Ausstellung in Passau:Stillleben mit totem Tier

Das Museum Moderner Kunst Wörlen in Passau zeigt die aufwendigen, aber irritierenden Bilder der Fotografin Vera Mercer.

Von Sabine Reithmaier

Den Hang zur theatralischen Inszenierung hat sie vielleicht geerbt: Vera Mercers Vater Franz Mertz war ein bekannter Bühnenbildner. Seine 1936 in Berlin geborene Tochter wollte aber als Kind lieber Gärtnerin werden. Dass sie schließlich nach einer Tanzausbildung ihre Passion für die Fotografie entdeckte, daran ist auch ihr erster Mann, der ehemalige Tänzer und Eat-Art-Begründer Daniel Spoerri, schuld. Er schenkte ihr die erste Kamera.

1958 zogen die beiden nach Paris mitten ins Zentrum des avantgardistischen "Nouveau Realisme", und als Freund Jean Tinguely sie bat, seine Skulpturen zu fotografieren, ließ sie sich nicht lange bitten. Sie dokumentierte Performances, Installationen, natürlich auch Spoerris "Fallen-Bilder", porträtierte Marcel Duchamp oder Niki de Saint Phalle. Doch nicht diese zeitlosen Schwarzweißporträts hängen im Passauer Museum Moderner Kunst, sondern ihre betörend schönen und doch irritierenden Foto-Stillleben, die in ihrer barocken Pracht das Vanitas-Motiv neu zu formulieren scheinen. Letztlich aber frönen sie doch der schieren Lebenslust.

Sensible Naturen brauchen vielleicht einige Momente, um sich zwischen den vielen toten Tieren wohlzufühlen. Zwischen Trauben und Birnen starren glänzende Fische den Betrachter an, auf einer Etagere grinst ein Schweinskopf. Ein Krake verziert wie ein üppiger Vorhang eine Glasvase mit Orchidee, während ein toter Hahn seinen bunt gefiederten Kopf anmutig auf seine Krallen gelegt hat. Geschlachtete und gehäutete Tiere drapiert Vera Mercer gern zwischen Rosenblätter, Hibiskusblüten, Nüssen und prallen Himbeeren.

Manchmal verwendet sie auch bloß bestimmte Teile der Tiere, einen Fischkopf oder Kalbsfüße. Alles wirkt friedlich, ein bisschen altmodisch vielleicht, aber gar nicht morbid oder angekränkelt, sondern sehr ästhetisch; die meisten Bilder sind in ein ganz eigenartiges, undefinierbares Licht getaucht.

Die Mauern im Hintergrund bröckeln, die Holztische tragen Gebrauchsspuren, Gläser, Kerzenständer und Geschirr sind Antiquitäten. Mercer braucht unglaublich viele Requisiten, um ihre "Natures Mortes" zu arrangieren, eine Bühne für ihre Form der "Eat-Art" zu gestalten. Seit 2004 bearbeitet sie ihre Stillleben digital, baut bis zu elf Bildebenen auf, um Licht- und Farbeffekte zu steigern, addiert auch ungeniert Aufnahmen, die nur Teile ihrer Arrangements zeigen, in einem großen Bildstreifen, freilich so geschickt, dass keine Anschlussspuren zu erkennen sind.

Früchte, Gemüse, Fleisch und Fisch fotografierte Vera Nercer übrigens erstmals in den ehemaligen Pariser Markthallen, die sie kurz vor ihrem Abriss 1969 noch dokumentierte. Schon damals inszenierte sie ihre Bilder aufwendig, schon damals fotografierte sie nie zubereitete oder gekochte Speisen. Ihre frischen "Modelle" stehen in einem engen Zusammenhang zu Mercers zweiten Beruf.

Denn seit sie 1973 mit ihrem zweiten Mann Mark Mercer nach Amerika auswanderte, hat sie mehrere Restaurants gegründet. "Irgendwie schienen alle meine Fotos etwas mit ihnen zu tun zu haben", schreibt sie selbst. Die Pariser Markthallen-Aufnahmen arrangierte sie in ihrem ersten Lokal als große Fotowand. Und auch in den späteren Jahren fanden viele ihrer Fotoserien erst den Weg in Hotels und Restaurants, bevor sich auch die Galerien dafür zu interessieren begannen.

Anscheinend ist Essen für die Künstlerin, die außer in Paris in Omaha, Nebraska, lebt, vor allem Freude und Passion. Sonst würde sie wohl nicht immer noch drei Restaurants betreiben.

Vera Mercer: Stillleben; Di. bis So., 10 bis 18 Uhr, Museum Moderner Kunst Wörlen, Passau; bis 9. Juli

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