Ausstellung: Spielzeug im Dritten Reich:Hitler im Sandkasten

Gesellschaftsspiele mit fragwürdigen Botschaften, Soldatenromantik und der Führer als segnende Jesus-Figur: Eine Ausstellung in Eichstätt zeigt: Propaganda im Dritten Reich hat sich subtil ins Unterbewusstsein gepflanzt - auch in das von Kindern.

Judith Liere

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(Foto: N/A)

Jahrzehntelang lagen die handbemalten Zinnfiguren mit den Hakenkreuzen im Tresor der Katholischen Universität Eichstätt. Als "Kuriosum", sagt Kunsthistorikerin Kerstin Merkel, "wir wussten nicht, was sie bedeuteten." Bis sie es durch einen Zufall herausfand: Ein ehemaliger Student, Stefan Schweizer, schickte ihr seine Habilitationsschrift über das nationalsozialistische Geschichtsbild in den historischen Festzügen, die Hitler in München jährlich zum "Tag der Deutschen Kunst" veranstalten ließ. "Und da war's dann klar", sagt Merkel. Bei den Zinnfiguren handelt es sich um eine Nachbildung des Festzugs, der 1937 unter dem Motto "2000 Jahre Deutsche Kultur" durch Münchens Straßen marschierte, zur Eröffnung des Hauses der Deutschen Kunst.

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(Foto: N/A)

Die Figuren sollten also eine politische Botschaft vermitteln, waren ein Propaganda-Instrument - das sich nicht zuletzt an Kinder richtete, die mit den Fackelträgern, Reitern, Germanen und Lanzenträgern spielten. Kerstin Merkel nahm die Entdeckung zum Anlass, sich der Frage anzunehmen, über welche Medien und mit welchen Themen Kinder und Jugendliche im "Dritten Reich" indoktriniert wurden. Entstanden ist daraus die Ausstellung "Spiel mit dem Reich - Nationalsozialistische Ideologie in Spielzeug und Kinderbüchern" in der Hofgartenbibliothek, die Merkel gemeinsam mit Constance Dittrich, Leiterin der Handschriftenabteilung, konzipiert hat.

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(Foto: N/A)

Die Exponate zeigen: Propaganda, das sind nicht nur lautstarke Hetzreden Hitlers vor Massenpublikum, sondern sie steckt auch in den kleinen Alltagsdingen, die sie subtil ins Unterbewusstsein pflanzten - besonders in das der Kinder. "Sowohl Schule als auch Freizeit wurden ideologisch unterwandert, es gab kaum Chancen, dem zu entkommen", sagt Merkel. "Dafür wurden alle Medien genutzt: der Volksempfänger, die Wochenschau, aber eben auch Spielzeug und Schulbücher." Hitler begegnete den Kleinsten quasi bereits im Sandkasten. Selbst kindgerechte Hitler-Biographien (Foto) gehörten zur Propaganda.

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(Foto: UB Eichstätt-Ingolstadt)

Der Nationalsozialismus beherrschte die Erziehung der Kinder. Deutschland wurde zum Hauptthema des Allgemeinwissens, seine Geschichte, das Brauchtum, seine Dichtung und Persönlichkeiten mussten die Schüler lernen. Es gab Unterrichtseinheiten mit dem Titel "Blutende Grenzen - Unser Ostpreußen", die Kartenumrisse von "Großdeutschland" mit dem "Korridor" Ostpreußen waren dauerpräsent und mussten zum Beispiel bei der Aufnahmeprüfung zum Bund deutscher Mädel aufgezeichnet werden. In Matheaufgaben galt es, 40 Hitlerjungen auf fünf Zelte zu verteilen, lesen lernten die Erstklässler mit der Fibel, in der Sätze standen wie: "Der Führer hat die Soldaten lieb." Das Exemplar der Fibel, das die Ausstellung zeigt, hat nebenbei eine interessante Geschichte. Es stammt von einem Zeitzeugen, der eigentlich zu jung ist, um zur Nazizeit zur Schule gegangen zu sein. Tatsächlich lernte er erst nach dem Krieg damit lesen - weil Geld fehlte, um neue Schulbücher zu drucken. In den Geschichtsbüchern wurden die Germanen als Gründer des persischen, griechischen und römischen Weltreichs ausgewiesen. "Geschichte war überhaupt damals ein Riesenthema", erklärt Kerstin Merkel, "da wurde richtig eine Begeisterung eingeimpft und vermittelt: Das deutsche Volk habe eine große Vergangenheit - und eine große Zukunft."

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(Foto: UB Eichstätt-Ingolstadt)

So lässt sich auch der historische Zug erklären, der von 1937 bis 1939 jährlich zum "Tag der Deutschen Kunst" durch München zog. Die nachgebildeten Figuren, die 1938 von der Zinngießerei Babette Schweizer in Dießen am Ammersee gefertigt wurden, dienten zum einen als Geschenk für hochrangige Gäste und Politiker, wurden aber auch in einzelnen Sets zum Sammeln verkauft. 138 Reichsmark kosteten alle Figuren des Zugs, Merkel schätzt, dass es etwa drei- bis vierhundert sind. In einem Werbeprospekt wurde angepriesen, dass die Zinnfiguren zeigen sollten, "was liebevoller Fleiß und fachliche Gediegenheit unseres heimischen Kunsthandwerks vermögen und zugleich Zeugnis geben im Reich und über seine Grenzen hinaus von unserer deutschen Kultur, die aus den Jahrtausenden in die Jahrtausende hinüberreicht". Für Merkel stehen die Figuren "für die Gefahr, die im ästhetischen Reiz den scheinbar harmlosen Dingen innewohnt".

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(Foto: UB Eichstätt-Ingolstadt)

Das Sammeln spielte allgemein eine große Rolle bei den propagandistisch aufgeladenen Objekten. Die Ausstellung widmet einen Bereich den Spendenbelegen des Winterhilfswerks (WHW). Bei den Straßensammlungen mit der Sammelbüchse bekamen die Spender kleine Gegenstände als Dank: Anhänger, Anstecker mit nachgebildeten germanischen Schildern, Glasrunen, Wappen und Stadtansichten. Durch die Möglichkeit zum Sammeln bestand eine starke Auseinandersetzung mit den Objekten, die letztlich dazu führen sollte, ein Bildgedächtnis zu "Großdeutschland" aufzubauen. Besonders subtil verpackt war die politische Botschaft in Bernstein-Schmucknadeln. "Es geht um Ostpreußen", erklärt Merkel. "Es gab den Spruch: ,Deutsche Frauen, tragt deutschen Bernstein.' Schmucktragen war ein patriotischer Akt."

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(Foto: UB Eichstätt-Ingolstadt)

Wenig verklausuliert hingegen steckten die Botschaften im Spielzeug. Gesellschaftsspiele wie "Das Bunkerspiel", "Wir fahren gegen Engeland" (Foto) und das Wehrmachtsquartett sollten den Kindern den Krieg schmackhaft machen. Bei den Plastik-Soldatenfiguren wurden gezielt auch friedliche Aspekte dargestellt, die das Gemeinschaftsgefühl betonen und den Kindern die Angst nehmen sollten: Ein Soldat reinigt seine Uniform mit Seife und Bürste, andere sitzen zusammen und essen oder musizieren. Die Armeefahrzeuge und Flakscheinwerfer hatten viele technische Finessen, um die Kinder zu begeistern. Die Ausstellung zeigt außerdem, wie Hitler Kinder zur Selbstinszenierung benutzt hat, auf den Fotos, die der Münchner Fotograf Heinrich Hoffmann von ihm machte und die entweder in Sammelalben oder als Bildbände mit Titel wie "Hitler abseits vom Alltag" oder "Hitler, wie ihn keiner kennt" veröffentlicht wurden. "Kinder sind wichtige Attribute in der Hitler-Ikonographie", sagt Merkel. Er stellte sich stets als großer Kinderfreund dar - und zielte damit auf mehrere Adressaten. Die Aufnahmen richteten sich an Eltern, weil die mit gutem Gewissen die Erziehung dem "Führer" überlassen sollten. Die Kinder sollten Hitler als ihren Freund wahrnehmen. Und gleichzeitig wurde dadurch auch das Rassenideal propagiert, da sich Hitler nur mit "arischen" Kindern ablichten ließ. Wie weit die Inszenierung ging und wie stark sich dabei auch der sakralen Bildtradition bedient wurde, zeigt die Ausstellung durch eine Gegenüberstellung: Hitler fungiert quasi als Jesus-Figur, mit segnenden Händen oder als guter Hirte, die Darstellung "Lasset die Kindlein zu mir kommen" findet sich mehrfach. "Das war ein Spiel mit dem christlich geprägten visuellen Gedächtnis", so Merkel.

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(Foto: UB Eichstätt-Ingolstadt)

Einen Bereich haben die Ausstellungsmacherinnen bewusst klein gehalten, auch wenn sich dazu noch viel mehr in den Beständen der Unibibliothek gefunden hätte: die "Rassenkunde". Auch bei den ausgestellten Büchern haben sie darauf geachtet, dass nicht die rassistischsten Seiten aufgeschlagen in den Vitrinen liegen. "Wir wollten nicht das falsche Publikum anziehen", sagt Constance Dittrich. Stattdessen wünschen sie sich als Publikum: Schulklassen und Lehrer. Denen soll nahegebracht werden, so Merkel, "dass es wenig Ausweichmöglichkeiten gab vor der Vereinnahmung des kindlichen Geists durch den Nationalsozialismus. Das ging vielleicht, wenn sie aus ausgeprägt liberalen, christlichen oder humanistischen Elternhäusern kamen". Es sei schwer gewesen, Zeitzeugen für die Ausstellung zu finden, erzählt Merkel. "Nach Kriegsende zerbrach für diejenigen, die so aufgewachsen sind, alles, was sie verinnerlicht hatten. Sie denken, dass sie keine schönen Erinnerungen an ihre Kindheit mehr haben dürfen." Die Ausstellung soll, so die Kuratorinnen, auch ein Appell sein, Kinder in Freiheit und zum eigenen Denken zu erziehen. "Spiel mit dem Reich", Staats- und Seminarbibliothek Eichstätt, Hofgarten 1, bis 26. August, Katalog 29,80 Euro

© SZ vom 15.06.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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