Augsburg:Zum Diskutieren aufs versiffte Sofa

Augsburg: Außer drei Bundestagsabgeordneten saßen in der Augsburger Kantine auch zwei junge Nachwuchspolitiker zum Schlagabtausch auf der Bühne.

Außer drei Bundestagsabgeordneten saßen in der Augsburger Kantine auch zwei junge Nachwuchspolitiker zum Schlagabtausch auf der Bühne.

(Foto: vvl)

In einem Musikklub stellen sich Wahlkämpfer den Fragen von Erstwählern. Erst geht es recht brav zu, doch dann zeigt sich die Jugend wenig politikverdrossen

Von Vinzent-Vitus Leitgeb, Augsburg

Irgendwann, kurz vor der Bundestagswahl 2009, waren Frederik Hintermayr und Maximilian Funke-Kaiser jeweils zum ersten Mal in der Kantine, einem Musikklub im Augsburger Kulturpark West. Sie kannten sich damals noch nicht und waren nur zum Feiern dort, mit 16 Jahren, mit einer Sondererlaubnis ihrer Eltern. Jetzt, kurz vor der Bundestagswahl 2017, sind sie 25 und 24. Sie haben schon auf sechs Podien miteinander diskutiert und mehrere Wochen Wahlkampf im Kreis Augsburg-Stadt hinter sich. Hintermayr als Direktkandidat für Die Linke, Funke-Kaiser für die FDP. An diesem Montagabend geht es für beide darum, Erstwähler von sich zu überzeugen, die kaum jünger sind als sie selbst und die es nach eigenen Aussagen verrückt finden, die Kantine erstmals nüchtern zu betreten oder sie bei Licht mit Stühlen zu sehen.

Ihre Kantinen-Erfahrung und das junge Alter sind für Hintermayr und Funke-Kaiser dabei vielleicht die klarsten Vorteile an dem Abend. Denn sonst ist es schwierig. Auf der Bühne messen sie sich mit Volker Ullrich (CSU), Ulrike Bahr (SPD) und Claudia Roth (Grüne). Drei Bundestagsabgeordnete mit langen Karrieren. Der Stadtjugendring Augsburg hat sie alle eingeladen, um die jungen Menschen in Augsburg so für die Bundestagswahl zu mobilisiert. 2013 war die Gruppe der 18- bis 25-Jährigen bayernweit und in ganz Deutschland noch die mit der geringsten Wahlbeteiligung überhaupt. Im Wahlkreis Augsburg-Stadt macht sie rund neun Prozent der Wahlberechtigten aus.

Als das Bühnenprogramm beginnt, sind etwa 100 Besucher im Saal. Unter ihnen die 21-jährige Nell. Sie ist Erstwählerin und vollkommen unentschlossen, tendiert aber zu den kleinen Parteien. An diesem Abend möchte sie die Kandidaten kennenlernen. Auch Daniel, 20, hat zumindest eine Tendenz. Er interessiert sich für Bildungspolitik, beklagt aber, dass das in den meisten Diskussionen im Fernsehen viel zu wenig behandelt werde. Er hofft, das werde jetzt anders. Möglich machen sollen das ungewöhnlichere Formate: Die Kandidaten müssen ein Bild zeichnen, eine Wahlrede für einen der Konkurrenten halten und Fragen beantworten, die von den Handys aus dem Zuschauerraum geschickt werden. Sie müssen außerdem auf einem "versifften Sofa" sitzen, wie es der Projektleiter Andreas Keilholz ausdrückt. "Die Politiker sollen einfach da Zeit verbringen, wo es die Jugendlichen auch tun."

Die erste Runde beginnt dann doch eher klassisch: fünf Minuten lang befragt der Moderator jeden Bewerber. Wenigstens gibt es einen lauten Buzzer-Ton, wenn die Zeit vorbei ist, und alle auf der Bühne duzen sich. Interessanter wird es bei den Publikumsfragen. Vielleicht, weil das Handy im Gegensatz zum Mikro in der Hand ein gewisses Maß an Anonymität garantiert. Vielleicht, weil doch sehr viele junge Parteimitglieder im Zuschauerraum sitzen. Die Formulierungen sind meist provokant und auf unsichere Punkte der Kandidaten zugespitzt: "Herr Funke-Kaiser, wieso wollen Sie wieder Studiengebühren einführen?" "Herr Ullrich, warum haben Sie sich einen Song von Rage Against The Machine, einer linken Band, für ihren Auftritt heute ausgesucht?" Noch später am Abend ärgert sich Claudia Roth über die Frage, ob jeder Deutsche einen Tesla fahren solle. Eine Anspielung auf eine Diskussion um ein grünes Dienstauto in Nordrhein-Westfalen.

Auch im Publikum geht es jetzt mehr zur Sache - "Buh"-Rufe, "Falsch"-Schreie, Lacher und Szenenapplaus. Von wegen politikverdrossene Jugend. Weil sie durch die Scheinwerfer die Zuseher nicht erkennen können, schauen die jungen Kandidaten Hintermayr und Funke-Kaiser in unsicheren Momenten öfter in die Runde der erfahrenen Konkurrenten. Viel kommt aber nicht zurück. "Die sind einfach Profis", sagt Hintermayr nachher. "Das beginnt schon beim Zeitmanagement, wenn es heißt, ihr dürft jetzt drei Minuten reden." Er selbst verhasple sich da sogar, wenn es um sein Herzensthema Gesundheit gehe.

Gut zwei Stunden dauert das Programm. Währenddessen leeren sich die Reihen der Erstwähler etwas. Es sind ungefähr 80, die noch sehen, wie Ullrich seine Zeichnungen eines Smartphones und der Justitia präsentiert. Funke-Kaiser hat sich für eine Freiheitsstatue entschieden, Hintermayr (in der Schule wegen Kunst fast sitzengeblieben) für ein Krankenhaus, Roth für mehrere Herzen und Symbole grüner Politik. Als Bahr zeigt, wie sie versucht hat, die Gesellschaft abzubilden, legt sich ein junger Mann im Publikum die Hand auf die linke Brust. Vielleicht aber nur, um den dort angebrachten CSU-Sticker zu richten.

Daniel, vorher noch unentschieden, ist am Ende froh, geblieben zu sein. Es habe geholfen, sowohl die Inhalte, als auch die Personen kennenzulernen. "Ich hätte mir trotzdem noch gewünscht, dass vielleicht jemand von der AfD hier gewesen wäre. Dann hätte es noch mehr Schwung gehabt." Auch Nell ist zufrieden. Sie könne jetzt zumindest die Persönlichkeiten der Kandidaten besser einschätzen. Claudia Roth sei ihr aber manchmal zu energisch gewesen. "Mischt euch ein für eure Zukunft, das geht sonst schief!", hatte die zum Schluss gerufen. Aber dass sie auf jeden Fall wählen werden, davon waren die Besucher der Kantine ohnehin bereits überzeugt.

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