Gewalt in Asylunterkünften:"Du glaubst, hier kann es Frieden geben?"

Gewalt in Asylunterkünften: In der Traglufthalle in Karlsfeld haben die Bewohner kaum Privatsphäre.

In der Traglufthalle in Karlsfeld haben die Bewohner kaum Privatsphäre.

(Foto: Toni Heigl)

Rassismus, Alkohol, Schlägereien - in den großen Sammelunterkünften für Flüchtlinge in Bayern ist Gewalt inzwischen an der Tagesordnung.

Von Lisa Schnell, Karlsfeld

Gregor Feindt sagt, er hat es schon gespürt an diesem Tag Anfang Januar. Als er - die Flüchtlinge nennen ihn "Kümmerer" - von seinem kleinen Container-Büro in die Traglufthalle trat, dachte er schon: "Heut liegt was in der Luft." In dieser Traglufthallen-Luft, die fast 300 Asylbewerber atmen, die immer bläulich zu schimmern scheint, weil das Tageslicht nur zu 70 Prozent durch die Plane dringt und die jetzt um 14 Uhr nach Kantinenessen riecht.

Etwa 300 Nigerianer, Pakistani und Senegalesen drängen sich vor der Essensausgabe. Vielleicht konnten einige den Geruch nicht ausstehen, vielleicht war auch einfach nur das Wetter schlecht oder das Gedudel und Gemurmel in der Halle besonders nervtötend an diesem Tag. Feindt weiß es nicht. Er weiß nur, dass es auf einmal losging: Der eine schiebt den andern weg, der andere regt sich auf, schiebt zurück. Plötzlich brüllen ein paar Afrikaner. "Wie Schlachtrufe", sagt Feindt. Da hat der erste schon einen der blauen Plastikstühle in der Hand, hebt ihn an einem Bein hoch über seinen Kopf. Ein Wurf, eine Platzwunde am Kopf, Blut, Schreie, Gebrüll. Stühle und Fäuste in der Luft, Menschen am Boden.

20 Polizeieinsätze in drei Monaten in Karlsfeld

Die Sicherheitsleute trommeln ihre Männer über Funk zusammen. Etwa 15 von ihnen bilden einen schwarzen Schutzschild um die 50 schreienden und schlagenden Flüchtlinge. Dann Polizeisirenen, Blaulicht, viele Beamte und vor allem Hunde. "Vor denen haben alle hier wahnsinnige Angst", sagt Feindt. Der Tumult löst sich auf, es bleiben 20 geschrottete Stühle, vier Verletzte, zwei davon so schlimm, dass sie ins Krankenhaus mussten. Und das, weil einer sein Essen schneller haben wollte als der andere.

Das letzte Mal war es ein gestohlenes T-Shirt, dann nahm ihnen einer von der Security den Kickerball weg, weil andere nicht schlafen konnten. Etwa 40 Flüchtlinge schmissen mit Steinen, einer hat einen doppelten Kieferbruch, die anderen haben eine Menge blaue Flecken. Wegen einem kleinen, weißen Ball. Oder weil einer über ein Handykabel gestolpert ist, weil das Essen nicht schmeckt. Aus solchen Kinkerlitzchen werden in Massenunterkünften Kämpfe, überall in Bayern.

Viele tun sich schwer mit der Toleranz

Jede Woche gibt es ähnliche Meldungen: eine Messerstecherei in Ingolstadt, ein um sich tretender Randalierer in Regensburg, vier Verletzte in einer Asylbewerberunterkunft in Rain. Allein in der Traglufthalle Karlsfeld gab es 20 Polizeieinsätze in nur drei Monaten. Auch wenn es selten wirklich Massenschlägereien sind, ist es doch immer das, was der Polizei gemeldet wird. Manchmal rückt sie mit 26 Streifen an, der Personalaufwand ist enorm, die Überstunden steigen. "Wir brauchen Köpfe", sagt der Sprecher des Polizeipräsidiums Oberbayern Nord, Hans-Peter Kammerer, in Richtung Innenministerium. Denn solange Hunderte Flüchtlinge in Traglufthallen gestopft werden, solange wird es wohl nicht weniger werden mit den Polizeieinsätzen.

Fast 300 Menschen aus dem Senegal, Mali, Pakistan mit unterschiedlichen Religionen, Kulturen - in der Traglufthalle Karlsfeld führt das zu Spannungen. "Wir haben hier ein Rassismusproblem", sagt Gregor Feindt, der Kümmerer. In ihren Herkunftsländern selbst diskriminiert, tun sich manche hier schwer mit der Toleranz. Die Pakistani sagen über die Afrikaner: "die Wilden aus der Wüste"; die Afrikaner über die Pakistani: "die, die sich nicht waschen". Woanders weigern sich Afghanen, zu putzen. Begründung: Dafür gebe es doch die Schwarzen. Und dann der Frust: Ein eigenes Haus mit Mercedes davor und Blondine mit blauen Augen und roten Lippen hätten die Schlepper vielen versprochen, sagt Feindt. Und jetzt?

Keine Privatsphäre, keine Perspektive

Gewalt in Asylunterkünften: Trotz Lärms wollen sie in Karlsfeld Deutsch lernen.

Trotz Lärms wollen sie in Karlsfeld Deutsch lernen.

(Foto: Toni Heigl)

Eine Halle ohne Fenster, das Zuhause: eine kleine Box, ohne Dach, ohne Tür, nur mit einem orangefarbenen Vorhang. Sechs Männer in drei Stockbetten. Klamotten, Handtücher, Plastikteller, gestopft auf sieben Quadratmeter. Durch die dünnen Wände hämmern afrikanische Rhythmen, Radiogedudel, Grölen. "No sleep", sagt Osman, 28, aus Pakistan. Dunkle Ringe, ein Blutfleck im Augenweiß. Bis drei Uhr in der Nacht ist Party.

Ein Afrikaner geht auf Zehenspitzen, so watet er in den Toiletten durchs Wasser. Die Pakistani benutzen sie wie Stehtoiletten, klettern auf die Kloschüssel und treffen nicht immer. Manche machen die Tür zum Toilettencontainer nicht zu. Nur zwei Meter weiter hat ein kleiner Afrikaner seine Kabine. "You have to lock!", brüllt er, knallt die Toilettentür zu. "That makes me crazy!", schreit er, rauft sich wie ein Verrückter die Haare. "Du glaubst, hier kann es Frieden geben?", fragt einer in gebrochenem Englisch.

Es gibt nicht genug Wohnungen für alle

Eher nicht, das sieht Landrat Stefan Löwl ähnlich. Auch wenn ihm das Kantinenessen schmeckt. Er sitzt an einem der grauen Tische im Eingangsbereich, kratzt die letzten Reste Chili con Carne aus der Plastikschüssel. Plastik, nicht Porzellan, die Scherben könnten als Waffen verwendet werden. Sind Asylbewerber in Wohnungen untergebracht, gibt es richtiges Geschirr, fast nie Streit.

Wäre das nicht die Lösung? Löwl lacht. "Im Großraum München ist das unmöglich." Schon vor zwei Jahren gab es zu wenig. Die Alternativen zur Traglufthalle heißen Container oder Holzständerbauten. Bis zum Herbst hofft er, genügend zu haben, um aus der Traglufthalle die Luft rauszulassen. Nur, seit Köln ziehen manche Grundbesitzer ihre Angebote zurück. Vielen Nachbarn sind die Flüchtlinge nicht mehr geheuer. Dabei sind es nur ein paar wenige Randalierer.

Ein einziger Mensch reicht, um die Halle zu terrorisieren

Manchmal aber reicht ein einziger, um Hunderte zu terrorisieren. Wie im Landkreis Miesbach. Fast 200 Flüchtlinge wohnen hier in einer Turnhalle am Tegernsee. Die Traglufthalle in Karlsfeld wirkt wie ein Luxushotel im Vergleich dazu. Es riecht nach Chlor, bei nur 16 Toiletten für 200 Leute braucht es starke Putzmittel. Die Stockbetten stehen so nah, wer sich streckt, hat die Hand im Gesicht seines Nachbarn. Keine Sichtwände, keine Vorhänge, wer unten schläft, kann sich noch ein Bettlaken an die Stangen knoten, wer oben schläft, hat Pech gehabt.

Einer stülpt sich gerade das T-Shirt über den nackten Oberkörper, ein anderer schlappt mit dem Handtuch um die Hüften durch die Reihen, vorbei an drei Leuten auf einer blauen Plastikplane. Einer von ihnen murmelt Verse, einen ausgeblichenen Koran in der Hand. Sie verbeugen sich Richtung Mekka, direkt vor ihnen hängt ein Basketballkorb. Nur einen Meter entfernt, da schlief Jean S. Er machte die Turnhalle für viele zur Hölle.

Alkohol und Drogen sorgen für viele Probleme

Gewalt in Asylunterkünften: In Tegernsee fällt das Deutschlernen noch schwerer.

In Tegernsee fällt das Deutschlernen noch schwerer.

(Foto: Lisa Schnell)

Jean S. , 28, kommt aus dem Senegal, seine Eltern verlor er mit sieben, sagte er, lebte dann auf der Straße. Mit zehn Jahren fing er an als Maurer zu arbeiten, ging nach Deutschland für ein besseres Leben und landete in der Turnhalle: keine Arbeit, keine Perspektive, nichts zu tun. Er kann nicht lesen oder schreiben, schämte sich, ging nicht zum Deutschunterricht. Dafür raus nach Tegernsee. Jean S. ist klein, muskulös, Typ Rapper. Die Hosen in den Kniekehlen, auf der Schulter eine Musikbox, so zog er durch die Straßen, kaufte Alkohol, Drogen.

Da machte es zum ersten Mal Klick: Er rammte seine Faust durch eine Glastür, zerschnitt sich alle Muskeln. Wieder Alkohol - Klick: Er riss die Rohre von den Toiletten, biss einen Polizisten durch einen Lederhandschuh in die Hand, spuckte. Dann stahl er eine goldene Halskette, ein silbernes Armband. Erst jetzt reichten die Delikte aus für einen Haftbefehl. Erst jetzt flog er aus der Turnhalle raus.

Keine Rückführung wegen fehlender Abkommen

Für Mohamed aus Sierra Leone viel zu spät. Er steht in einem schicken Kaffeehaus hinter dem Tresen, saubere Schürze, blitzweißes Hemd. Er hat einen Job, eine Perspektive. Er war einer von den Flüchtlingen, die jeden Tag im Deutschunterricht saßen, die nach Hausaufgaben fragen, die in bayerischen Chören singen, Ministrant sind. Die wie Mohamed um sieben Uhr aufstehen müssen, weil sie arbeiten. Wenn er schlafen wollte, war Jean S. besoffen, brüllte rum, drohte mit Schlägen. Vier Stunden, mehr schlief Mohamed fast nie. "Es ist eines der schlimmsten Dinge, die ich je erlebt habe, in der Turnhalle zu leben", sagt Mohamed. Und das von einem, der wegen Morddrohungen aus seinem Land fliehen musste. "Warum müssen 200 Leute wegen einem einzigen leiden?", fragt er.

Landrat Wolfgang Rzehak kann es erklären, verstehen tut er es nicht. Eigentlich hätte Jean S. schon längst abgeschoben werden sollen. Senegal ist ein sicheres Herkunftsland. Nur: Es gibt kein Rückführungsabkommen, die Behörden nehmen Jean S. einfach nicht zurück. "Das kann's nicht sein", sagt Rzehak. Die Kommunen sind eh schon an der Belastungsgrenze, und dann kostet sie ein einziger Fall alle Nerven und Geld etwa für einen extra Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma. Jean S. sitzt jetzt in Untersuchungshaft, doch die Asylsozialarbeiterin Tanja Englhart macht sich schon Sorgen um den nächsten: Ubeh.

"Am Ende des Monats wankt die halbe Halle"

Ubeh kommt aus Afghanistan. Seine Augen sind müde, er schlurft mehr durch die Halle, dass er geht. In der Nacht hat er getrunken, bis um drei Uhr Filme geschaut. Er steht um zwölf Uhr auf, zum Deutschunterricht geht er nur manchmal. Im Monat gibt es für ihn nur einen festen Termin: Wenn es Geld gibt von der Gemeinde. Gleich danach geht es in den Supermarkt, eine Flasche Korn. Und ab an den See. Oder jetzt im Winter in die Unterführung direkt vor der Turnhalle. "Am Ende des Monats wankt die halbe Halle", sagt Englhart. "Eine ganz normale menschliche Reaktion", viele Deutsche würden es genauso machen in der Situation.

Sie arbeitet daran, dass die Asylbewerber von heute nicht die Alkis von morgen werden. Zusammen mit der Caritas bietet sie Beratungsstunden an, um über den Alkohol zu sprechen. In der Turnhalle hängt eine Einladung an der Glastür. Davor sitzen zwei Flüchtlinge auf einer Bank am See. Zwischen ihnen: eine goldene Bierdose.

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