Ausstellung zu "Mein Kampf" in Nürnberg:Revanche der Opfer

An diesem Buch klebt Blut - und zwar echtes: Für das Projekt "Notre combat" haben vor allem Juden, Homosexuelle und andere Menschen, die Hitler einst auslöschen lassen wollte, Seiten aus "Mein Kampf" bearbeitet. Die Ergebnisse werden derzeit in einer denkwürdigen Ausstellung in Nürnberg gezeigt. In Bildern.

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Notre Combat, Reichsparteitagsgelände Nürnberg, Mein Kampf, Adolf Hitler, nur für die Berichterstattung zur Ausstellung verwenden!!

Quelle: Linda Ellia

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Die einen bemalten die Buchseiten mit Totenköpfen, andere gestalteten sie zu Klopapier oder kleideten damit in ihrer Installation einen Hitler-Sarg aus - mit den ungewöhnlichen Mitteln der Kunst setzt sich von diesem Mittwoch an eine Nürnberger Ausstellung mit Adolf Hitlers Hetzschrift Mein Kampf auseinander. Die erstmals in Deutschland gezeigte Ausstellung der Pariser Künstlerin Linda Ellia umfasst insgesamt 534 künstlerisch gestaltete Buchseiten aus drei Exemplaren von Mein Kampf.

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Quelle: Linda Ellia

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An einer Pariser Metrostation hat Linda Ellias Bruder Yves zufällig die Deutsche Katharina von Saalfeld getroffen. Als Ellia sie eines Tages fragte, welche Rolle ihr Großvater während des Krieges gespielt habe, erzählte Saalfeld, dass er Richter gewesen sei und von 1934 an wie alle deutschen Richter dazu aufgefordert worden sei, die Namen der Juden zu übermitteln, die in den Handelskammerregistern eingetragen waren. Um die Menschen nicht denunzieren zu müssen, nahm er sich gemeinsam mit seinem Sohn das Leben. Bevor die beiden im Gebirge in den Abgrund sprangen, ritzten sie noch ein Goethe-Zitat in einen Unterstand für Bergsteiger. Mit dem Wunsch, sie zu ehren, hat Saalfeld ihre Geschichte auf die Titelseite von Mein Kampf geschrieben.

Notre Combat, Reichsparteitagsgelände Nürnberg, Mein Kampf, Adolf Hitler, nur für die Berichterstattung zur Ausstellung verwenden!!

Quelle: Linda Ellia

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Linda Ellia betrachtet ihr Projekt als Ausdruck ihres Widerstands gegen jegliche menschenfeindliche Ideologien. "Ich wollte, dass Hitler nicht das letzte Wort hat", betont sie. Zugleich sollten mit der vier Jahren dauernden Aktion möglichst viele Menschen die Gelegenheit erhalten, mit ihrem Beitrag sich aktiv gegen diktatorisches Gedankengut zu engagieren.

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Quelle: Linda Ellia

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Hitler im Sarg ist eine Installation von einer Schneiderin. Linda Ellia hat sie in ihrer Pariser Nähstube besucht und ihr eine Seite aus Hitlers Mein Kampf gegeben. Ellia erinnert sich noch daran, wie stolz die Schneiderin war, dass sie nach ihrer Meinung gefragt wurde. Sie hat die Seite auf Stoff gedruckt und damit einen kleinen Bleisarg ausgepolstert. Dann hat sie eine Stoffpuppe genäht, die wie Hitler aussieht und die Figur in den Sarg gelegt. Der Sargdeckel kann geschlossen werden. Mit ihrer Installation wollte die Näherin zeigen, wie Hitlers hasserfüllte Texte letztlich seinen eigenen Tod zur Folge hatten. Linda Ellia war begeistert. Mit so einer kreativen Idee hatte sie nicht gerechnet. Sie ist sich seitdem sicher, dass jeder Mensch ein Künstler ist.

Notre Combat, Reichsparteitagsgelände Nürnberg, Mein Kampf, Adolf Hitler, nur für die Berichterstattung zur Ausstellung verwenden!!

Quelle: Linda Ellia

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Die teils von der Künstlerin selbst, teils von Künstlerfreunden gestalteten Buchblätter einer älteren Mein Kampf-Ausgabe bringen nicht nur das Entsetzen über die Nazi-Gräuel zum Ausdruck, sondern verballhornen auch Hitlers Großmannssucht. So zeigt eine Seite einen affengleichen Adolf Hitler, eine andere einen Totenkopf mit Hitlers Oberlippenbart und seinem charakteristischen Seitenscheitel.

Notre Combat, Reichsparteitagsgelände Nürnberg, Mein Kampf, Adolf Hitler, nur für die Berichterstattung zur Ausstellung verwenden!!

Quelle: Linda Ellia

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Andere umgestaltete Mein Kampf-Seiten erinnern mit Stacheldraht- Darstellungen an die Opfer; ein Künstler skizzierte die in Hitlers Mein Kampf propagierte Vernichtung von Millionen von Juden und anderen Minderheiten auf drastische Weise: Er lässt die Druckzeilen in den Rauch der am unteren Blattrand skizzierten Gaskammern münden.

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Quelle: Linda Ellia

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Das Porträt eines wahnsinnig gewordenen Adolf Hitler hat Katharina von Saalfeld gemalt, eine deutsche Künstlerin, die seit Jahren in Paris lebt und die auch das Titelbild von Mein Kampf mit der Geschichte ihrer Vorfahren Hans und Peter Deinhardt beschrieben hat. In den irren Augen des nationalsozialistischen Diktators drehen sich Hakenkreuze. Auf die Lippen hat Saalfeld echtes Blut geschmiert. Dafür hat sie sich mit einer Nadel in den Finger gestochen und anschließend das Blut unter dem Schnurrbart Hitlers verteilt. Linda Ellia spricht von einer "segensreichen Begegnung" mit Katharina von Saalfeld. Die beiden Frauen verbindet heute eine tiefe Freundschaft. Für die Deutsche war das Kunstprojekt eine Möglichkeit, ihren Schmerz zu überwinden, den sie angesichts ihrer Familiengeschichte empfunden hat. Linda Ellia glaubt seither nicht mehr an Zufälle.

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Die aus einer tunesisch-jüdischen Familie stammende Künstlerin hatte als junges Mädchen Diskriminierung und Ausgrenzung am eigenen Leib erfahren. Ellia hatte zusammen mit ihrer Familie als Achtjährige Tunesien wegen der wachsenden antisemitischen Stimmung verlassen müssen. Als ihre Tochter später im Bücherschrank ihrer Familie auf eine französische Ausgabe von Mein Kampf stieß, sei sie zunächst ratlos gewesen: "Ich war total geschockt." Schließlich habe sie begriffen, "dass dieses Buch eine Aufgabe ist, der ich mich stellen muss", erzählt sie. Sie begann 2005 zunächst, die Seiten selbst künstlerisch zu bearbeiten, bat später Künstlerfreunde um Beiträge. Schließlich forderte sie Passanten in Paris auf, Seiten der Hetzschrift künstlerisch zu gestalten. Viele hätten allerdings zunächst irritiert auf ihre Bitte reagiert, sagt sie.

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Quelle: Linda Ellia

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Dieses schmerzverzerrte Gesicht in roten, blauen und silbernen Farben war die erste mit Pinsel gemalte Auseinandersetzung Linda Ellias mit Hitlers Mein Kampf. Vorher hatte die Künstlerin nur Gedichte auf die Seiten geschrieben, mit Rotstift gezeichnet und mit Draht gearbeitet. Linda Ellia erzählt, dass sie wie getrieben in ihr Atelier in Vitry-sur-Seine im Süden von Paris gerannt sei und dort wahllos ihre Pinsel in Farbtöpfe getunkt und anschließend die Seite übermalt habe. Ihre Hand habe sich automatisch bewegt, ohne dass Ellia über das Ergebnis nachgedacht habe. Am Ende habe sie ihren Pinsel in die Mitte des noch feuchten Gesichtes gedrückt, um sich von den erlittenen Schmerzen zu befreien. Die Seite stammt aus der Anfangsphase des Projektes.

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Mehr als 600 Menschen aus 17 Ländern wirkten an dem Projekt mit. Bislang war die Ausstellung nur in Genf, San Francisco und Caen zu sehen. Jetzt werden die Mein-Kampf-Seiten erstmals in Deutschland ausgestellt. Es war der große Traum von Linda Ellia, ihr Projekt in der Bundesrepublik zu zeigen.

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Quelle: Linda Ellia

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Das blaue Skelett, das vor Hitlers Text mit erhobenen Armen auf einer Blutspur steht, ist nur eine von etwa 20 Seiten, die ein Pariser Obdachloser für Linda Ellia gestaltet hat. Ellias Sohn Grégory Zeitoun hatte ihn beobachtet, wie er Tag für Tag mit mürrischer Miene in ein gammeliges Bistro kam, um dort ein Glas billigen Weins zu trinken. Linda Ellia erzählt, nur ihr Sohn habe sich getraut, den Mann anzusprechen. Mit geradezu frenetischem Eifer machte sich der Obdachlose daran, Seite um Seite von Hitlers Hetzschrift mit seinen soghaften Zeichnungen zu bedecken. Er ließ etwa einen Zug vor dunklen Rauchwolken über Schienen rollen und zeichnete immer wieder Gerippe. Vor seinem Leben auf der Straße war er Maler gewesen.

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Mittlerweile sind schon drei Ausgaben von Mein Kampf auf diese Weise bearbeitet worden, vor allem von Menschen, die Hitler einst auslöschen wollte: Juden, Behinderte, Homosexuelle, Kommunisten, Sinti und Roma. Linda Ellia spricht von einer Revanche der Opfer. Aber auch Schulklassen hat die Künstlerin schon um einen Beitrag gebeten.

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"Notre Combat - Unser Kampf" ist vom 20. Juni bis zum 30. September im Nürnberger Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände zu sehen. Öffnungszeiten: Montag bis Freitag von 9 bis 18 Uhr, sowie samstags und sonntags von 10 Uhr bis 18 Uhr. Der Eintritt in die Sonderausstellung ist frei.

© SZ vom 16./17. Juni 2012/Franziska Brüning/dpa/tob
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