Aufstieg im Amt:Der Ritterschlag für einen Unermüdlichen

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Bodenhaftung: Martin Neumeyer, 60, ist seit sechs Jahren der Integrationsbeauftragte der bayerischen Staatsregierung. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Horst Seehofer siedelt den Integrationsbeauftragten Martin Neumeyer in der Staatskanzlei an. Damit zeigt der Ministerpräsident: Der Mann verdient eine Aufwertung und Asylpolitik ist Chefsache. In der CSU hält ihn so mancher für zu weich und zu liberal

Von Wolfgang Wittl, München

Gleich muss die Besuchergruppe kommen. Martin Neumeyer steht im Landtag und spricht in sein Handy. Ein Bekannter aus Indien hat sich mit dem Handelsminister seines Landes angekündigt. Indien sei seine Heimat, habe der Mann einmal gesagt, Bayern seine gewünschte Heimat. Bei solchen Sätzen geht Neumeyer das Herz auf. "Schön, oder?", sagt der CSU-Mann. Nun stellt sich heraus, dass aus dem Besuch doch nichts wird. Terminprobleme. Neumeyer zuckt mit den Schultern. Er hat in seiner politischen Laufbahn oft genug erlebt, dass Dinge sich anders entwickeln können. So gut wie zurzeit sind sie für ihn ohnehin selten gelaufen.

Seit sechs Jahren ist Neumeyer, 60, der Integrationsbeauftragte der bayerischen Staatsregierung. Ein Job, zu dem er eher zufällig kam. Die FDP hatte den Posten bei den Koalitionsverhandlungen 2009 ins Spiel gebracht, bei der Besetzung dann aber nicht zugegriffen. So war die CSU an der Reihe, die mit dem Stellenprofil im Grunde wenig anfangen konnte. Bis jemand auf die Idee kam, das könne doch etwas für Neumeyer sein, einen bis dahin unauffälligen Abgeordneten aus Niederbayern. Es war noch die Phase, als Neumeyer von Parteifreunden als Deckmäntelchen bei Asylfragen belächelt wurde. Inzwischen merken immer mehr CSU-Leute, dass dieses Deckmäntelchen in Zeiten des politischen Gegenwinds recht gut wärmt.

Diese Woche bekam Neumeyer im Landtag von Horst Seehofer einen kleinen Klaps auf die Schulter: "Das machen wir", habe der Ministerpräsident ihm gesagt. "Das" bedeutet: Der Integrationsbeauftragte wird künftig nicht mehr im Sozialministerium angesiedelt sein, sondern in der Staatskanzlei. Für Neumeyer ist dieser Klaps wie ein Ritterschlag, "eine große Aufwertung". Seehofers Entscheidung zeigt: Integration soll künftig Chefsache sein. Wie im Bund, wo die Integrationsbeauftragte seit Jahren schon als Staatsministerin im Kanzleramt arbeitet. Bislang verfügte Neumeyer über vier Mitarbeiter und einen Veranstaltungsetat von 25 000 Euro. Das Budget könnte nun steigen, ohne dass bereits über Details gesprochen worden wäre.

Einigen in der CSU gilt Neumeyer als zu weich, als zu liberal. Er selbst bezeichnet sich als politischen Idealisten und Moralisten. In die CSU trat er noch am selben Tag ein, als die CDU das Misstrauensvotum gegen Kanzler Willy Brandt (SPD) nur deshalb verlor, weil zwei Stimmen gekauft waren, wie sich herausstellte. Das empörte ihn. Tags darauf ließ er sich bei einer Kundgebung von Franz Josef Strauß in Regensburg bereits als Ordner einteilen. 1972 war das. Wenn Neumeyer eine Aufgabe übernimmt, dann mit voller Hingabe und ohne Rücksicht auf Gesichtsverlust.

In seiner Heimatstadt Abensberg hat sich Neumeyer einen Namen als engagierter Spaßvogel erworben: Er spielt in einer Theatergruppe, moderiert Weltrekordversuche im Masskrug-Schleppen und gibt auf der Faschingsparty am Stadtplatz den Einheizer. Jährlicher Höhepunkt ist das Gillamoos-Volksfest, auf dem er sich als Gastgeber stets einen Gag für die auftretenden CSU-Granden einfallen lässt. Karl-Theodor zu Guttenberg überraschte er mit einem AC/DC-Shirt, Verkehrsminister Alexander Dobrindt bekam zuletzt eine selbst angefertigte Maut-Plakette überreicht.

Fremdeln kennt Neumeyer nicht, auch das prädestiniert ihn für seine Aufgabe. An den Umgang mit Menschen jedweder Herkunft ist er von klein auf gewöhnt. Aufgewachsen ist er als Sohn einer Brauer- und Gastronomiefamilie in der Wirtstube, sein politisches Interesse hat er vom Vater geerbt. Die Tagesschau gehörte im Hause Neumeyer zum Pflichtprogramm- etwas, was er sich auch für heutige Jugendliche wünschte. Seine Überzeugung im Glauben festigte er in einem katholischen Internat in Regensburg. Er studierte Betriebswirtschaft, ließ sich zum Koch und Restaurantmeister ausbilden, führte eine Wirtschaft und ein Feinkostgeschäft. Politisch arbeitete er sich derweil am Kelheimer Landrat von den Freien Wähler ab, zwei Kandidaturen endeten erfolglos. 2003 zog Neumeyer in den Landtag ein. Seine politische Erfüllung, sagen Vertraute, habe er erst als Integrationsbeauftragter gefunden.

In der Landtags-CSU wussten sie zunächst wenig anzufangen mit dem Mann, der bereits lange vor seinem Amt türkisch zu lernen begann und minutenlang von Istanbul schwärmen kann. 25 Mal habe er die Türkei bestimmt schon besucht, sagt Neumeyer. In der Partei kursiert das Wort vom Türken-Martin, ein Name, den ihm eine Zeitschrift vermacht hat. Er besucht gerne Moscheen und beginnt Gespräche mit Muslimen damit, dass er ein gläubiger Katholik sei. "Glaube als Basis verbindet." Bestimmte CSU-Positionen sind allerdings auch für ihn nicht verhandelbar. Einen EU-Beitritt der Türkei etwa hält Neumeyer "bei aller Liebe" für ausgeschlossen.

Beim Thema Asyl war der 60-Jährige in seiner Partei lange ein Außenseiter. Er merke aber, wie der Zuspruch wachse. Immer öfter wird er eingeladen. Selbst kommunalpolitische Hardliner an der CSU-Basis, die für eine konsequente Rückführung von Asylbewerbern plädieren, würden nun bei Einzelschicksalen weich. "Die aber nicht", bekommt Neumeyer zu hören, wenn Familien plötzlich abgeschoben werden sollen. Jeder Fall sei eben einzeln zu betrachten.

Vielleicht ist es für die CSU angesichts der derzeitigen Lage ja einfach nur opportun, den Integrationsbeauftragten aufzuwerten? Am Aschermittwoch sagte Horst Seehofer noch: Bayern sei "nicht das Sozialamt für die ganze Welt." So ein Satz wird Martin Neumeyer wohl nie über die Lippen kommen, er muss aber auch nicht das ganze Spektrum einer Partei abdecken. Neumeyer fordert lieber für die Versorgung von Flüchtlingen eine Beteiligung aus dem Solidaritätszuschlag. Über mangelnden Platz für Asylbewerber sagt er, seine Partei habe die Dimension wohl lange Zeit nicht wahrhaben wollen. Manch einem wird das immer noch nicht gefallen. Seehofers Rückhalt hat er im Moment.

© SZ vom 17.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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