift: Justizvollzugsanstalt Bamberg. "Haben Sie daneben noch eine andere Anschrift", fragt der Vorsitzende Richter Christoph Gillot. "Nein", sagt die Angeklagte. Familienstand? "Noch verheiratet." Sie sagt es so leise, dass man sie trotz der Mikrofonanlage kaum versteht.

Johann G., der Noch-Ehemann, spricht laut und deutlich. Er ist nicht groß, aber breit, mit einem Brustkasten wie ein Preisringer. Er trägt ein schwarzes T-Shirt mit einem großen Wolfsgesicht darauf. Geboren 1960, gelernter Metzger, jetzt Industriearbeiter, wohnhaft in Wallenfels. In dem Haus, in dem die Polizei am 12. November 2015 die sterblichen Überreste von acht neugeborenen Babys fand. Johann G. ist der Vater dieser acht Kinder.

Die Anklage, die Staatsanwalt Martin Dippold vor dem Landgericht Coburg verliest, lautet auf Mord und Beihilfe zum Mord. In regelmäßigen Abständen in den Jahren 2003 bis 2013 habe Andrea G. die Kinder zur Welt gebracht, allein und ohne ärztliche Hilfe, in der Küche oder im Wohnzimmer ihrer Dachgeschosswohnung in Wallenfels. Wenn die Neugeborenen ein Lebenszeichen von sich gaben, habe sie ihnen ein Handtuch auf Mund und Nase gedrückt, bis sie tot waren.

Johann G. habe von den Schwangerschaften gewusst, er habe damit gerechnet, dass seine Frau die lebensfähigen Neugeborenen töten würde, und er habe das billigend in Kauf genommen. Johann G. schüttelt unwillig den Kopf, als der Staatsanwalt das vorträgt. Andrea G. schirmt ihr Gesicht mit der Hand ab, so, als wolle sie den Anblick ihres Mannes unter allen Umständen vermeiden.

Der Rechtsanwalt Till Wagler, der Andrea G. verteidigt, hat vor Prozessbeginn freimütig Interviews gegeben, im Stern und in der Zeit konnte man schon eine Menge lesen über das Seelenleben der Mutter, die, mutmaßlich, acht ihrer Kinder getötet hat. Sie hat davor schon fünf zur Welt gebracht, zwei in ihrer ersten Ehe, drei weitere aus der Beziehung mit ihrem jetzigen Ehemann.

Vor Gericht will sie sich nicht selbst zur Anklage äußern. "Sie ist extrem verschlossen", sagt ihr Verteidiger, "sie hat ihr Leben lang alles mit sich selbst ausgemacht." Deshalb tragen Wagler und Co-Verteidigerin Julia Gremmelmaier vor, was es aus Sicht der Angeklagten zu sagen gibt.

Mit 18 war sie zum ersten Mal schwanger, von ihrem ersten Freund, und von der Schwangerschaft habe sie erst erfahren, als der Frauenarzt ihr bei einem Routinebesuch eröffnete, die Geburt stehe unmittelbar bevor. Auch die zweite Schwangerschaft, fünf Jahre später, bemerkt sie erst, als sie schon im fünften Monat ist. 2002 trennt sie sich von ihrem ersten Ehemann, da ist sie schon von Johann G. schwanger. Es werden Zwillinge. Gut ein Jahr später ist sie wieder schwanger - auch diesmal bemerkt sie es erst wenige Wochen vor der Geburt.

Die Sterilisation war geplant - doch Andrea G. versteckte sich

Nun drängen sowohl ihre Mutter wie ihr Ehemann - sie hat Johann G. inzwischen geheiratet - zur Sterilisation. Er fährt sie nach Erlangen in die Klinik, aber sie geht nicht hin, sondern verbringt die Nacht in einer Pension und lässt sich am nächsten Tag wieder abholen. "Er fragte nicht nach, und sie hatte erst mal Ruhe", trägt der Verteidiger vor.

Aber ein dreiviertel Jahr später ist sie schon wieder schwanger. Sie habe sich gefreut, sagt der Rechtsanwalt, und ihrem Mann davon erzählt, aber der habe wütend reagiert und sie zur Abtreibung gedrängt. "Sie war am Boden zerstört", sagt Wagler, "sie wollte nicht abtreiben." Sie habe sich allein gefühlt und jeden Gedanken an die Schwangerschaft verdrängt. So gut habe die Verdrängung funktioniert, dass sie von der Geburt überrascht worden sei. Sie habe im Stehen geboren, das Kind sei zu Boden gefallen, sie habe ein Handtuch geholt, das Kind eingewickelt und in eine Tüte gesteckt. "Sie war wie weggetreten, sie kann diesen Zustand nicht in Worte fassen."

"Sie handelte immer gleich."

"Dieser Ablauf", trägt der Verteidiger vor, "der sich noch siebenmal wiederholte, war immer ähnlich." Aus steter Angst und Hilflosigkeit sei sie jeweils in gleicher Weise von der Geburt überrascht worden. Nicht alle Kinder hätten Lebenszeichen gezeigt. "Sie handelte immer gleich. Sie wickelte das Kind in Handtücher, bei Lebenszeichen etwas enger." Noch zweimal habe sie ihrem Mann von der Schwangerschaft berichtet. "Beim dritten oder vierten Mal. Er sagte nur, er wolle kein Kind mehr, sie müsse schauen, wie sie damit klarkomme."

Bei der letzten Schwangerschaft habe sie ihn gefragt, was sie tun solle. Er habe "nur hämisch gelächelt". Von da an sei die Beziehung zwischen den Eheleuten "vollständig zerstört" gewesen. Im Sommer 2015 habe sie sich "zu ihrer eigenen Überraschung" in einen anderen Mann verliebt und begonnen, Zukunftspläne zu schmieden. Am 1. Oktober verließ sie die Familie - zwei Wochen später wurden in einer Abstellkammer der Wohnung die in Plastiktüten verpackten Babyleichen entdeckt.

Johann G. will sich zu den Anklagevorwürfen nicht äußern, aber über seine Ehefrau hat er eine Menge zu sagen. "Eine notorische Lügnerin. Wenn sie guten Morgen sagt, muss man schon rausschauen, ob sie nicht lügt." Sie habe ihn jahrelang in finanzieller Hinsicht ausgenutzt, mit seiner EC-Karte massenhaft sinnlose Einkäufe getätigt. 27 Müllsäcke voller neuwertiger Kleidungsstücke habe er nach der Trennung aus ihren Schränken geholt, 150 BHs, T-Shirts, Kisten voll Modeschmuck, alles noch mit den Etiketten daran.

Geldbeutel seiner Mutter, die mit im Haus wohnte, Sparbücher der Kinder - nichts sei vor ihr sicher gewesen. Wenn er sie zur Rede stellte, habe sie nur patzige Antworten gegeben. Auch an der Haushaltsführung hatte Johann G. einiges auszusetzen. "Staubwischen war nicht ihr Ding. Kochen war auch nicht der Hit." "Und was war sie für eine Mutter?", fragt der Vorsitzende. "Normal", sagt Johann G. Der Prozess wird fortgesetzt.

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