Augsburg:Feuerwehr-Chef will Stadttheater am liebsten zusperren

Stadttheater Augsburg

Sanierungsfall Augsburg: "Bis Sommer können wir die Sicherungsmaßnahmen noch so aufrecht erhalten, dass sie gerichtsfest sind", sagt Frank Habermaier.

(Foto: Stefan Puchner)

Im Großen Haus treten immer mehr gefährliche Baumängel zu Tage. Ob wirklich bald Schluss ist, entscheidet sich in den kommenden Tagen

Von Stefan Mayr, Augsburg

Frank Habermaier steht vor der Garderobe des Augsburger Theaters, über ihm in der Raumdecke klafft ein Autoreifen großes Loch. Der Leitende Branddirektor unterhält sich angeregt mit anderen Bediensteten der Stadt, immer wieder schaut er in das schwarze Loch, immer wieder schüttelt er seinen grauhaarigen Kopf.

Habermaier ist der Chef der Berufsfeuerwehr, er ist für die Sicherheit der Besucher und Mitarbeiter mitverantwortlich. Nach der Entdeckung zusätzlicher Brandgefahren wird das Große Haus derzeit gründlich untersucht, dabei schrecken die Feuerwehrler nicht davor zurück, Riesenlöcher in die Wände zu schlagen. Die Experten nennen ihre massiven Methoden "zerstörerische Untersuchung".

Nach einer Woche Hämmern und Klopfen kommt Habermaier zu einer niederschmetternden Erkenntnis: "Bis Sommer können wir die Sicherungsmaßnahmen noch so aufrecht erhalten, dass sie gerichtsfest sind", sagt er, "aber danach hätte ich großes Bauchweh". Wenn es nach dem Feuerwehr-Kommandanten ginge, er würde das Haus lieber heute als morgen zusperren.

Brandschutz, Elektrik und Barrierefreiheit - alles hoffnungslos veraltet

Wenn das so kommt, dann wäre das eine neuerliche Wendung in der unendlichen Diskussion um die überfällige Sanierung des Theaters. Ursprünglich war geplant, das Große Haus erst nach dem Opernball Anfang 2017 zuzusperren. Dann wurde der Starttermin auf Sommer 2017 verschoben. Heute sagt Franz Habermaier: "Einen weiteren Opernball sehe ich aus fachlicher Sicht definitiv nicht mehr."

Wie lange der Spielbetrieb noch laufen darf und ob der Opernball tatsächlich ausfallen muss, wird in den nächsten Tagen bei einer Sitzung der Stadtoberen mit den Experten von Bauamt und Feuerwehr entschieden. "Natürlich kann man mich da überstimmen", sagt Habermaier, "aber die Frage ist, wer sich das traut."

Das Augsburger Stadttheater wird gerne als "Kulturtempel" bezeichnet. Das mag angebracht sein angesichts der markanten Fassade, des stilvollen Foyers und des prächtigen Zuschauerraumes. Aber gleich hinter der Bühne sieht es ganz anders aus. Da kommt der Tempel daher wie eine Bruchbude. Die Mängelliste ist lang: Brandschutz, Elektrik, Barrierefreiheit - alles hoffnungslos veraltet und dringend sanierungsbedürftig.

Die Arbeitsbedingungen sind weitgehend untragbar. Etwa die Garderobe für die Solistinnen. Hinter der grauen Holztür kommt keinerlei Wohlfühl-Atmosphäre auf. Die abgegriffenen und provisorisch wirkenden Holzmöbel haben mit Glamour so viel zu tun wie die Metropolitan Opera mit dem Eurovision Song Contest. Wenn zum alljährlichen Brecht-Festival hier die Stars eintreten, "wird es immer sehr peinlich", sagt Theatersprecher Philipp Peters.

"Das ist ein Fall fürs Theater-Museum", ergänzt Hendrik Euling-Stahl. Der Architekt ist seit 2014 für die "Baubelange" des Theaters zuständig. Er führt durch einen Flur, der als Fluchtweg dient. Aber in ihm stehen mehrere fahrbare Garderobenständer mit Bühnenkleidern herum, weil es keinen anderen Platz für sie gibt.

Ein Hinterhof darf nicht mehr befahren werden - wegen akuter Einsturzgefahr

"Laut Bauordnung darf ein Fluchtweg maximal 35 Meter lang sein", rechnet Sprecher Peters vor, "bei uns sind sie über 100 Meter lang." Feuerwehr-Chef Habermaier sagt: "Wir sind viele Kompromisse eingegangen, aber irgendwo ist eine Grenze erreicht." Vor der Spielstätte "Hoffmannkeller" wuchtet Tontechniker Thomas Rembt gerade schwere Lautsprecherboxen die Treppen hoch. Einen Aufzug gibt es nicht, dafür jede Menge Rückenprobleme. "Ich hatte schon mehrere Bandscheibenvorfälle", sagt Rembt. Aber meckern will er nicht: "Seitdem ich einmal die Woche Rückentraining mache, geht es."

Stadttheater Augsburg

Die Hinterbühne muss als Lager herhalten

(Foto: Stefan Puchner)

In der Stadt regt sich Widerstand gegen die Sanierung

Egal, wohin man blickt: Überall bröckelt der Putz. Die Holzfenster blättern ab, in manche regnet es hinein. Andere sind mit Holzbalken von innen zugenagelt und lassen sich deshalb nicht mehr öffnen. Viele Räume sind voller Schimmelflecken. Das Haus der Hutmacherei wirkt wie eine vergessene DDR-Filmkulisse aus den Sechzigerjahren. Der Hof davor darf nicht mehr befahren werden - Einsturzgefahr.

"Wir wollen bei der Sanierung keinen Luxus, sondern nur das Allernötigste", betont Intendantin Juliane Votteler. Dennoch ist die Kostenrechnung enorm. 189 Millionen Euro soll die Renovierung kosten. 107 Millionen übernimmt der Freistaat, den Rest will die Stadt mit Krediten finanzieren. Gegen diese Pläne regt sich in der Stadt Widerstand, eine Initiative sammelt Unterschriften gegen die Neuverschuldung.

Exakt einen Tag nach einer Podiumsdiskussion zum Bürgerbegehren verkündete die Stadt, im Großen Haus seien neue Feuergefahren entdeckt worden. Das Amt für Brand- und Katastrophenschutz verhängte zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen: Bei jeder Vorstellung müssen fünf weitere Feuerwehrmänner anwesend sein - und ein Löschfahrzeug muss vor dem Haus stehen. Ist diese jüngste Eskalation womöglich inszeniert? Es ist ein heftiger Verdacht gegen die Stadtregierung, doch selbst die gewöhnlich eher wohlwollende Lokalzeitung Augsburger Allgemeine brachte diesen Gedanken auf.

Oberbürgermeister Kurt Gribl (CSU) war am Donnerstag nicht zu erreichen. Aber er wird sich wohl noch vor Fronleichnam äußern. Sollte er die baldige oder gar sofortige Schließung des Großen Hauses verkünden, würde das wohl einen lauten Aufschrei auslösen, aber niemanden mehr überraschen. So ein zugesperrtes Theater käme Gribl in gewisser Hinsicht sogar sehr recht. Es würde den Sanierungsdruck erhöhen und den Unterschriftensammlern den Wind aus den Segeln nehmen. Welcher Bürger will schon eine mehrjährige theaterlose Phase verursachen?

Alles perfekt inszeniert? Andererseits ist das Timing unglücklich: Just in der Woche, in der Finanzminister Markus Söder ankündigte, er werde die Stadt Augsburg zur "Metropole" hochstufen und damit auf Augenhöhe zu München und Nürnberg hieven, droht der drittgrößten Stadt Bayerns das Theater abhanden zu kommen. Wird OB Gribl demnächst also verkünden müssen, wovor er zuletzt immer gewarnt hatte?

Bislang betonen die Sanierungsbefürworter stets, ein Bürgerentscheid könnte die geplante Sanierung verzögern, die Förder-Millionen des Freistaates gefährden und somit das Projekt ganz kippen. Das Finanzministerium sieht diese Gefahr nicht: Die Förderzusage sei "zeitlich nicht befristet". Ein Bürgerentscheid und dadurch entstehende etwaige Verzögerungen änderten "hieran grundsätzlich nichts".

Markus Söder selbst äußert sich "ein wenig verwundert" über das Bürgerbegehren. Er sei aber "überzeugt, dass die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger die notwendigen Sanierungsarbeiten an ihrem historischen Theater begrüßt". Juliane Votteler appelliert: "Bitte, bitte, bitte, helfen Sie alle mit, damit die Sanierung endlich startet!"

Peter Bommas, einer der Gegner der Neuverschuldung, argumentierte bei der Podiumsdiskussion so: "Wir wollen die Sanierung auch, aber wir sind nicht einverstanden mit dem Wie." Er und seine Mitstreiter fordern eine offene Diskussion über ein alternatives Finanzierungskonzept, das ohne neue Schulden auskommt. Hierfür wurde er verlacht. Ob er damit durchdringt, wenn das Theater erst einmal zugesperrt ist, darf bezweifelt werden.

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