AOK: Bilanz von Behandlungsfehlern:Pfusch im Krankenhaus

Die Ärzte haben die Hirnentzündung nicht erkannt, seither ist das Mädchen behindert: Es ist nur einer von 3130 Behandlungfehlern, die die AOK Bayern Medizinern nachgewiesen hat. Und die Aufklärung ist schwierig.

Tina Baier

Das Mädchen war erst ein Jahr alt, als es mit einem Krampfanfall und über 39 Grad Fieber in die Kinderklinik eingeliefert wurde. "Blickabweichung nach links, rechte Seite tonisch... Eigenreflexe rechts nicht auslösbar. Sistierender Krampfanfall nach Gabe von 5mg Diazepam. Gesamtdauer des Anfalls ca. 60 Minuten," hatte jemand bei der Aufnahme des Kindes notiert.

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In 3130 Fällen hat die AOK Bayern in den vergangenen zehn Jahren ärztliche Behandlungsfehler nachweisen können.

(Foto: dpa)

Schon da hätten in der Klinik sämtliche Alarmglocken schrillen müssen: Die Symptome sind typisch für eine Hirnentzündung, ausgelöst durch ein Herpes-Virus. Stattdessen tippten die Ärzte auf eine Infektion durch Bakterien und gaben dem Kind Antibiotika - was bei einer Virusinfektion keinerlei Wirkung hat. Erst zwei Tage und zwei Krampfanfälle später wurde die Hirnentzündung erkannt und richtig behandelt. Das Mädchen ist seitdem geistig und körperlich schwerstbehindert.

Das ist nur einer von 3130 Fällen, in denen die AOK Bayern in den vergangenen zehn Jahren einen ärztlichen Behandlungsfehler nachweisen konnte. Nach einer Untersuchung der größten Krankenkasse im Freistaat erweist sich jeder siebte Verdacht auf einen Behandlungsfehler als richtig. Von 21.400 Verdachtsfällen, denen die AOK Bayern seit dem Jahr 2000 nachgegangen ist, waren 6925 aus dem Bereich Chirurgie, 2199 aus der Orthopädie und 1859 aus Zahnmedizin oder Kieferchirurgie. Auf Platz vier der Liste stehen 1467 Fälle, die die Kasse unter dem Begriff "mangelhafte Diagnostik" zusammenfasst. Seit 2005 haben der Untersuchung zufolge vor allem Beschwerden in den Bereichen Orthopädie, Innere Medizin und Chirurgie stark zugenommen.

Gerade in der Chirurgie könnten viele Fehler durch einfache Sicherheitsmaßnahmen verhindert werden. Etwa, indem der Chirurg den Patienten vor der Narkose fragt, ob er tatsächlich derjenige ist, der auf seiner Liste steht oder indem der Körperteil der operiert werden soll mit einem Kreuz markiert wird. Trotzdem werden in Deutschland jedes Jahr 100 bis 200 Patienten schlicht an der falschen Stelle operiert - etwa am linken statt am rechten Knie.

Ein Drittel bis die Hälfte aller Infektionen, die sich Patienten im Krankenhaus einfangen, könnten Schätzungen zufolge verhindert werden, wenn sich Ärzte und Pflegepersonal nur die Hände richtig waschen und desinfizieren würden. Oft sind es also immer dieselben Fehler, die dazu führen, dass Patienten geschädigt werden. Einige Ärzte haben erkannt, dass sich das nur ändern lässt, wenn offen über Fehler und ihre Ursachen gesprochen wird. Vor gut zwei Jahren gaben deshalb 17 prominente Mediziner ihre schlimmsten Missgeschicke zu.

Wie Opfer zu ihrem Recht kommen

Wenn Krankenhäuser oder einzelne Ärzte sich allerdings weigern, Fehler zuzugeben, sind diese im Nachhinein oft kaum mehr nachzuweisen. Weil die Patienten damit in der Regel überfordert sind, gibt es bei den meisten Krankenkassen eine Abteilung, die sie dabei unterstützt. Nicht ganz selbstlos - denn wenn ein Behandlungsfehler gerichtlich anerkannt wird, bekommt nicht nur der Patient Geld, sondern auch die Kasse.

Allerdings haben auch die Experten oft Probleme. So sind Fehler kaum nachzuweisen, wenn der Fall im Krankenhaus nicht richtig dokumentiert wurde. "Ein weiteres Problem besteht bei der Beschaffung der Behandlungsunterlagen", sagt Fritz Schösser, Verwaltungsratsvorsitzender der AOK Bayern. Die Kassen bekommen Unterlagen von Ärzten und Krankenhäusern nämlich nur dann ausgehändigt, wenn der Patient den Arzt schriftlich von seiner Schweigepflicht entbunden hat.

Bei Menschen, die dazu nicht mehr in der Lage sind, ist es deshalb so gut wie unmöglich, einen ärztlichen Fehler nachzuweisen. In mehr als 85 Prozent der Fälle handele es sich um so genannte einfache Behandlungsfehler, bei denen der Patient beweisen muss, dass der Arzt falsch gehandelt hat, sagt Fritz Schösser. Nur bei groben Behandlungsfehlern ist es umgekehrt: Der Arzt muss beweisen, dass der entstandene Schaden nicht aufgrund seines Fehlers entstanden ist.

Einen solchen groben Fehler beging ein Mediziner, der bei einer endoskopischen Untersuchung versehentlich den Dünndarm einer Patientin durchstach. Aber nicht etwa, weil ihm dieser Fehler passiert war, den er auch sofort erkannte, sondern weil er die Patientin, der es von Tag zu Tag schlechter ging, 12 Tage nach dem missglückten Eingriff kein einziges Mal untersucht hatte. Der Zustand der Frau war am Ende so schlecht, dass sie sieben Tage lang auf der Intensivstation behandelt werden musste.

Patienten, die vermuten, Opfer eines Behandlungsfehlers geworden zu sein empfiehlt die AOK, Namen und Anschriften aller beteiligten Ärzte und Kliniken zu notieren, sich die Krankenakte zu besorgen und zu überlegen ob man einen Aufklärungsbogen unterschrieben und der Behandlung zugestimmt hat. Außerdem sollte man notieren, welche Gesundheitsschäden entstanden sind und beachten, dass manche Ansprüche nach drei Jahren verjähren.

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