Atomkraftwerk Isar 1:Improvisation im Katastrophenfall

Was wäre wenn es im AKW Isar 1 zum GAU kommt? Zwar gibt es dünne Infobroschüren. Doch Lokalpolitiker und Bürger zweifeln an den Evakuierungsplänen.

Max Hägler

In den Keller würden die Kinder gebracht. Soweit ist es dem Lehrer klar. "Aber dann? Wir wissen es nicht. Es gibt keinen Plan." Der Mann blickt hilflos auf den Stundenplan an der Wand. Es ist tatsächlich so: Auch nach dem Atomunfall in Japan und 25 Jahre nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl weiß kaum jemand in der Umgebung der Atomanlagen Isar 1 und Isar 2 Bescheid, was passieren soll, wenn die Sirene im Landkreis Landshut eine Minute heult.

Atomkraftwerk Isar

Atomkraftwerk Isar I: Lokalpolitiker und Bürger zweifeln an den Evakuierungsplänen.

(Foto: dpa)

Natürlich gibt es die dünne Info-Broschüre, die der Betreiber alle fünf Jahre an die Haushalte in der Umgebung verteilt. Die Essenz: Radio einschalten. Mehr weiß der Lehrer nicht, der eine leitende Funktion hat, aber nicht genannt werden will, weil er tatsächlich Repressalien fürchtet, wenn er Sorgen um das Wohlergehen seiner Schüler äußert. Mehr wissen die meisten Leute auf den Straßen in Landshut, Niederaichbach oder Dingolfing nicht.

Und selbst die Kommunalpolitiker sind unsicher. Erst vor einigen Tagen hat die SPD-Fraktion im Kreistag einen Fragenkatalog präsentiert: Da wird auf Fluchtrouten hingewiesen, "deren Sinnhaftigkeit nicht sofort erschlossen werden kann". Als diskutiert wird, dass 80 Prozent der Bürger mit dem eigenen Auto flüchten würden, bemerkt ein CSU-Rat: Das gibt doch ein Verkehrschaos auf den Isar-Brücken.

Hellmut Böhmisch, ein ruhiger, älterer Beamter mit überfülltem Aktenkoffer, ist bei der Regierung von Niederbayern zuständig für den Katastrophenschutz. Er ist derjenige, der ein solches Großszenario wohl am genauesten durchdacht hat - und er beschwichtigt: "Perfekt ist nichts, aber wir sind gut, und wir sind vorbereitet." Mit 30 Leuten würde Böhmisch bei einem GAU einen EDV-Schulungsraum zu einem Lagezentrum umfunktionieren. Veterinäre würden dort sitzen, viele Polizisten, Strahlenmediziner. Das Atomreaktor-Fernüberwachungssystem würde von Augsburg aus Messwerte und Prognosen übermitteln.

"Wir sind der Kopf, der bei einem GAU die Grundsatzentscheidungen trifft", sagt Böhmisch. Vorausgesetzt allerdings, Wind und Wetterlage lassen das Treffen 15 Kilometer westlich der Atomanlage überhaupt zu: Das Lagezentrum ist nicht abgesichert gegen Radioaktivität. Aber der Regierungsamtsrat ist trotzdem guter Dinge. Stahlbeton biete einen wirksamen Schutz gegen radioaktive Strahlung. Und letztlich gelte: "Wir müssen immer improvisieren." Wer das beherrsche, sei ein guter Katastrophenschützer. "Ich kann nicht berechnen, dass der Busfahrer Maier Alois mit genau diesem und jenem Bus zu der Schule fährt, um die Kinder wegzubringen", sagt Böhmisch.

Werkstattzeiten, Urlaubstage, ausgeschaltete Handys - manche Detailplanungen sind schlicht nicht machbar. Immerhin existieren Listen sämtlicher Busunternehmen. Der ebenfalls zu bildende Krisenstab des Landratsamtes müsste zu den Telefonen greifen und Busse und Fahrer zu den Schulen, Altenheimen, Kindertagesstätten beordern. "Wir haben 2000 Busse in Niederbayern, wir bringen das locker hin", beteuert Böhmisch. Der Katastrophenschützer setzt dabei auf den Faktor Zeit. Fukushima zeige, dass sich ein Atomunglück über Stunden und Tage ankündige. Diese Zeit "vor der Freisetzung" reiche wohl zur geordneten Evakuierung.

Was sich währenddessen innerhalb der Werkstore abspielt, das ist übrigens nicht Sache der Katastrophenschützer - sondern eine Aufgabe für den Energiekonzern und die Atomaufsicht. Die Bekämpfung eines Brandes, auch einer Kernschmelze, würde dabei womöglich ablaufen, wie in Japan seit Wochen zu sehen: Feuerwehrspritzen pumpen die größtmögliche Menge Wasser auf das Reaktorgebäude. "Wir üben solche Szenarien", sagt Kreisbrandrat Thomas Loibl, der oberste Feuerwehrmann im Landkreis.

Seine Truppen würden nach der Werksfeuerwehr alarmiert werden. Er glaubt, dass die Vorsorge in Niederbayern "ein bisschen besser" ist als in Japan, auch wegen der gut organisierten Werksfeuerwehr mit ihrem starken Gerät. Zwölf Bar haben deren Druckpumpen. "Da musst du dich schon mit gespreizten Beinen hinstellen, um den Schlauch zu halten", sagt Loibl. Aber würden sich denn seine Leute dahinstellen? Schließlich sind es alles freiwillige Helfer. "Grundsätzlich sind wir diejenigen, die reingehen, wenn andere weglaufen", sagt Loibl. Er zögert. "Aber diese Situation wäre natürlich anders."

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