Asyl:Zahl der Suizidversuche von Flüchtlingen in Bayern hat sich verdreifacht

  • 2016 haben in Bayern 162 Flüchtlinge versucht, sich selbst zu töten. Das geht aus einer Landtagsanfrage der Grünen hervor. Vier davon starben.
  • Ob die Versuche im Kontext mit drohenden Abschiebungen zu sehen sind, geht aus der Statistik nicht hervor.
  • Kritik von den Grünen, die in diese Richtung zielte, wies das Sozialministerium als "haltlosen und ehrverletzenden Vorwurf" zurück.

Von Dietrich Mittler

In Bayern haben im Vorjahr 162 Flüchtlinge einen Suizidversuch unternommen, vier von ihnen kamen ums Leben. Dies geht aus einer Landtagsanfrage der Grünen hervor. "Das ist mehr als eine Verdreifachung gegenüber den Vorjahren", sagte Christine Kamm, die asylpolitische Sprecherin der Grünen. Mitverantwortlich für diese Entwicklung macht Kamm die bayerische Asylpolitik. "Die Politik der Staatsregierung treibt die Menschen in die Verzweiflungstaten", sagte sie. Das Sozialministerium erklärte am Freitag: "Zu solch einem haltlosen und ehrverletzenden Vorwurf werden wir uns nicht äußern." Die Zunahme der Fallzahlen erkläre sich möglicherweise auch durch "die Zunahme der Zahl der untergebrachten Asylbewerber insgesamt".

Kamm indes insistierte: "Bayern soll seine Politik, unter den Flüchtlingen Panik zu erzeugen, endlich beenden." Auf ihre Frage, wie viele der Suizide oder Suizidversuche "in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit Abschiebeanordnungen oder Abschiebeversuchen" stehen, hatte sie die Antwort erhalten: "Entsprechende Daten werden in der polizeilichen Kriminalstatistik nicht erfasst und können mit vertretbarem Aufwand innerhalb der zur Beantwortung der Schriftlichen Anfrage stehenden Zeit auch nicht ermittelt werden."

In der polizeilichen Statistik werden als Gründe für die Suizidversuche in 64 Fällen "Krankheit, Schwermut, Nervenleiden" genannt. In acht Fällen seien "Familienzwistigkeiten" der Auslöser gewesen, in neun Fällen "Liebeskummer", in dreien "wirtschaftliche Notlage" sowie in zwei Fällen "Drogenabhängigkeit". Beim Gros der Fälle blieb das Motiv für die Ermittler im Dunkeln. Hier vermerkten die Beamten: "Sonstiger oder nicht erkennbarer Grund." Auffallend ist, dass wohl insbesondere Afghanen versucht haben, sich das Leben zu nehmen - laut Kamm gab es 2016 "43 Suizidversuche von afghanischen Flüchtlingen".

"Ich merke schon, dass unter den Afghanen eine große Unruhe herrscht, auch aufgrund der Abschiebungsandrohungen", sagte die Münchner Ärztin Rabee Mokhtari-Nejad, die sich in der Nußbaumklinik speziell um psychisch kranke Menschen mit Migrationshintergrund kümmert. Aus ihrer Sicht sind es zwei Faktoren, die mit in die Krise führen: die Kriegs- und Fluchterlebnisse im Heimatland sowie belastende Umstände im Aufnahmeland. Man müsse bedenken, dass in Afghanistan seit Jahrzehnten Krieg herrsche, viel länger als etwa in Syrien. Und das hinterlasse Spuren.

Bei vielen "kommt das Trauma wieder hoch"

"Bei uns sind die Afghanen mit Abstand die größte Gruppe, die in Therapie ist", sagte Jürgen Soyer, der Geschäftsführer des Münchner Beratungs- und Behandlungszentrums für Flüchtlinge und Folteropfer "Refugio". Dass die verstärkten Abschiebungen nach Afghanistan nun bei potenziell betroffenen Flüchtlingen Angst auslöse, stehe außer Zweifel. "Bei ihnen kommt das Trauma wieder hoch", sagte Soyer. Und was geradezu dramatisch sei: "Es trifft auch ganz viele, die längst ein Aufenthaltsrecht haben. Auch Menschen, die wir durch unsere Therapie wieder stabilisieren konnten."

Soyer gehört daher zu jenen, die die von der Staatsregierung mitgetragene Abschiebepolitik mit großer Skepsis betrachten: "Für diese relativ wenigen Leute, die man bisher nach Afghanistan abgeschoben hat, stürzt man hier nun Tausende wieder in psychische Katastrophen." Auch in diesem Jahr gab es bereits Suizidversuche von Afghanen, etwa im Kreis Eichstätt. "Ich befürchte, dass uns das noch mehr beschäftigen wird", sagte Jürgen Soyer.

Anmerkung der Redaktion: Wenn Sie sich selbst betroffen fühlen, kontaktieren Sie bitte umgehend die Telefonseelsorge (www.telefonseelsorge.de). Unter der kostenlosen Hotline 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhalten Sie Hilfe von Beratern, die schon in vielen Fällen Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen konnten.

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