Ausspionierte Computer:Arbeitsgericht rügt Großbäckerei

Die Großbäckerei Ihle verdächtigte den Betriebsratsvorsitzenden des Betrugs, ließ seinen PC ausspionieren und kündigte ihn daraufhin. Das Arbeitsgericht hat die Spoinage für "nicht verhältnismäßig" und damit die Kündigung für unrechtmäßig erklärt. Ihle ist nun gleich mehrfach der Verlierer.

Andreas Ross

Lothar R. war dieses Mal nicht erschienen. Zweimal hatte der Betriebsratsvorsitzende im Friedberger Produktionsbetrieb der Großbäckerei Ihle zuvor als Beklagter vor dem Richtertisch des Augsburger Arbeitsgerichts Platz genommen. Nur zwei Armlängen entfernt von ihm saßen Jacqueline Dziurla, Personalchefin bei Ihle, und Firmenanwalt Gerhard Rieger. Und es waren beileibe keine angenehmen Stunden für Lothar R. gewesen.

Bäckerei kontrolliert Betriebsrats-Rechner

Jüngst musste das Verkaufspersonal von Ihle öfters unangenehme Fragen beantworten. Die Bäckerei hatte den Betriebsratsvorsitzenden ausgespäht und gekündigt.

(Foto: dpa)

Denn Ihle hatte ihm die Kündigung zugestellt. Eine sogenannte Verdachtskündigung. Denn Lothar R. wurde vorgeworfen, er habe am Rechner des Betriebsrats sein Arbeitszeitkonto zu seinen Gunsten manipuliert. Die Großbäckerei hatte deshalb ohne Wissen des Betriebsrats eine Spähsoftware auf dem Rechner installieren lassen. Damit, so glaubte die Firmenleitung, die Rechtmäßigkeit der Kündigung von Lothar R. vor Gericht beweisen zu können.

Doch es kam ganz anders. Das Gericht wies den Antrag der Firma Ihle ab, weil die Überwachung des Betriebsratsrechners das "allgemeine Persönlichkeitsrecht von Lothar R. verletzt" habe und überdies "nicht verhältnismäßig" gewesen sei, so Manfred Irany, der Präsident des Arbeitsgerichts, in seiner Begründung. Ein Gerichtsbeschluss, an dem die Großbäckerei Ihle wohl noch einige Zeit zu knabbern haben wird.

Personalchefin Jacqueline Dziurla dürfte sich bei der Verkündung des Urteils wohl ähnlich schlecht gefühlt haben wie Lothar R. in den vorausgegangenen Verhandlungsrunden. Mit dieser Schlappe hatte Ihle nicht wirklich gerechnet. Tapfer kündigte Dziurla an, dass man jetzt erst einmal die schriftliche Begründung des Gerichtsbeschlusses abwarten wolle.

Danach werde man die Argumente sorgfältig prüfen und erst dann entscheiden, wie es weitergehen wird. Allerdings, so die Ihle-Personalchefin, werde man auch die öffentliche Wirkung des ganzen Verfahrens in die Entscheidung miteinfließen lassen. Was Dziurla damit etwas verklausuliert formulierte, ist längst für die Großbäckerei zu einem unerfreulichen Tatbestand geworden. Die große Aufmerksamkeit, die das Kündigungsverfahren vor dem Arbeitsgericht in den Medien gefunden hat, war keine gute Werbung für die Großbäckerei mit ihren knapp 3000 Beschäftigten.

Bei der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), die den Fall publik gemacht hatte, war zwar die Genugtuung nach dem Richterspruch groß. Aber auch dort war man anschließend bemüht, den Ball flach zu halten. Tim Lubecki, der Geschäftsführer von NGG in Augsburg, forderte die Firma auf, die Kündigung gegen ihren Friedberger Betriebsratsvorsitzenden zurückzunehmen. In diesem Falle sei die Gewerkschaft bereit, mit der Firmenleitung wieder "vertrauensvoll und kooperativ" zusammenzuarbeiten.

"Es gibt noch Richter in Deutschland"

Denn auch die NGG sei an zufriedenen Beschäftigten und an zufriedenen Kunden von Ihle interessiert. Die Gewerkschaft hatte zur Urteilsverkündung und für die anschließende Pressekonferenz mit Wolfgang Däubler von der Universität Bremen einen angesehenen Arbeitsrechtler engagiert. Der brauchte freilich hinterher nicht mehr viel zu erläutern. Stattdessen beließ es Däubler bei einer verbalen Verneigung vor Manfred Irany. "Es gibt noch Richter in Deutschland", sagte Däubler.

Es sollte wohl heißen, es sei mutig gewesen, eine angesehene Firma wie Ihle, die mit ihren Filialen in ganz Süddeutschland vertreten ist, vor dem Arbeitsgericht abblitzen zu lassen. Denn immer mehr Arbeitgeber in Deutschland würden sich eine Rolle anmaßen, die nur Polizei und Staatsanwaltschaft vorbehalten sei, sagte Däubler.

Richter Irany hatte in seiner Begründung deutlich gemacht, dass nur strafbare Handlungen, eine schwere Pflichtverletzung und ein schwerer Vertrauensbruch Grundlage für eine Verdachtskündigung sein könnten. Der Verdacht müsse aber durch Tatsachen begründet werden und dringend sein. Um diesen Nachweis zu führen, habe die Firma Ihle auf dem Rechner des Betriebsratsvorsitzenden heimlich eine Überwachungssoftware installiert.

Damit habe die Firma jedoch das Persönlichkeitsrecht des Betriebsratsvorsitzenden verletzt. Die Firma habe auf mildere Maßnahmen verzichtet und die Kontrolle in einem Übermaß betrieben. Selbst der persönliche E-Mail-Verkehr von Lothar R. sei erfasst worden. Die angefertigten Screenshots erstreckten sich jeweils über eine Dauer von fünf bis sieben Minuten und könnten deshalb wegen ihrer Unverhältnismäßigkeit im Verfahren nicht gewertet werden. Damit fehle aber auch der Nachweis für den von der Firma Ihle angegeben dringenden Verdacht.

Der Firma Ihle bleiben nun vier Wochen Zeit, um sich darüber klar zu werden, ob sie gegen die Entscheidung Beschwerde beim Landesarbeitsgericht erheben will. Gewerkschaftssprecher Tim Lubecki riet ihr davon dringend ab. Er könne der Geschäftsleitung jetzt nur empfehlen, einen Schnitt zu machen, auch wegen der in der Belegschaft herrschenden Unruhe.

Ihre Strafanzeige gegen Ihle wegen Behinderung der Betriebsratstätigkeit will die NGG jedoch aufrecht erhalten. Schließlich sei trotz des Urteils nicht klar, wer die Manipulationen am Rechner des Betriebsratsvorsitzenden vorgenommen habe.

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