Archäologische Überraschung:Die Feuersteins aus dem Haspelmoor

Haspel

Sesshaft: Vermutlich haben die Steinzeit-Menschen im Haspelmoor in jurtenähnlichen Zelten gewohnt, ihr Bewegungsradius führte sie durch halb Europa.

(Foto: oh)
  • Das Haspelmoor im Landkreis Fürstenfeldbruck war noch nie zuvor Fundort für ein vorgeschichtliches Relikt.
  • Nun hat der Fürstenfeldbrucker Heimatpfleger Toni Drexler wohl die ältesten Spuren von Menschen zwischen Donautal und Alpenrand entdeckt.
  • Die Steinzeitmenschen im Haspelmoor könnten schon früher mit Getreide experimentiert haben, als dies bisher für möglich gehalten wurde.

Von Hans Kratzer

Wie die Menschen in Bayern vor tausend Jahren gelebt haben, kann die Wissenschaft noch relativ gut rekonstruieren. Vor allem deshalb, weil es schriftliche Quellen gibt, die uns verraten, wer in jener Zeit geherrscht hat, was gegessen und worüber gestritten wurde. Eilen wir auf der Zeitschiene noch weiter zurück, dann endet die schriftliche Überlieferung jedoch sehr bald und es wird schwieriger, sich ein Bild von der Vergangenheit und den Vorfahren zu machen. Zumindest ermöglichen die verfeinerten Methoden der Archäologie, der Paläobotanik und der Anthropologie neuerdings Einblicke, die vor wenigen Jahrzehnten noch unvorstellbar waren.

Bis vor kurzem herrschte zum Beispiel in der Wissenschaft Einigkeit, dass sich vor gut 7500 Jahren die ersten Siedler auf dem Gebiet des späteren Freistaats Bayern sesshaft gemacht haben. Sie wurden angelockt von den fruchtbaren Böden in Niederbayern, im Maintal und entlang des Lechs. Heimelig wird das Leben damals nicht gewesen sein, denn einige Skelettfunde ergeben ein verstörendes Bild. Erstaunlich vielen Menschen sind die Schädel eingeschlagen worden. Just in jener Zeit, in der die ersten Bauernhöfe errichtet wurden, prächtige, lang gestreckte Gebäude von 30 und mehr Metern Länge, sieben Metern Breite und acht Metern Höhe.

Das Moor als Schatzkammer

Ausgerechnet im Haspelmoor im Landkreis Fürstenfeldbruck, wo noch nie ein vorgeschichtlicher Fund ans Tageslicht gekommen war, stieß der Fürstenfeldbrucker Heimatpfleger Toni Drexler auf Relikte aus der mittleren Steinzeit. Die Überraschung war groß: "Das sind die bislang ältesten Spuren von Menschen zwischen dem Donautal und dem Alpenrand", sagt Drexler. Die Untersuchung dieser Funde und jahrtausendealter Blütenpollen, die sich im Moor erhalten haben, bestätigten, dass hier schon vor mehr als 11 000 Jahren Menschen gejagt und auch längerfristig gelebt haben - gleichsam als Familie Feuerstein des Haspelmoors.

Ermöglicht wurde dieses Leben erst durch ein gewaltiges Klimaereignis. Vor gut 12 000 Jahren, am Ende der Würmeiszeit, hatte sich die Durchschnittstemperatur in wenigen Jahrzehnten um sechs Grad erhöht. Im Vergleich dazu nimmt sich der heutige Treibhauseffekt fast schon bescheiden aus. "Offensichtlich haben das warme Klima und der große Schmelzwassersee, der sich an der Stelle des heutigen Moores gebildet hatte, Jägern und Sammlern ideale Lebensbedingungen geboten", sagt Drexler. Der extreme Temperaturanstieg zog dramatische Veränderungen in der Pflanzen- und Tierwelt nach sich. Das bis dahin offene Land wurde von einem fast geschlossenem Urwald überzogen. Lediglich an den Gewässern öffneten sich freie Siedlungsflächen.

Leben im Klimawandel

Archäologische Überraschung: Bis zu 11 000 Jahre alt sind diese Mikrolithen. Sie dienten als Einsätze für Pfeile und Harpunen.

Bis zu 11 000 Jahre alt sind diese Mikrolithen. Sie dienten als Einsätze für Pfeile und Harpunen.

(Foto: oh)

Die Funde vom Haspelmoor zeigen auf faszinierende Weise, wie sich die Menschen nach dem Klimawandel an die Umwelt anpassten. Unter anderem mit neuen Technologien. Bei Hattenhofen wurden Tausende Artefakte entdeckt, die der Archäologe Robert Graf soeben in seiner Dissertation ausgewertet hat. Er kommt zu dem Ergebnis, dass das Material für die Klingen und Speerspitzen (Mikrolithen) über sehr große Entfernungen herbeigeschafft wurde, etwa aus der baltischen Moräne und aus dem Pariser Becken. Ein solcher Radius wurde bisher für die Mittelsteinzeit nicht für möglich gehalten.

Bei den Relikten handelt es sich um Werkzeuge und Waffen, um winzige Steinklingen in dreieckiger Form, die als Harpuneneinsätze und für Pfeile verwendet wurden. Im Haspelmoor fanden sich aber auch Messer, Schaber und Bohrer, die als Werkzeuge zur Holz, Knochen- und Fellverarbeitung dienten. Doch das ist noch nicht alles. Der Paläobotaniker Michael Peters fand über Pollenanalysen heraus, dass die Steinzeitmenschen im Haspelmoor schon früher mit Getreide experimentiert haben könnten, als dies bisher für möglich gehalten wurde.

Entbehrungsreiches und einsames Leben

Stellen sich die Hinweise auf Getreidepollen aus der Zeit vor 7800 bis 7700 Jahren als richtig heraus, wäre dies laut Toni Drexler eine Sensation. Das wäre immerhin 300 Jahre vor Beginn der ersten Bauernkultur in Bayern und damit der älteste indirekte Nachweis von Getreideanbau, der mit Emmer und Einkorn begann.

Im steinzeitlichen Haspelmoor haben sich über einen Zeitraum von 4000 Jahren Menschen aufgehalten. Diese Familienverbände wohnten vermutlich in Zelten, die den mongolischen Jurten ähnelten. "Ob diese Behausungen mit Fellen, Schilf oder anderem Material eingedeckt waren, kann nicht festgestellt werden", sagt Drexler. Das Leben war in jedem Fall entbehrungsreich. Die Menschen ernährten sich von Wild, Wasservögeln und Fischen. Dazu kamen Haselnüsse und Wildfrüchte. "Gerade Haselnüsse hatten einen bedeutenden Anteil an der Ernährung, sie konnten geröstet und damit als Nahrungsvorrat haltbar gemacht werden", sagt Drexler.

Geht man davon aus, dass damals ein Mensch auf fünf Quadratkilometer kam, rechnen die Wissenschaftler für die Fläche Italiens mit 60 000 Bewohnern. Auf den heutigen Landkreis Fürstenfeldbruck übertragen, hätten dort vor 10 000 Jahren knapp 90 Menschen gelebt.

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