Architektur:Häuser im Toskana-Stil breiten sich in bayerischen Vororten aus

Architektur: Fassaden in Terrakotta.

Fassaden in Terrakotta.

(Foto: Matthias Richter)

Die einen finden sie schön, die anderen geschmacklos. Architekten sind mitunter entsetzt.

Von Caroline von Eichhorn

Matthias Richter lehnt auf seinem schwarz lackierten Fahrrad und blickt entlang der Bauzäune in Gröbenzell bei München. Auf der Baustelle vor ihm zieht ein Bauunternehmen eine Villa im Toskana-Stil hoch: Mit kleinen Gauben, Säulen am Eingang und einer champagnerfarbenen Fassade, Kugeln zieren die Geländer der Balkons, die Ziegel auf dem Flachdach glänzen wie schwarze Diamanten.

Einige Kilometer weiter in einem Olchinger Wohngebiet reihen sich wieder nagelneue "Toskanahäuser" aneinander, stilistisch wie in Italien. Bäumchen und Brunnen im Vorgarten. Orange, Apricot und Terrakotta-Farben. "Toskanahäuser" sind seit Jahrzehnten ein beliebter Bautrend, nicht nur in den Vororten Münchens, eigentlich in ganz Deutschland. Er ist aber auch Anlass zu Stadtrats-Diskussionen, etwa im niederbayerischen Zwiesel, in Höchstadt an der Aisch oder im oberfränkischen Pegnitz. Denn viele Leute finden den Baustil abscheulich.

Wie Matthias Richter. Er ist entsetzt, er findet ihn kitschig, überladen, sinnentleert. "Da gibt es keine Gestaltung. Das sind verkrüppelte Baukörper. Man kann nicht einmal von einem Stil sprechen. Das ist eher die Abwesenheit eines Stils", sagt er. "Baumarktfragmente. Hier mal eine Säule, da mal eine Gaube. Ein Stil würde bedeuten, dass es eine Sprache gibt, ein gegenseitiges Aushandeln, ein Anknüpfen an Traditionen." Richter ist der größtmögliche Kontrast zu den "Toskanahäusern".

Er kleidet sich komplett in Schwarz. Sogar sein Fahrrad ist in mattem Schwarz lackiert, jede kleine Schraube trägt diese Farbe. Zerrissene Hosen, lange Haare, Undercut, große Sonnenbrille. Er hat jüngst sein Architekturstudium an der Akademie der Bildenden Künste in München abgeschlossen, zuvor hat er zwei Semester Fotografie studiert. Der Name seiner Firma: Formkoalition. "Woher kommt diese Diskrepanz zwischen dem, was ich im Studium gelernt habe und was hier in der Realität passiert?", fragt sich Richter.

Die Bayerische Architektenkammer findet auch, dass Kenntnisse über sinnfällige Baukultur in Neubaugebieten verloren gegangen sind. "In der Toskana sind diese Häuser wunderbar, weil sie dort klimatisch, kulturell und architekturgeschichtlich hingehören", so die Kammer. "Die bayerische Baukultur ist jedoch eine andere." Der Architekt Christoph Mäckler monierte kürzlich in einem Essay, dass neue Viertel "qualitativ nicht im mindesten an die vormodernen, mehr als hundert Jahre alten Stadtzentren heranreichen." Er kritisiert, dass Bebauungspläne nicht mehr vorsehen, wie Häuser zueinander stehen, um miteinander einen Raum zu bilden.

Normalerweise lacht Richter mit seinen Kommilitonen über solche Baustile. Doch dann wollte er aus seiner Ironie heraustreten, den Trend verstehen und ihn als Masterarbeit analysieren. Der Titel: "Was ist schön?" Richter hat Münchens Speckgürtel abgeklappert und überall solche Häuser gefunden. Er hat sie fotografiert, deren Farben und Formen unter die Lupe genommen und - das war der Teil, der ihn am meisten Überwindung kostete - die Bauherren um ein Interview gebeten.

Architektur: Bäumchen und Brunnen im Vorgarten.

Bäumchen und Brunnen im Vorgarten.

(Foto: Matthias Richter)

Dabei hat er herausgefunden: "Für viele Leute sind Urlaubsorte die Inspiration. Vor allem die Toskana, aber auch die Malediven, Mallorca oder die amerikanischen Südstaaten. Sie reproduzieren das dann ohne jede Reflexion, ohne überhaupt verstanden zu haben, was sie da im Urlaub gesehen haben. Dass da das Gegenteil von etwas Gutem heraus kommt, ist klar."

Richter ist in Gröbenzell aufgewachsen und wohnt bis heute dort. Ein Vorstadtjunge, mittlerweile Mann. Ob er je von hier wegziehen wird, weiß er nicht. Er kann jederzeit in den Olchinger See springen und im Umland lange Strecken Rennrad fahren. Sein Herz hängt an diesem Ort zwischen Stadt und Land, deswegen geht ihm auch die Gestaltung des Stadtbilds so nahe.

Die "Villa Romantica" dient vielen als architektonisches Vorbild

Doch die Olchinger und Gröbenzeller, denen man zufällig begegnet, teilen Richters Kritik nicht. "Es ist mal etwas anderes. Ein schönes Ambiente", sagt eine Frau mit Kinderwagen, die vor dem Restaurant "Villa Romantica" am Olchinger See steht - dieses prunkvolle Gebäude mit seinen Säulen und Bögen ist für viele in der Gegend das architektonische Vorbild.

Der Bauträger musste es bereits vielfach in abgewandelten Versionen nachbauen, erzählen einige Leute. "Es erinnert an Italien", schwärmt ein Olchinger. "Viel besser als solche Betonbauten. Da kann man doch gleich ins Gefängnis gehen", sagt eine Gröbenzellerin. Auch Olchings Bürgermeister Andreas Magg hat kein Problem mit der Bauart. "Seit den Siebzigerjahren haben wir einen bunten Mix an Stilen", sagt er.

In der Gemeinde Eresing hingegen, 30 Kilometer entfernt, wurden die für die Häuser typischen Walmdächer verboten, weil sie nach Meinung des Gemeinderats nicht zum Ortsbild passen. Auch Richter ist überzeugt davon, dass sie nicht hinpassen. Wie man es besser machen kann, weiß er nicht, das müsse ein Prozess ergeben. Schlichter könnte es sein, vielleicht funktionaler.

Doch Bauhaus wiederzubeleben sei auch keine Lösung. Doch wer schon den Stil aus der Toskana kopiert, sollte es wenigstens gut machen. "Andrea Palladio baute solche Villen im 14. Jahrhundert", sagt Richter. "Sie waren auch damals schon ein Symbol der bessergestellten Klasse, mit dem Unterschied, dass seine Bauherren echtes Interesse an Architektur hatten." Mit dem Originalstil habe der Kitsch in den Vororten nichts zu tun. Dafür seien die Proportionen zu unstimmig.

Doch für Richter geht es nicht nur um Ästhetik - für ihn spiegelt die Baukultur auch einen gesellschaftlichen Umbruch, geprägt durch Individualisierung und Globalisierung. Er glaubt, dass die Villen ein Zeichen der fehlenden Stadtkultur in Vororten ist. Ein Symptom, das der Zersiedelung folgt, dem Aussterben der Dorfkerne aufgrund wachsender Gewerbegebiete.

"Die Leute treffen sich nicht mehr auf dem Dorfplatz. Sie fühlen sich ihrer Gemeinde nicht mehr zugehörig", sagt Richter. "Was machen sie im Rückschluss? Sie identifizieren sich mit dem Haus. Deswegen muss das Haus etwas ganz Außergewöhnliches sein."

Architektur: Runde Fenster mit Veranda: Viele finden die "Toskanahäuser" schön.

Runde Fenster mit Veranda: Viele finden die "Toskanahäuser" schön.

(Foto: Matthias Richter)

Ein ganz besonderes Eigenheim statt einer ganz besonderen Ortsgemeinschaft - für Richter ein Negativtrend. In seiner Masterarbeit plädiert er dafür, dass die Menschen wieder mehr über Stadt-Architektur diskutieren sollten. "Die Beispiele zeigen, dass auch wir als Architekten versagt haben. Wir müssen das legitime Bedürfnis des Menschen, etwas Geschmücktes zu haben, endlich ernst nehmen und Alternativen aufzeigen."

Eine Gesellschaft soll sich gemeinsam überlegen, wie ihre Vororte aussehen sollen. Daran trage jeder ein Stück Mitverantwortung. "Das Problem ist so komplex, wir brauchen eine breite Diskussion: mit der Politik, mit Architekten, mit Stadtplanern und auch mit Bauherrn. Wenn das nicht passiert, entsteht Chaos."

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