Asyl:Bürgerkrieg in Garmisch - aber wo?

Asyl: Das Abrams ist arg in Verruf geraten. Innerhalb eines Jahres rückte die Polizei 60 Mal aus.

Das Abrams ist arg in Verruf geraten. Innerhalb eines Jahres rückte die Polizei 60 Mal aus.

(Foto: Stephan Rumpf)
  • Die Bürgermeisterin von Garmisch-Partenkirchen beklagte in einem vertraulichen Schreiben eine "erheblich ansteigende Zahl von Gewaltdelikten" in einer Flüchtlingsunterkunft.
  • Ausländische Medien berichteten daraufhin, Flüchtlinge hätten in Garmisch die Macht übernommen.
  • Personen vor Ort zeichnen ein sehr viel differenzierteres Bild. Und auch die Zahlen sprechen gegen eine Eskalation.

Von Matthias Köpf, Garmisch-Partenkirchen

Anton Speer, Iliyas Ahmadi, Hans Steinbrecher und der junge Nigerianer, der sich gerade als Martin vorgestellt hat, sind wohl grundverschiedene Männer. Aber in einem sind sie sich einig. Martin sagt es am kürzesten: "No fights! Nothing!", beteuert er. Aber Problems! Das Essen sei schlecht, Bauchweh, die Aufenthaltsgenehmigung abgelaufen, er zeigt auf das Datum: 30. September.

Um den Wortführer hat sich jetzt ein halbes Dutzend Schwarzafrikaner versammelt, die sich selbst nur sehr schwer verständlich machen können. Das seien die Strukturen, die sich hier herausbilden, sagt Iliyas Ahmadi, der die Flüchtlingsunterkunft im Garmischer Abrams-Komplex leitet. Sicherheitsmann Jörg Pappenberger verfolgt die kleine Aufregung am Gang gelassen.

Er kennt auch andere Einrichtungen. "Hier ist es für uns ein traumhaftes Arbeiten." Von ausufernder Gewalt, von einer Machtübernahme der Schwarzen, gar von einer Art Bürgerkrieg, wie sie zuletzt manche hier ihn Garmisch-Partenkirchen erkannt haben wollten, gibt es an diesem Tag im Abrams-Komplex keine Spur.

Die Bürgermeisterin hatte das Aufsehen selbst ausgelöst, indem sie den Behörden einen Brief geschrieben hat. Der sollte zwar vertraulich bleiben, ging aber auch an die Fraktionen im Gemeinderat. Dort hat die SPD-Frau Meierhofer keine eigene Mehrheit und außerdem nicht nur Freunde.

Und so wurde bald öffentlich, dass Meierhofer in dem Schreiben die "erheblich ansteigende Zahl von Gewaltdelikten" durch die Bewohner der Flüchtlingsunterkunft beklagt. Das Ausmaß der Gewalt sprenge "das Maß des bisher Erlebten und Vorstellbaren", es häuften sich Bürgerbeschwerden. Die Wirtschaft empfehle weiblichen Angestellten, bei Dunkelheit das Ortszentrum zu meiden. Für einen Tourismusort seien "derartige Entwicklungen fatal".

Asyl: Ein Bürgerkrieg? Das ist übertrieben. Über zu viele Einsätze im Abrams-Komplex klagt die Polizei dennoch.

Ein Bürgerkrieg? Das ist übertrieben. Über zu viele Einsätze im Abrams-Komplex klagt die Polizei dennoch.

(Foto: Stephan Rumpf)

In Garmisch und in halb Europa gibt es viele Menschen und Medien, die nur zu gern von einer Machtübernahme der Flüchtlinge mitten in Merkels Deutschland hören, und so klang das Echo auch in den einschlägigen Internetportalen, das der Garmischer Landrat Anton Speer (Freie Wähler) für "freilich katastrophal" hält. Meierhofer sei da vielleicht unter Druck gestanden von manchen Leuten im Ort, weil die Afrikaner die Bänke im Kurpark besetzt hätten, um dort das Gratis-Wlan zu nutzen.

Das größte Problem, das sich an diesem regnerischen Tag im Kurpark erkennen lässt, ist das viele Laub der Buchen und Ahornbäume. Der Gärtner hat schon den Laubbläser bereitgelegt, eine ältere Dame sammelt noch die schönsten Blätter. Auf dem schmalen Weg zwischen Park und der Rückseite der Ladenzeile schieben zwei junge Afrikaner ihre Fahrräder.

60 Einsätze bis September - die Polizei klagt über Überlastung

Den Abrams-Komplex haben lange die Amerikaner genutzt, nach dem Krieg erst weiter als Lazarett, später als Erholungszentrum für Soldaten und als Hotel. "Edelweiss Lodge and Resort" steht noch an vielen Glastüren. Inzwischen gehört das Gelände dem Bund.

2014 kamen erste Flüchtlinge, im September 2015 richtete der Landkreis hier die Not-Erstaufnahme ein, die der Abrams-Komplex immer noch ist. Es ist die letzte in der Verantwortung eines Kreises, bald soll auch hier die Regierung übernehmen. Von der Drohung aus dem Brief der Bürgermeisterin, die weitere Nutzung über das Planungsrecht zu verhindern, zeigen sich Kreis und Regierung wenig beeindruckt.

Bald soll es hier neben den freiwilligen Helfern auch Asylsozialberater geben, sagt Landrat Speer, man arbeite an einer Videoüberwachung, und am Wochenende ließ die Polizei gar ihre Reiterstaffel aus Rosenheim antraben, um Präsenz zu zeigen. Der Polizeipräsident nennt "neben der objektiven Sicherheit" auch das Sicherheitsgefühl "ein essenzielles Grundbedürfnis".

Die Beamten der Polizeiinspektion, die selbst über eine Überforderung vor allem im September wegen dauernder Einsätze im Abrams-Komplex geklagt hatten, waren laut Statistik des Präsidiums in den vergangenen zwölf Monaten genau 60 Mal in der Gemeinschaftsunterkunft, davon 17 Mal im September und meist wegen Beleidigungen, Sachbeschädigungen, Bedrohungen, aber auch wegen Körperverletzung. Ausschließlich innerhalb des Abrams und unter den Flüchtlingen selbst. Lediglich eine Mitarbeiterin des Landratsamts wurde strafwürdig beleidigt.

Asyl: Eine junge Frau aus der Flüchtlingsunterkunft hält eine Merkel-Autogrammkarte in die Kamera.

Eine junge Frau aus der Flüchtlingsunterkunft hält eine Merkel-Autogrammkarte in die Kamera.

(Foto: Stephan Rumpf)

Hans Steinbrecher, der beim Garmischer BRK für den Rettungsdienst verantwortlich ist und im Abrams ehrenamtlich Sanitätsdienst leistet, weiß von keinen ernsten Zwischenfällen zu berichten. BRK-Bereitschaftsleiter Michael Debertin spricht eher von Blessuren vom Fußballspielen. Dass sich ihre Ehrenamtlichen angeblich nicht mehr ins Abrams trauen, davon haben beide zwar gehört, aber noch nie von den Ehrenamtlichen selbst. "Die machen das alle freiwillig und gerne", sagt Debertin. Die Flüchtlinge hülfen sich oft gegenseitig, und wenn es doch Reiberereien gebe, dann sei das Abrams groß genug, sich aus dem Weg zu gehen.

Junge Männer treten bestimmter auf als Flüchtlingsfamilien

Auf den 44 000 Quadratmetern hätten weit mehr Menschen Platz als die 325, für welche die Erstaufnahme gedacht ist. Aktuell leben 231 Menschen hier, 20 wurden gerade verlegt. Die größten Gruppen sind 64 Nigerianer, 55 Afghanen und 41 Somalier. An den Grenzen kämen derzeit eben zu 88 Prozent junge Afrikaner an, sagt Florian Hibler vom Garmischer Ausländeramt. Und sie träten oft bestimmter auf als die syrischen Familien, die zuvor die meisten im Abrams waren.

Im Abrams lehnen sie in Badelatschen im Foyer vor dem Speisesaal und tippen in ihre Handys, denn freies Wlan gibt es neuerdings auch hier drinnen. Kinder gibt es im Abrams auch noch. Die Gemeinde hat für sie eine Schule eingerichtet, so wie sich viele Garmischer bisher überhaupt mit Geschlossenheit für die Flüchtlinge eingesetzt haben. Dann hat die Bürgermeisterin einen Brief geschrieben. Am Wochenende demonstriert in Garmisch die AfD.

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