Aufräumen in der Messie-Wohnung:Wenn der Müll bis zum Hals steht

Aufräumen in der Messie-Wohnung: Michael Schröter bei der Arbeit. In den Wohnungen, die er entmüllt, ist oft kein Fleckchen Boden mehr zu sehen.

Michael Schröter bei der Arbeit. In den Wohnungen, die er entmüllt, ist oft kein Fleckchen Boden mehr zu sehen.

(Foto: oh)

Michael Schröter räumt zugemüllte Wohnungen aus, wühlt sich durch Berge von Zigarettenstummeln und kratzt Dreck vom Boden. Die Messie-Objekte kann er nur mit Schutzanzug und Atemschutzmaske betreten. Unterwegs mit einem Mann, der den schlimmsten Dreck entsorgen muss.

Von Lisa Schnell

Michael Schröter und sein Kollege sind kurz davor, die Kampfzone zu betreten. Ein schneller Blick zwischen Männern. Nicken. Schröter stößt die Tür auf. Vor ihm der Gang einer Wohnung in München. Boden ist nicht in Sicht. Er ist zugemüllt mit Werbeprospekten und Zigarettenstummeln. Die Türen zu den drei Zimmern gehen nur einen Spalt weit auf. Dahinter stapeln sich Kartons und leere Flaschen, Geschirr, Kaffeemaschinen, Vasen, wirr aufeinander geworfen. Drei Quadratmeter Freiheit gibt es in dieser Wohnung. Im Wohnzimmer kann man sich mit ausgestreckten Armen einmal im Kreis drehen. Dann stoßen die Fingerspitzen an Müllberge. Meterhoch.

Die Dreckschicht knirscht, als Schröter den ersten Schritt macht. Da stößt er gegen einen Umzugskarton. Er ist gefüllt mit Cola- und Fantaflaschen, alle randvoll mit Urin. Schröter zieht kurz angewidert einen Nasenflügel hoch. "Das hatte ich noch nie", sagt er. Sonst überrascht ihn nichts in dieser Wohnung. Seit fast zwölf Jahren ist Schröter, 60, "an der Front", wie er es nennt. Er räumt Wohnungen auf von Menschen, die es selbst nicht können, weil sie krank sind. Manche von ihnen sind Messies, krankhafte Sammler. Andere sind psychisch so labil, dass sie und ihre Wohnungen verwahrlosen. Dann rufen die Sozialämter Michael Schröter.

Seine Uniform: eine weiße Latzhose, wie sie Maler tragen. Seine Waffe: Gummihandschuhe. Er kann anpacken, seine Hände sind Pranken, seine Gesichtszüge aber fein, das graue Haar kämmt er jeden Morgen nach hinten. Noch ist sein hellblaues Hemd glatt vom Bügeln. Schröter drückt sich an Abfallbergen vorbei zu einem Sperrmüllhaufen, unter dem eine Küche begraben liegt. "Die hat für sie nicht mehr existiert. Das ist wie im Krieg, wenn ein Stück Land aufgegeben wird, weil es nicht mehr verteidigt werden kann."

Er nimmt ein Foto von der Wand. Es zeigt eine Frau mit dünnem grauen Haar und einem verzagten Lächeln: die Mieterin. 20 Jahre Anti-Depressiva, die machen einen fertig, sagt Schröter. Jetzt liegt sie im Krankenhaus mit Krebs. Bis dahin hauste sie hier mit ihrem 32-jährigen Sohn. "Hier ist es richtig traurig. Hier ist schon alles vorbei", sagt Schröter. Manchmal ist es das nicht. Immer dann, wenn ihn die Betroffenen - Schröter sagt "Patienten" - selbst anrufen. Ein Fünftel seiner Kunden bittet ihn selbst darum, ihre Müllhöhle wieder in eine Wohnung zu verwandeln.

Ohne das Gefühl, anderen helfen zu können, würde Schröter diesen Job nicht machen. Sein Rücken zwickt, wenn er sich bückt, die Knie krachen, wenn er die Müllsäcke die Treppen runter trägt. Seine Freunde bestärken ihn, toll, dass du das machst. Früher hat er gedacht, das sei ein Lob, jetzt sagt er, eigentlich denken sie sich "armes Schwein". Die Leute machen normale, saubere Jobs, aber was er da mache, das sei eine Katastrophe. Doch er will dienen und büßen, denn Michael Schröter denkt, dass er Schuld auf sich geladen hat.

Seine Familie kam aus Preußen. Ehre, Anstand, Würde, das war wichtig bei ihm zu Hause. Und die katholische Kirche. Mit 13 hat er gemerkt, da stimmt was nicht. Da wurde Liebe gepredigt und Kälte gelebt. Mehr als Essen und ein Dach über dem Kopf, erzählt er, bekam er nicht zu Hause. Und Schläge. Mit 18 hat er seine Familie verlassen. Den Katholizismus aber ist er nie losgeworden.

"Der Müll ist für sie wie ein Schutzwall"

"Das ist wie ein Brandzeichen." Jesus, der Schuld abträgt, indem er leidet, diese Vorstellung ist ihm geblieben. Über seine Schuld will er nichts in der Zeitung lesen. Nur so viel: Er war der Kapitän eines Schiffes, das untergegangen ist. Die Verantwortung trage immer der Kapitän. Doch sie war zu schwer für Martin Schröter. Er hatte einen Nervenzusammenbruch, ging in Therapie. Sein Therapeut sagte zu ihm: "Sie wollen leiden. Sie müssen den Jesus schon sehr lieben". Schon bevor Schröters Schiff gekentert ist, waren die Probleme anderer immer auch seine. Für ihn gibt es keine Trennung zwischen ihm und anderen.

"Ich bin Teil von denen und die sind Teil von mir und ihr Leid ist dann auch meines." Mit seiner ersten Frau war er nur zwei Jahre verheiratet, danach verband sie bis zu ihrem Tod eine jahrelange Freundschaft. Auch mit der Mutter seiner zwei Söhne, von der er getrennt lebt, teile er immer noch sein Leben. "Es ist eine Illusion, dass man einfach sagt, ich spuck' über die linke Schulter und dann ist alles weg."

In der vermüllten Münchner Wohnung kriecht ein ätzend scharfer Geruch um die Ecke. Schröter verzieht keine Miene. So ist das eben, er öffnet das Fenster. Sein Kollege hat angefangen, die Urinflaschen auszuleeren. Die Hand, mit der er die Plastikflasche über das Waschbecken hält streckt er weit von sich, mit der anderen hält er sich den Mund zu. Schröter weiß jetzt, wie der Urin hineingekommen ist. Es war der Sohn. Unter den Decken in seinem Bett hat sein Kollege mindestens 50 weitere Flaschen gefunden.

Dabei sah der Sohn so normal aus, gepflegt. Er hätte in einer Bank arbeiten können. Aber so sei das immer. Man sehe den Menschen nicht an, dass sie zwischen Urinflaschen schlafen. Das Zimmer des 32-Jährigen sieht aus wie ein Kinderzimmer. Ans Fenster ist ein bunter Elefant gemalt, auf einem Regal steht ein Stoffdinosaurier. Den Kopf zur Wand. Daneben eine Postkarte. Unter knuddelnden Diddl-Mäusen steht darauf "Ich geb Dich nie mehr her." "Der Müll ist für sie wie ein Schutzwall", sagt Michael Schröter.

Als Schröter den zwanzigsten Sack zuschnürt, reißt er die Arme hoch: "Ich seh' Boden!" Vor ihm liegt ein kleiner Fleck verschmiertes Laminat. Sein Kollege kommt mit einer Packung kleiner Schnapsflaschen. Sie stoßen an, lachen. Der Schnaps ist eines von vielen Fundstücken aus den Müllbergen. Er war noch original verpackt. Genau wie die zwei Hanteln in Schröters Händen. "Die schmeiß' ich nicht weg", sagt er. Wenn er eine Wohnung ausräumt, gehört ihr ganzer Inhalt ihm. Das vereinbart er mit seinen Kunden. Auf diese Art füllt die Caritas ihre Gebrauchtwarenläden. Bei dem Sozialverband hatte er nach seinem Prozess angefangen zu arbeiten. Später gründete er seine eigene Firma. Die Hanteln stellt er auf eine Kommode im Gang zu vier Konservendosen und einem Glas mit Oliven. Lebensmittel kann er nicht in Müllsäcke stecken. Die nimmt er immer mit.

Wie sieht es denn bei ihm in der Wohnung aus? Sein Kollege muss lachen. Schröter findet es nicht lustig. Sonst sprudelt alles aus ihm heraus. Seine Leidensgeschichte, seine Kindheit. Jetzt aber wird er schweigsam. Schröter nestelt an der Plastikverpackung der Hanteln herum. "Das schwappt eben so rüber", sagt er. Er selbst tut sich auch schwer mit dem Wegschmeißen. In seiner Küche sammeln sich die Fundstücke aus den Wohnungen. Wenn es zu schlimm wird, gibt er sich selbst den Auftrag, seine eigene Wohnung zu entmüllen.

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