Artenvielfalt:Für Naturschützer ist der Löwenzahn ein Problem

Löwenzahn im Sonnenlicht

Für Experten sind Löwenzahn-Wiesen ein Beleg für den Raubbau an der Natur.

(Foto: dpa)

Die Wiesenblume verdrängt andere Pflanzen und gefährdet damit auch Insekten. Landwirte sind an dieser Entwicklung nicht unschuldig.

Von Christian Sebald

Kaum einer hat über den Löwenzahn zarter gedichtet als der Lyriker Peter Huchel: "Fliegen im Juni auf weißer Bahn / flimmernde Monde vom Löwenzahn, / liegst du versunken im Wiesenschaum, / löschend der Monde flockenden Flaum", lautet die erste Strophe seines Gedichts "Löwenzahn". Für viele ist der Löwenzahn, der in diesen Wochen vieltausendfach Wiesen und Weiden in ein gelb-grünes Meer verwandelt, das Symbol schlechthin für den Frühling. Naturschützer indes sehen die Pracht mit gemischten Gefühlen.

"Der Löwenzahn ist die Wiesenblume, die hervorragend mit der industriellen Landwirtschaft zurechtkommt", sagt Bernd Raab, oberster Botaniker beim Vogelschutzbund LBV. "Je mehr gedüngt wird, desto besser gedeiht er, und zwar auf Kosten vieler anderer Pflanzen und Blumen." Für Raab sind die Löwenzahn-Wiesen deshalb ein Beleg für den Raubbau an der Natur.

Selbst ein Rasenmäher macht dem Löwenzahn nichts aus

Jeder kennt den Löwenzahn oder Taraxacum officinale, wie die Botaniker die krautige Pflanze nennen. Erwachsene wie Kinder fasziniert die zehn bis 30 Zentimeter hohe Wiesenblume schon wegen des weißen Safts, der austritt, wenn man den Stängel mit dem Fingernagel anritzt. Aber auch, weil sich ihre Blüten nachts, bei Regen, Trockenheit und beim Verblühen schließen.

Am spannendsten ist der Löwenzahn, wenn er nur noch seine Früchte mit den feinen grau-weißen Flugschirmen trägt. Ohne Mühe kann man sie in die Luft pusten, wo sie der Wind bis zu hundert Meter weit weg trägt. Eine Blüte produziert bis zu 150 Samen. Von einem Hektar dicht mit Löwenzahn bestandener Wiese können im Jahr bis zu 100 Millionen Samen verbreitet werden.

Der Löwenzahn ist sehr robust. Selbst wenn er mit einem Rasenmäher oder einem großen Mähwerk an einem Traktor komplett zusammengeschnitten wird, macht ihm das nichts aus. Es stärkt ihn eher noch. Das liegt an seiner fleischigen Pfahlwurzel, die einen Meter, in seltenen Fällen sogar bis zu zwei Meter in den Boden reicht. Aus ihr heraus regeneriert sich der Löwenzahn selbst nach einem radikalen Schnitt und bildet dann am Boden meist mehrere Blattrosetten aus.

"Aber das ist es nicht alleine", sagt Jörg Ewald, Professor für Botanik und Vegetationskunde an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf. "Der Löwenzahn ist ein extrem guter Stickstoffverwerter. Wenn er genug Nahrung hat, gedeiht er so üppig, dass er bis auf das Gänseblümchen und einige wenige andere Pflanzen praktisch alle anderen Wiesenblumen verdrängt. Er überwächst sie einfach."

Welchen Einfluss der Löwenzahn auf das Überleben von Insekten hat

Genau das macht den Löwenzahn für Naturschützer zum Problem. Für LBV-Mann Raab sind die meisten Wiesen und Weiden längst zu reinen Grünfutter-Äckern degeneriert, auf denen nichts anderes mehr gedeihen soll als möglichst kräftiges Futter für das Vieh. Tatsächlich mähen die Bauern auch in Bayern ihr Grünland inzwischen bis zu siebenmal im Jahr. Außerdem werden Wiesen und Weiden massiv gedüngt. Oft sogar überdüngt, wie Professor Ewald sagt. "Sie haben Stickstoff im Überfluss."

Wie intensiv viele Bauern ihr Grünland bewirtschaften, erkennt man auch daran, dass sie oft bereits Ende April den ersten Schnitt gemacht und zu Silage verarbeitet haben. "Die Bauern sind nur noch an den ertragsstärksten Gräsern wie dem Weidelgras interessiert", sagt Raab. "Andere, wie Glatthafer, werden verdrängt." Mit Wiesenblumen verhält es sich genauso. Je besser der Löwenzahn gedeiht, desto weniger Chancen haben Glockenblumen, Margeriten oder Schlüsselblumen.

Löwenzahn ist willkommene Nahrung für Bienen

Der Schwund bei den Wiesenblumen ist aber nur die eine Sache. Die andere sind die dramatischen Verluste an Insekten. "Zwar ist der Löwenzahn eine willkommene Nahrung für Wildbienen, Schwebfliegen und anderes Getier", sagt Raab. "Aber wenn er verblüht ist und es blüht nichts anderes mehr, dann bringt das die Insektenwelt in Nöte." Raab geht es nicht nur um die Artenvielfalt, sondern um die Masse. "Früher gab es sehr viel mehr Insekten", sagt er. "Wie dramatisch der Schwund ist, kann sogar ein Laie erkennen, wenn er mit dem Auto über Land fährt und ihm kaum noch Käfer und anderes Getier gegen die Frontscheibe klatscht."

Professor Ewald sieht das ähnlich. Zwar weist er auf Studien aus Tschechien hin, wo Forscher auf Löwenzahnwiesen mehr als 200 Insektenarten nachgewiesen haben. "Und nicht nur Bienen, Wildbienen oder Hummeln", wie Ewald sagt. "Sondern auch allerlei Käfer, Fliegen und Wanzen." Aber auch Ewald betont, dass "Löwenzahn-Monokulturen" nicht ausreichen, um die Insekten-Vielfalt zu erhalten. "Dazu braucht es ein großes Spektrum an Blumen mit unterschiedlichen Blühzeiten." Was wohl der Lyriker Peter Huchel zu all dem sagen würde? Sein Löwenzahn-Gedicht gipfelt in der Schlussstrophe: "Monde um Monde wehten ins Jahr, / wehten wie Schnee auf Wange und Haar. / Zeitlose Stunde, die mich verließ, / da sich der Löwenzahn weiß zerblies."

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