Gutachten:Bayerns Verfassungsklage gegen die Bundesregierung wäre kein Novum

  • Die bayerische Staatsregierung will erneut über eine Verfassungsklage wegen der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung beratschlagen - und das, obwohl die CSU an der Regierungskoalition in Berlin beteiligt ist.
  • Kritik daran kommt von der SPD: Fraktionschef Thomas Oppermann sprach von einem bisher einzigartigen Vorgang.
  • Doch ein Gutachten zeigt, dass sich außer der CSU bereits drei andere Parteien diese "politische Schizophrenie" erlaubt haben.

Von Robert Roßmann, Berlin

Die bayerische Staatsregierung will an diesem Dienstag erneut über eine Verfassungsklage gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung beraten. In den vergangenen Monaten hat Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) der Kanzlerin mehrmals mit der Klage gedroht. Eingereicht hat der Freistaat sie jedoch noch nicht. Die Debatte hat in der großen Koalition in Berlin aber schon erheblichen Unmut ausgelöst.

Die Drohung Seehofers sei "die Ankündigung des Koalitionsbruchs", sagte Thomas Oppermann Ende Januar. Der SPD-Fraktionschef sprach von einem einzigartigen Vorgang: "Es hat so etwas in Deutschland noch nicht gegeben, dass in einer Koalition ein Koalitionspartner gegen den anderen klagt."

Kritik der SPD an möglicher Klage

Am Montag legte der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner nach. Gegen sich selbst zu klagen sei "eine Art politischer Schizophrenie, die sich Deutschland nicht leisten kann". Spätestens wenn Bayern die Verfassungsklage gegen die Bundesregierung tatsächlich beschließe, sei es "Time to say goodbye". Dann müsse "die CSU ihren Austritt aus der Bundesregierung erklären, oder Frau Merkel ihre Richtlinienkompetenz ausüben und sich trennen".

So einzigartig, wie die SPD behauptet, ist das angedrohte Vorgehen Bayerns aber nicht. Ein neues Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags zeigt, dass es in der Geschichte der Bundesrepublik bereits 23 Bund-Länder-Streitverfahren vor dem Verfassungsgericht gab. In immerhin neun dieser Fälle sei es um Verfahren von Ländern gegen den Bund "mit parteipolitischer (Teil-)Identität zwischen Landesregierung(en) und Bundesregierung" gegangen. Eine Verfassungsklage des CSU-regierten Bayerns gegen die CDU-SPD-CSU-Koalition im Bund wäre also alles andere als ein Debüt.

Wer bereits gegen die Bundesregierung klagte

Das Gutachten, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt, zeigt, dass sich außer der CSU auch schon drei andere Parteien die "politische Schizophrenie" erlaubt haben. Den Anfang machte das von der CDU regierte damalige Bundesland Baden mit einer Klage gegen die Regierung von Konrad Adenauer (CDU). Die FDP klagte als Teil einer Landesregierung in Nordrhein-Westfalen gegen eine Bundesregierung, an der sie beteiligt war. Die SPD war als Teil der Landesregierungen von Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg an zwei Verfassungsklagen gegen die Bundesregierung von Gerhard Schröder (SPD) beteiligt.

"Die große Aufregung bei der SPD über eine Verfassungsklage Bayerns ist deshalb völlig unnötig", sagt Bundestagsvizepräsident Johannes Singhammer (CSU). Die Häme der SPD sei auch wegen eines anderen Ergebnisses unangebracht. In dem Gutachten heißt es: "Anhaltspunkte dafür, dass sich eine parteipolitische Identität oder Teilidentität zwischen einer Landes- und der Bundesregierung auf die Begründetheit eines Bund-Länder-Streitverfahrens auswirken könnte, sind nicht ersichtlich."

Trotzdem dürfte eine Klage Bayerns vor dem Verfassungsgericht kaum Erfolg haben. Im Kanzleramt heißt es, Seehofer würde sich nur "eine dritte Klatsche" in Karlsruhe holen - nach den Niederlagen im Streit um das Betreuungsgeld und die PKW-Maut. Um die geringen Aussichten wird auch Seehofer wissen. Und so wird seine Staatsregierung an diesem Dienstag vermutlich Gründe finden, warum sie die Klage trotz aller Ankündigungen immer noch nicht einreicht.

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