Augsburger Polizistenmord:Der hilfsbereite Mörder von nebenan

Die Beweislage im Fall des Augsburger Polizistenmordes wird immer erdrückender: Ermittler haben acht Handgranaten, zehn Schusswaffen sowie eine Tasche mit Blutspuren des erschossenen Beamten gefunden. Die Nachbarn des Hauptverdächtigen sind fassungslos. Sie hätten nie gedacht, wer hinter dem stets freundlichen Rudi R. wirklich steckt.

Stefan Mayr, Augsburg

Auf das schwarze Brett im Hausgang hat die Putzfrau ein Gedicht gepinnt. "Frohes Fest. Ich wünsche Euch zur Weihnachtszeit, Ruhe, Liebe und Fröhlichkeit." In der Augsburger Curtiusstraße fanden die besinnlichen Weihnachtsferien aber schon vor einer Woche ein abruptes Ende.

Weitere Waffenfunde im Zusammenhang mit Polizistenmord

Drei Schnellfeuergewehre des Typs Kalaschnikow hat die Polizei in einem Versteck der inhaftierten Brüder Rudolf R. und Raimund M. gefunden. Das Kaliber passt zu den Geschossen, die den Polizisten Mathias Vieth Ende Oktober tödlich trafen.

(Foto: dapd)

Rudi R., der 56-jährige Bewohner aus dem ersten Stock, wurde am vergangenen Donnerstag an einer Ampel vor der Wohnung festgenommen. Seitdem sitzt er in München in Untersuchungshaft - unter dringendem Verdacht, im Oktober im nahen Siebentischwald den Polizisten Mathias Vieth erschossen zu haben.

Die Nachbarn sind fassungslos, seit sie erfuhren, dass ihr freundlicher Nachbar ein Waffen-Fanatiker war, der schon einmal als Mörder eines Polizisten verurteilt wurde. Und, weil dieser trotz seiner Tat von 1975 frühzeitig aus der Haft entlassen wurde.

"Das ist eine Katastrophe, wenn du hörst, ein Mörder hat neben dir gewohnt", sagt eine Nachbarin, die ihren Hund Gassi führt, "da habe ich schon Schiss bekommen." Ihren Namen will sie nicht in der Zeitung lesen, wie fast alle Anwohner. Wie gefährlich Rudi R. und sein ebenfalls inhaftierter Bruder Raimund M. offenbar sind, zeigt die jüngste Entdeckung der Polizei: In einem Versteck bei einer Familienangehörigen wurden acht funktionsfähige Handgranaten und zehn scharfe Waffen gefunden - darunter drei Kalaschnikow-Maschinengewehre inklusive Munition. "Allein der Besitz solcher Kriegswaffen ist ein Verbrechen", betont die Polizei.

"Er hat mir immer die Tasche raufgetragen"

Das Kaliber der gefundenen Waffen passt zu den Geschossen, die am Tatort im Siebentischwald abgefeuert wurden. Allerdings ist nach wie vor ungeklärt, ob es sich dabei tatsächlich um die Tatwaffen handelt. Dennoch vermeldet die Polizei ein weiteres wichtiges Indiz: An einer Tasche, die in einem anderen Versteck gefunden wurde, wurden Blutspuren entdeckt, die zweifelsfrei von dem erschossenen Polizisten stammen.

Für den Leitenden Oberstaatsanwalt Reinhard Nemetz ist das Verbrechen deshalb so gut wie geklärt, nachdem zuvor bereits am Tatort eine DNA-Spur von Raimund M. sowie in der Nähe das Auto von Rudi R. gefunden wurde. "Damit sind wir nicht mehr auf ein Geständnis angewiesen", sagt Nemetz. Dennoch (oder gerade deswegen) schweigen die Verdächtigen nach wie vor.

"So etwas hätte ich diesem Mann nie zugetraut, aber das ist ja meistens so", sagt die Frau mit dem Hund an der Leine nachdenklich. Eine ältere Dame, die im selben Hauseingang wohnt wie Rudi R., kann über den Polizistenmörder nur Gutes berichten: "Er hat mir immer die Tasche raufgetragen, er ist sogar extra zurückgekommen, wenn er gesehen hat, dass ich Hilfe brauche." Man habe zwar schon gemunkelt, dass er früher im Gefängnis gewesen sei, "aber ich hätte keinerlei Bedenken gehabt, ihn in meine Wohnung zu lassen".

Rudi Rs. Mutter hat zuletzt offenbar einen Schlaganfall erlitten und leidet an Demenz. "Er hat sich um sie gekümmert", sagt die Nachbarin. Nach seiner Festnahme ist die Mutter zu einem dritten Sohn gezogen, der ebenfalls im Großraum Augsburg wohnt. Er ist nicht verdächtig - im Gegensatz zu seinem inhaftierten Bruder Raimund M., der regelmäßig in der Curtiusstraße gesehen wurde. "Der war mir nicht sympathisch", sagt ein Anwohner. "Der hat immer so geschaut, dem traue ich so eine Tat noch eher zu als dem Rudi." Raimunds Vereinskollegen aus dem Tennisclub Friedberg beschreiben ihn als "Mann mit zwei Gesichtern". Nach einer Niederlage habe der ansonsten nette Mann durchaus jähzornig werden können.

Was mitunter auch bei Rudi R. vorkam: "Der hat oft gegen den deutschen Staat geschimpft", berichtet ein Anwohner. Dabei sei sein Blutdruck "nicht mehr normal" gewesen. Oberstaatsanwalt Reinhard Nemetz hatte bei der Pressekonferenz nach der Festnahme Rudi R. gar als "schießwütigen, sozial unangepassten Waffennarr" bezeichnet, der "immer massiv auffällig" gewesen sei. Schon bevor er 1975 als 19-Jähriger einen Polizisten erschoss, habe er Diebstahldelikte mit Waffengewalt begangen.

Dröhnen des vierspurigen Verkehrs

Rudi R. wuchs im Augsburger Stadtteil Hochzoll auf, nach der Haft zog er nach Lechhausen. Das Wohngebiet um die Curtiusstraße hat sich in den vergangenen Jahren rapide gewandelt: Vor gar nicht so langer Zeit wohnte hier Augsburgs Alt-Oberbürgermeister Wolfgang Pepper, auch viele Arbeiter der Fabriken Kuka und MAN lebten in der neuen "Arbeitersiedlung". Seit 2001 wird der Stadtteil allerdings von einer mächtigen Straße durchschnitten.

Der vierspurige Verkehr dröhnt bis auf den Balkon des dreistöckigen Wohnblocks, in dem der Polizistenmörder wohnte. Von den einstigen Bewohnern sind inzwischen viele weggezogen, nur die älteren und weniger gut betuchten blieben hier. "Vor zehn Jahren war hier noch alles anders", sagt ein Bewohner. "Was seitdem hergezogen ist, war meistens aus Osteuropa", sagt er. "Da fliegt schon einmal eine Wodkaflasche aus dem Fenster."

Im nahen Café wird russisch gesprochen, es liegen russischsprachige Zeitungen aus. "Bei uns hat der Rudi immer zwei Semmeln gekauft", berichtet die Verkäuferin. "Er war ganz normal, er hat Hallo und Tschüss gesagt, mehr nicht." Der "Friseursalon Ishtar" wird von irakischen Christen betrieben. "Nach der Festnahme haben unsere Kunden viel über ihre Angst gesprochen", sagt ein Mitarbeiter. Eine ältere Dame mit ihren Trolley erklärt: "Ich trau mich abends nicht mehr raus, da wird man von den Jugendlichen angepöbelt."

Erst im Sommer geschah im Wohnblock direkt gegenüber ein Mord: Ein Stalker lauerte dem Partner seiner Ex-Freundin auf und verfolgte ihn mit einem Küchenmesser über den Hof, dann schnitt er ihm die Kehle durch. "Seitdem haben viele alte Leute Angst, das ist eine heiße Gegend hier", weiß Jürgen Ullrich. Ihm gehört eine Eigentumswohnung, angesichts der Medienberichte aus seiner Straße sagt er: "Meine Wohnung ist ja nichts mehr wert." Hausmeister Wolfgang Bobinger berichtet: "Neulich haben sie einen wegen Drogen verhaftet."

Erst am Dienstag war wieder Großeinsatz: Ein grüner Polizei-Lkw und ein halbes Dutzend Kleinbusse fuhren vor, mehrere Polizisten räumten die Wohnung von Rudi R. und dessen Keller aus. "Die haben alles auseinandergebaut, weil sie was gesucht haben", sagt der Hausmeister. Im Zuge dieser Razzia sind die Ermittler offenbar auf das neue Waffenlager gestoßen. Die Polizei prüft nun auch, ob die Brüder an ungeklärten Überfällen der zurückliegenden Jahre beteiligt gewesen sein könnten. "Die hatten die Waffen nicht nur zum Angucken", sagt Oberstaatsanwalt Nemetz.

Obwohl Rudi R. aus heutiger Sicht als notorischer Gewalttäter mit einem Hang zu dicken Waffen bezeichnet werden muss, wurde er frühzeitig aus der Haft entlassen.

Eine Nachbarin schüttelt den Kopf: "Mein Bekanntenkreis ist sich einig, dass man so einen Mann nicht so leichtfertig hätte entlassen dürfen." Das Opfer und die Angehörigen müssten ja auch ein Leben lang leiden, sagt sie, "warum kommt dann der Täter trotz lebenslanger Strafe so schnell wieder frei?"

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