Augsburg:Kinderarzt wegen sexuellen Missbrauchs angeklagt

  • Der Kinderarzt Harry S. soll über sieben Jahre hinweg um die 20 Jungen im Alter von fünf bis zehn Jahren sexuell missbraucht haben.
  • Der 40-Jährige soll seinen Opfern mitunter Betäubungsmittel eingelößt haben, um sich an ihnen in aller Ruhe vergehen und von seinen Taten auch Fotos und Filme anfertigen zu können.
  • Die Staatsanwaltschaft Augsburg hat nun Anklage wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern und etlicher weiterer Straftaten erhoben.

Von Stefan Mayr, Augsburg

Der Kinderarzt Harry S. hat über sieben Jahre hinweg seine Stellung als Mediziner und Vorstandsmitglied beim Augsburger Roten Kreuz ausgenutzt, um 20 Buben im Alter von fünf bis zehn Jahren sexuell zu missbrauchen. Der 40-Jährige flößte seinen Opfern mitunter Betäubungsmittel ein, um sich an ihnen in aller Ruhe vergehen zu können. Was ihm dabei zum Verhängnis wurde: Er fertigte von seinen Taten auch Fotos und Filme an. Diese wurden auf seinem Computer gefunden. So jedenfalls stellt es die Staatsanwaltschaft Augsburg dar, sie hat Anklage wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern und etlicher weiterer Straftaten erhoben.

Einen Teil seiner Opfer soll Harry S. angesprochen und mit Versprechungen an abgelegene Orte gelockt haben, um sich an ihnen sexuell zu befriedigen. Im Juni 2012 soll er in München-Moosach einen Vierjährigen in einer Tiefgarage missbraucht haben. Im Juli und August 2014 werden ihm zwei Übergriffe in Augsburg vorgeworfen. Dabei ging der Mediziner im Laufe der Zeit offenbar immer massiver vor. Zuletzt, im August 2014, soll er einen Fünfjährigen in seine Zweitwohnung in Hannover gebracht haben, dort mit einem Narkosemittel betäubt und dann missbraucht haben. Danach wusch er das Kind und setzte es nach zwei Stunden wieder auf der Straße aus.

Als Vertreter des BRK bot er Ausflüge für Grundschulkinder an

Eine andere, noch perfidere Masche, soll er in den Jahren 2013 und 2014 angewandt haben: Er soll als Vertreter des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK) in Augsburg in Grundschulen kostenlose Ausflüge für benachteiligte Kinder angeboten haben. Dabei flunkerte er den Schulleitern vor, dass es sich um offizielle BRK-Aktionen handelte. Als das Rote Kreuz von den Reisen erfuhr, untersagte es S., diese Trips im Namen des BRK anzubieten. Von dem eigentlichen Hintergrund dieser Ausflüge ahnte der BRK-Kreisverband damals noch nichts. Laut Staatsanwaltschaft nutzte Harry S. die Übernachtungen in Pensionen oder Apartments, um sechs Kinder zu missbrauchen. Eine dieser Taten soll er sogar gefilmt haben.

In einem weiteren Fall nutzte der alleinstehende Mann das Vertrauen einer Bekannten aus. Er verreiste mit ihr und ihren Söhnen, dabei übernachtete einer der Buben mit Harry S. im Doppelzimmer. Der Mann betäubte das Kind zweimal und verging sich an ihm.

Keine Straftaten am Arbeitsplatz

Harry S. war am Augsburger Klinikum und danach an der Medizinischen Hochschule Hannover als Kinderarzt tätig. Als er im Oktober in Augsburg festgenommen wurde, war die Aufregung im dortigen Klinikum groß. Nach einer Prüfung teilte das Krankenhaus aber mit, S. habe "als Mitglied eines Teams auf der Intensivstation" keine Möglichkeit gehabt, einen längeren Zeitraum mit einem Patienten alleine zu verbringen. Auch die Augsburger Staatsanwälte gehen davon aus, dass S. am Arbeitsplatz keine Straftaten begangen hat.

Nach der Festnahme waren auch Vertreter des Roten Kreuzes schockiert. "Der Harry, das war einer von den Guten", sagte Michael Gebler, der Geschäftsführer des BRK-Kreisverbandes Augsburg-Stadt. "Das macht das alles ja so unfassbar." Gebler sprach von "tiefster Betroffenheit und Sprachlosigkeit". Und er informierte sofort die Polizei über die Ausflüge, die S. im Namen des Roten Kreuzes organisiert hatte.

Umfangreiches kinderpornografisches Material auf dem Computer

Auf dem Computer des Verdächtigen fand die Polizei umfangreiche Dateien, die ihn selbst belasten. Darüber hinaus hatte er jede Menge kinderpornografisches Material gespeichert. Die Staatsanwaltschaft spricht "von auszugsweise 192 Dateien", auf denen Szenen mit Kindern "zwischen 0 und 13 Jahren" zu sehen seien.

Das Strafgesetzbuch sieht für schweren sexuellen Missbrauch von Kindern sowie für Vergewaltigung jeweils eine Freiheitsstrafe von zwei bis 15 Jahren vor. Die Liste aller Straftaten, die ihm vorgeworfen werden, ist lang: Auf ihr stehen noch Entziehung Minderjähriger, gefährliche Körperverletzung, Nötigung, Freiheitsberaubung, Besitz kinderpornografischer Schriften sowie Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen und Beleidigung.

Die Polizei kam dem mutmaßlichen Täter auf die Spur, indem sie Funkzellen-Daten von den einzelnen Tatorten abglich. Der 40 Jahre alte Harry S. sitzt seit Oktober in Untersuchungshaft, er hat sich zu den Vorwürfen noch nicht geäußert. Sein Anwalt Ralf Schönauer macht ebenfalls keine Angaben. Die Jugendschutzkammer des Landgerichts Augsburg prüft derzeit, ob sie die Anklage zulässt. Falls sie das tut, könnte der Prozess im Herbst dieses Jahres beginnen.

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