Autoindustrie:Wo Bayern richtig brummt

MAN SE Hauptversammlung

Neben Audi in Ingolstadt und BMW in München hat auch MAN eine in Bayern ansässige Produktionstätte.

(Foto: dpa; Bearbeitung SZ)

500 000 Menschen arbeiten in Bayern in der Automobilindustrie. Die Branche wird geprägt von großen Marken wie BMW, Audi oder MAN. Doch diese Erfolgsgeschichte kennt viele Verlierer.

Von Maximilian Gerl

Wer verstehen will, was die Automobilindustrie für Bayern bedeutet, muss nach Dingolfing fahren. Nirgends lässt sich besser beobachten, wie Welten aufeinanderprallen, um sich zu verzahnen. Dingolfing, das müsste - man tritt den Einheimischen damit nicht zu nahe - ein unscheinbares Dorf auf dem Land sein: schön zum Wohnen, wenn man den Charme der Niederbayern mag. Mit Bauernhöfen und Fahrten in die nächste Großstadt.

Tatsächlich ist Dingolfing ein internationaler Industriestandort. 1600 Autos der Marke BMW rollen hier Tag für Tag vom Band, um in die ganze Welt verschickt zu werden. Das einstige Dorf steht im Schatten mächtiger Hallen, Roboter schweißen im Akkord, mehr als 17 500 Arbeiter pendeln aus und ein. Zehn Millionen Fahrzeuge haben sie in all den Jahrzehnten gebaut. Unvorstellbar, dass hier mal keine Autos gefertigt werden könnten; unvorstellbar, dass hier mal keine Autos gefertigt wurden. Zumindest Letzteres ist noch nicht so lang her.

100 Jahre Freistaat Bayern

Industriestandort und Heimat von Erfindern: Bayern hat stets von seiner weitsichtigen Industriepolitik profitiert. Im Rahmen von "100 Jahre Freistaat Bayern" widmen wir uns in einem Schwerpunkt fünf Tage lang der bayerischen Wirtschaft. Vom 11. Juni bis einschlielßich 15. Juni finden Sie jeden Tag um 19 Uhr eine neue Folge auf SZ.de. Alle bislang veröffentlichen Texte finden Sie auf dieser Seite.

Bayerns Wohlstand wird gern auf eine einfache Formel reduziert: Geht es der Autoindustrie gut, geht es dem Freistaat gut. Das ist platt, aber treffend. In Bayern sind mit BMW und Audi zwei internationale Premiummarken daheim. MAN zählt zu den größten Lkw-Herstellern der Welt. Zulieferer wie Schaeffler oder Bosch Rexroth herrschen längst über eigene Wirtschaftsimperien.

Je nachdem, wie weit der Begriff gefasst wird, arbeiten zwischen 400 000 und 500 000 Menschen hierzulande in der Automobilindustrie. Jedes Jahr spült sie den Kommunen stattliche Gewerbesteuereinnahmen in die Kassen. Für so etwas haben PR-Berater und Journalisten den Begriff der "Erfolgsgeschichte" erfunden, was den Eindruck erweckt, als hätte die Vergangenheit von Anfang an einem definierten Ziel zugestrebt. Hat sie aber nicht. Die Geschichte des Automobilbaus in Bayern steckt voller Wendungen, überraschender Sieger und Verlierer.

In Niederbayern erahnt man das bis heute. Eine Region aus Wald, Wiesen, Werkshallen. Manche Familien hier arbeiten in dritter Generation im Autobau, fast scheint es, als wäre er Teil der lokalen DNA. Dabei galt die Gegend in den Fünfzigerjahren als Armenhaus; von Industrie keine Spur, abgesehen von den Dingolfinger Glas-Werken. Der Auto- und Landmaschinenbauer war seinerzeit recht erfolgreich. Der Kleinwagen Goggomobil war ein Verkaufsschlager. Doch im Zuge des Wirtschaftswunders änderten sich die Ansprüche der Kunden. Die Menschen verdienten mehr Geld, wollten größere Autos fahren. Glas konnte das nicht bedienen und kam in Zahlungsschwierigkeiten. 1967 übernahm ein Emporkömmling aus München den Standort: BMW. Bald lief die Produktion des Goggomobils aus.

Noch heute gilt: Am Stammsitz in München tüfteln Ingenieure an neuen Modellen und Manager an Strategien. Doch Dingolfing, das ist für viele BMWler der Ort, an dem das Herz der Marke schlägt. Denn was für die Glas-Werke das Ende bedeutete, markierte für BMW den Aufstieg zum Weltkonzern. Eine Geschichte, passend zu den Haken, die der Autobau in Bayern geschlagen hat. BMW fängt 1913 mit Flugzeugmotoren an, fertigt in den Zwanzigern Motorräder und Kleinwagen und steigt erst nach 1945 richtig in den Autobau ein.

BMW

Das Herz der Marke BMW schlage nicht etwa in München, sondern im Werk in Dingolfing, heißt es bei vielen Mitarbeitern.

(Foto: Armin Weigel/dpa)

In den Fünfzigerjahren verzockt sich die Geschäftsführung, die Pleite droht. 1959 will Daimler-Benz die angeschlagenen Münchner kaufen. Auf einer Hauptversammlung von BMW kommt es darüber zu hitzigen Debatten, einige Aktionäre verweigern die Zustimmung. Das Treffen geht als "Neun-Stunden-Rennen" in die Historie ein. Kurz darauf steigt der Großindustrielle Herbert Quandt ein. Sein Geld wendet die Pleite ab. Knapp entgeht BMW dem Schicksal, als Fußnote der bayerischen Industriegeschichte zu enden; aufgekauft vom heute größten Rivalen.

Die Geschichte von BMW ist wendungsreich, die von Audi erst recht

Wer die Geschichte von BMW wendungsreich findet, sollte sich die von Audi ansehen. Auch in Ingolstadt kann man sich kaum noch eine andere Welt vorstellen, das Automobilwerk hier ist nach Firmenangaben das zweitgrößte Europas. Allein 2017 rollten mehr als 530 000 Fahrzeuge vom Band. Das Audi Forum, eine Mischung aus Museum, Eventcenter und Neuwagenabholung, verzeichnet jedes Jahr um die 400 000 Besucher und zählt damit zu den größten Touristenattraktionen der Stadt.

Dabei fing alles mal ganz woanders an: 1899 gründet August Horch in Köln die Automarke Horch. Beide ziehen bald nach Chemnitz; in der Region sind bereits die Motorenwerke Wanderer und DKW tätig. 1909 verlässt Horch seine Firma und gründet in Zwickau Audi Automobilbau. 1932 schließen sich alle vier Marken zur Auto Union zusammen. Nach dem Zweiten Weltkrieg enteignen die Sowjets die Firma, worauf 1949 einige Mitarbeiter in Ingolstadt eine neue Auto Union ins Leben rufen. Die Wahl des neuen Standorts scheint pragmatisch: Seit ein paar Jahren betreibt die Union in Ingolstadt ein Ersatzteillager. In den Sechzigern werden erstmals Autos mit Viertaktmotoren gebaut, der Name Audi erlebt eine Renaissance. 1965 kauft der VW-Konzern die Mehrheit der Anteile. Erst 20 Jahre später erfolgt die offizielle Umbenennung in Audi AG.

Auf der Strecke geblieben

Während BMW und Audi zu Topmarken aufsteigen, bleiben andere Autobauer auf der Strecke. Die Liste ist lang. Mal haben die Fahrzeuge technische Mängel, mal entsprechen sie nicht dem Zeitgeist, mal kollabiert die Wirtschaft. So gründet Rudolf Diesel 1898 die Dieselmotorenfabrik Augsburg, während im benachbarten Oberhausen die Motorfahrzeug-Werke Heinle & Wegelin Zweisitzer namens Vindelica produziert. Weitere Beispiele: In Traunreut waren einst die Bayerischen Autowerke daheim, in München das Minimus Fahrzeugwerk, in Fürth die Stallion Cars GmbH. Überhaupt, Franken: Nürnberg galt in den Zwanzigern noch als das Zentrum für Motorradbau, mit Marken wie Astoria, Zündapp und Eschag. Dann kam die Finanzmarktkrise von 1929 und das Ende für viele Hersteller.

Inzwischen ist der Automobilbau in Bayern eine geschlossene Veranstaltung. Aus dem bayernweiten Flickenteppich wurde ein dominantes Dreieck, mit Niederbayern, Ingolstadt und München als Eck- und Fixpunkten. Was für die einen Hersteller eine Chance war, bedeutete für die anderen der Untergang. In gewisser Weise gilt das heute noch. Früher machte die Größe des Autos den Unterschied. Jetzt gelten Elektromotoren und autonomes Fahren als die Zukunft und Internetkonzerne wie Google als größte Konkurrenz.

Als das BMW-Werk in Dingolfing 2017 sein Betriebsjubiläum feiert, warnt Vorstandschef Harald Krüger, dass sich die Branche in den kommenden zehn Jahren radikal verändern werde, "stärker als in den letzten 50 Jahren zusammen". Die Unternehmensberatung McKinsey rechnete mal vor, dass dieser Wandel rund 100 000 Jobs im Freistaat gefährden könnte. Brechen die weg, geht es Bayern nicht mehr gut.

Die Autobauer im Freistaat und die Politik, beide versuchen, sich auf die neuen Herausforderungen einzustellen. So hat der Freistaat die A 9 als Teststrecke fürs autonome Fahren freigegeben. Ingolstadt will auch mit Audi-Unterstützung zu einem bundesweiten Start-up-Zentrum für Mobilitätsdienstleistungen werden. Und BMW baut im Münchner Norden ein neues Forschungs- und Entwicklungszentrum, dort sollen mal die Autos der Zukunft entstehen. Als 2017 Ministerpräsident Horst Seehofer vorbeischaute, fiel ihm angesichts der riesigen Baugrube nur ein Wort ein: "Wahnsinn." Ob das alles reicht? Auch die Zukunft kennt kein Ziel.

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