Asylbewerber aus Afghanistan:Warten und Putzen

Asylbewerber aus Afghanistan: Javad Saberi floh als Kind nach Iran, nachdem Taliban-Milizen seinen Vater erschossen hatten. Vor drei Jahren kam er nach Deutschland.

Javad Saberi floh als Kind nach Iran, nachdem Taliban-Milizen seinen Vater erschossen hatten. Vor drei Jahren kam er nach Deutschland.

(Foto: Robert Haas)

Seit drei Jahren wartet der Afghane Javad Saberi auf einen sicheren Aufenthaltsstatus in Deutschland. Obwohl der Ingenieur hochqualifiziert ist, besteht sein Tag aus Putz-Jobs und der Frage, ob er zurück muss ins Land der Mörder seines Vaters.

Von Stefan Mühleisen

Er muss warten, hat ihm der Anwalt gesagt. Javad Saberi verzieht den Mund. Wie lange, habe er den Anwalt gefragt, wie lange müsse er noch warten? "Weiß Gott", sagte der. Immerhin: Der 28-jährige Absolvent für Wasser- und Bewässerungsingenieurwesen an der Universität Teheran darf hier in München arbeiten. Als Putzhilfe.

Javad Saberi ist einer von 100 937 Menschen, die nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in diesem Jahr bis Ende Oktober in Deutschland einen Asylantrag gestellt haben, in Bayern waren es bis zu diesem Zeitpunkt 14 682. Nach langer und oft gefährlicher Flucht sind sie auf sicherem Boden - und müssen warten. Monatelang. Jahrelang.

Exilant ist Saberi schon seit seiner Kindheit. Als er zwölf Jahre alt ist, stürmt eines Morgens ein Trupp Taliban-Milizen in das elterliche Haus in Herat, der drittgrößten Stadt Afghanistans. Sie erschießen seinen Vater, einen Polizisten und erklärten Gegner der islamistischen Bewegung. "Noch in der gleichen Nacht sind wir über die Grenze nach Iran", berichtet Saberi. Die Verwandten sagen: Ihr könnt nie mehr zurück, die Taliban kriegen euch.

"Ihr Studium ist beendet, Sie müssen das Land verlassen"

Im Iran lässt sich die Familie zunächst in Mashhad, dann in Teheran nieder, geduldet, aber illegal. Das zeigt sich schmerzlich, als Javid Saberi mit seinem Uni-Abschluss in der Tasche seine Aufenthaltsgenehmigung verlängern will. "Ihr Studium ist beendet, Sie müssen das Land verlassen", teilte man Saberi mit. Sein nächstes Ziel: Europa. 2000 Euro hätten die Schleuser pro Person für den Transfer nach Griechenland verlangt. In Athen geht der Rest des Ersparten für zwei Flugtickets für Saberi und seine Mutter nach München drauf. Die Schwester bleibt mit ihrem Mann in Athen.

Doch mit der Ankunft am Flughafen am 21. Dezember 2010 geht das zermürbende Warten los, bis die Behörden entscheiden. Es dauert bis heute an. Javad Saberi wird zunächst in der Erstaufnahmeeinrichtung in der Münchner Baierbrunner Straße einquartiert, einige Wochen später nach Grafenau in Niederbayern verlegt. Seine Mutter bleibt in München. Nach drei Monaten wird der junge Afghane zur sogenannten "Sachverhaltsaufklärung" einbestellt, wie eine BAMF-Sprecherin die erste offizielle Befragung eines Flüchtlings nennt. "Die Asylbewerber haben hier über mehrere Stunden Gelegenheit, ihre Situation vorzutragen", so die Sprecherin.

Zwei Jahre bis zur Entscheidung

Im Fall des jungen Afghanen kam es im Vergleich zu anderen Fällen ziemlich schnell zu diesem "Herzstück des Asylverfahrens", wie es das BAMF nennt. Die Behörde prüft dabei auch, ob das Dublin-Abkommen greift, also ob ein anderes EU-Land, in dem Saberi möglicherweise schon vorher Asyl beantragt hat, zuständig ist. Bis Ende Oktober hat das Bundesamt republikweit 22 708 Übernahmeersuchen an EU-Mitgliedsstaaten gestellt - aber nur 4081 Asylbewerber mussten tatsächlich das Land verlassen.

Nach der Erfahrung von Saberis Anwalt, dem Münchner Migrationsrechtler Werner Dietrich, warten manche Asylbewerber bis zu einem Jahr auf diesen wichtigen Interview-Termin. "Es kann dann noch ein Jahr dauern, bis das Bundesamt entscheidet." Das liege auch daran, dass oft nicht der Interviewer die Entscheidung treffe, sondern die Befragungsakten an andere Außenstellen verschickt würden. "Da befindet ein Mitarbeiter über den Antrag, der den Menschen gar nicht gesehen hat", sagt Dietrich. Sein Klient Saberi bekam relativ zeitnah Post vom Entscheider: Asylantrag abgelehnt.

Wie so viele nimmt sich der 28-Jährige einen Anwalt - und klagt gegen die Entscheidung. Im ersten Halbjahr 2013 wurden laut BAMF bundesweit 15 715 Verwaltungsgerichtsentscheidungen in Asylsachen getroffen; zum 30. Juni waren 28 823 Verfahren noch anhängig.

Zurück zu den Taliban

Saberi muss bis Herbst 2011 auf seinen Gerichtstermin warten. Ein halbes Jahr später steht fest: Klage abgewiesen. "Für Afghanen herrscht die Auffassung, dass junge, kräftige und intelligente Antragsteller innerstaatlich eine Fluchtalternative finden können", erklärt Anwalt Dietrich die Entscheidung. Die Taliban, so gibt er die Argumentation wieder, seien wegen ausländischer Truppenpräsenz zurückgedrängt. Dietrich: "Das stimmt aber nicht." Er legte Beschwerde gegen das Urteil ein, "um Zeit zu gewinnen", wie er sagt.

Nach Paragraf 25 des Aufenthaltsgesetzes wird die Aufenthaltserlaubnis aus "humanitären Gründen" erteilt, wenn die Ausreise aus "rechtlichen oder tatsächlichen" Gründen unmöglich ist und die Abschiebung seit 18 Monaten ausgesetzt ist. Saberi argumentiert, er könne und wolle seine schwer kranke Mutter nicht zurücklassen. Die muss wegen eines chronischen Herzleidens ständig zum Arzt; ihr Asylantrag ist angenommen. Anderthalb Jahre hatte Saberi nahezu sein gesamtes Taschengeld in Zugtickets gesteckt, um von Grafenau zu ihr nach München zu fahren.

Putzen bis zum Informatikstudium

Zuständig für seinen Fall ist jetzt die Ausländerbehörde der Stadt München. Die prüft, ob Javad Saberi ein Fall für die neuen Asylbestimmungen im Koalitionsvertrag der Bundesregierung ist: Menschen, die sich gut integrieren, sollen demnach Aufenthaltsrecht bekommen. Saberi will unbedingt Informatik an der TU studieren. Er hat schon mehrere Deutschkurse absolviert, die nötigen Dokumente von der Uni Teheran - Zeugnisse, Studiengebührennachweise, Anmeldeformulare - mühsam organisiert und von der "Zeugnisanerkennungsstelle" beglaubigen lassen. Er gibt einem Informatikstudenten Mathe-Nachhilfe und arbeitet beim Migrantenhilfsverein "Hilfe von Mensch zu Mensch". Er kann eine lückenlose Schulbildung, Uni-Abschluss und Praktika nachweisen. Dennoch darf er nur einfache Jobs annehmen, weil er kein "bevorrechtigter Arbeitnehmer" ist. Das sind Deutsche, EU-Bürger oder anerkannte Flüchtlinge. So geht er Putzen. Und wartet.

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