Asylpolitik:Handwerksbetriebe wollen Flüchtlinge einstellen - dürfen aber nicht

Nach Attentat bei Ausbildung nicht nachlassen

In Bayern wird weiterhin um die Auslegung der 3-plus-2-Regel gestritten.

(Foto: Sven Hoppe/dpa)
  • In zahlreichen Handwerksbetrieben können Stellen im neuen Ausbildungsjahr nicht besetzt werden.
  • Viele Flüchtlinge dürfen nicht als Azubis anfangen. Es hängt von ihrem Aufenthaltsstatus ab, ob sie einen Vertrag bekommen können.
  • Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) befürchtet, dass die Aussicht auf Arbeit noch mehr Asylbewerber nach Bayern anlockt.

Von Maximilian Gerl und Wolfgang Wittl, Aham/München

Als Elektriker Jürgen Schluder aus Aham bei Landshut seinen neuen Azubi bei der Kammer meldete, war er froh, jemanden gefunden zu haben. Bewerber sind rar, ausgebildete Fachkräfte noch rarer. "Ich kenne keinen Elektriker im Umkreis von 50 Kilometern, der keine Verstärkung suchen würde", sagt Schluder.

An diesem Freitag soll seine Verstärkung, ein junger Mann, bei ihm anfangen - theoretisch. Denn der junge Mann lebt zwar seit mehreren Jahren in Aham, spricht Deutsch, spielt im Fußballverein. Aber er stammt aus Senegal. Sein Asylantrag wurde abgelehnt. Dass er mit der Ausbildung beginnen darf, hat die Ausländerbehörde bislang nicht genehmigt. "Wir haben seit einem Jahr einen gültigen Vertrag", sagt Schluder, aber so wie die Sache aussehe, "wird er am Freitag nicht da sein".

Kein Einzelfall. An diesem Freitag beginnt das neue Ausbildungsjahr. Zuletzt hatte sich abgezeichnet, dass mehrere Tausend Asylbewerber im Freistaat eine Lehre beginnen könnten - mehr als je zuvor. Aus ganz Bayern melden Unternehmen, dass Behörden ihren Azubis immer noch keine Ausbildungsgenehmigung erteilt hätten. Das Unverständnis ist groß.

In wie vielen Fällen bayernweit eine Ausbildungsgenehmigung fehlt oder verweigert wird, weiß niemand. Es gibt, wie so oft in der Migration, keine verlässlichen Zahlen, weil sie nicht erhoben werden. Zu groß ist der bürokratische Aufwand. Flüchtlingshelferin Petra Nordling vermutet, dass Hunderte Menschen und Betriebe betroffen sein dürften: Allein sie verzeichne "täglich um die zwanzig" neue Fälle, und das nur in Ostbayern.

Nordling ist über solche Dinge meist gut informiert, die Vilsbiburgerin ist in der Region vernetzt, hält Kontakt zur Staatsregierung, zu Betrieben und anderen Ehrenamtlichen, tritt im Fernsehen auf. Neulich traf sie in einer RTL-Wahlsendung auf Kanzlerin Angela Merkel. Nordling fragte, warum es Flüchtlinge in Bayern schwerer hätten als in anderen Bundesländern, eine Arbeit aufzunehmen. Sie wünscht sich eine pauschale Erleichterung für alle Asylbewerber. Die Staatsregierung indes will mit Verweis auf mögliche Straftäter und Identitätstäuscher jeden Einzelfall prüfen lassen. Merkel versprach, der Sache nachzugehen.

Das Problem ist nicht neu. Seit etwa einem Jahr gilt die sogenannte 3-plus-2-Regelung, genau so lange wird über ihre Auslegung debattiert. Die Regelung sieht vor, dass Flüchtlinge, die eine Ausbildung beginnen, ihre dreijährige Lehre beenden und danach zwei Jahre in Deutschland arbeiten dürfen. Unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus - sagen Flüchtlingshelfer wie Nordling.

Strenge Auslegung der " 3-plus-2-Regelung"

Das bayerische Innenministerium hingegen sagt, eine Ausbildungsduldung komme laut Gesetz erst in Betracht, wenn der Asylantrag abgelehnt worden sei. Sie bestehe etwa nicht, wenn "konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung" bevorstünden. "Für die Anwendung der 3-plus-2-Regelung ist es daher nicht ausreichend, dass ein Unternehmen einen Ausländer - völlig unabhängig von seinem Aufenthaltsstatus - einstellen will."

In einem Schreiben an Ahamer Flüchtlingshelfer macht Innenminister Joachim Herrmann (CSU) deutlich, was er unter konkreten Maßnahmen zu Aufenthaltsbeendigung versteht. Sie stünden immer schon dann bevor, wenn die Ausländerbehörde konkrete Schritte "auch nur eingeleitet hat" - also etwa eine Aufforderung an den Asylbewerber verschickt habe, bei einer Botschaft seines Herkunftsstaates einen Pass zu beantragen. Zum Vergleich: Das Innenministerium Nordrhein-Westfalens setzt die Schwelle deutlich niedriger an. "Konkrete Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung stehen bevor, wenn die Abschiebung bereits terminiert ist", heißt es dort.

Die rigorose Sicht von Innenminister Herrmann ist auch innerhalb der CSU umstritten. Herrmann befürchtet einen sogenannten Pull-Effekt. Das heißt: Die Aussicht auf Arbeit könne noch viele Asylbewerber mehr nach Bayern locken. Landtagspräsidentin Barbara Stamm plädiert dafür, Flüchtlinge lieber in Arbeit zu bringen. Es sei nicht gut, "die Menschen einfach rumsitzen zu lassen" - weder für sie selbst noch für die heimische Bevölkerung noch für die Wirtschaft.

Stamm fordert nach der Bundestagswahl eine Altfallregelung. Damit würden bereits in Bayern lebende Asylbewerber in Arbeit kommen, ein Pull-Effekt aber vermieden. "Außerdem brauchen wir eine einheitliche Handhabung in den Ausländerbehörden." Denn nicht jede Behörde nutzt den Spielraum so, wie es Ministerpräsident Horst Seehofer wünscht - sondern agiert oft strikter.

Die Opposition ist alarmiert. Die SPD-Abgeordnete Angelika Weikert berichtet von zahlreichen Hilferufen. Die Staatsregierung müsse jetzt Auskunft geben über ihre "uneinheitliche und teils restriktive Vorgehensweise bei der Erteilung von Ausbildungserlaubnissen". Das wünscht sich auch Flüchtlingshelferin Nordling. Sie sagt, sie verstehe Herrmanns Kurs nicht: Wer nicht arbeiten und Geld verdienen dürfe, beziehe vom Staat Alimente - "eine riesige Steuerverschwendung, die man vermeiden könnte".

Auch Elektriker Schluder versteht nicht, warum sein neuer Azubi kein Azubi sein darf. "Mir ist bewusst, dass nicht jeder Flüchtling eine Lehre beginnen kann", sagt er. Aber wenn es zwischen Bewerber und Betrieb passe, "dann muss man halt mal eine Ausnahme machen".

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