Landshut:Wie aus Bewohnern von Schrottimmobilien angebliche Sozialbetrüger wurden

'Problemhaus' Duisburg

Briefkästen von Mietern, die gar nicht in de Häusern wohnen - den Verdacht gibt es in verschiedenen Städten. (Symbolbild)

(Foto: dpa)
  • Eine Sozialarbeiterin hat einen Bericht verfasst, demzufolge es in Landshut Rumänen gebe, die zu Unrecht Sozialleistungen beziehen würden.
  • Der Bericht gelangte ungeprüft in das Landshuter Wochenblatt, weshalb plötzlich alle Bewohner eines Hauses unter Generalverdacht standen.
  • Eine Recherche der Stadt machte klar, dass die Vorwürfe haltlos sind.

Von Andreas Glas, Landshut

Wer in Klischees denkt, dem reichen ein paar Bilder, um seine Welt in Ordnung zu halten. Das Bild eines schäbigen Wohnblocks zum Beispiel, mit kackbraunen Balkonen, die Geländer ramponiert, die Balkontüren mit Spanplatten vernagelt. Im Hinterhof des Wohnblocks hängen 20 Briefkästen, kreuz und quer, an einer Ziegelmauer neben der Eingangstür.

Im Flur noch mehr Briefkästen, etwa 70 Stück, bis zu zehn Namensschilder pappen an einem einzigen Kasten. Es heißt, hier sollen 239 Menschen leben, in 77 winzigen Apartments, vor allem Rumänen. Wer in Klischees denkt, dem reicht das schon, fertig ist der Skandal.

"Jetzt schaut es aus, als wären wir die große Mafia", sagt Stefan Stancu. Klingt erst mal lustig, weil Stancu in einem Mafiafilm mitspielen könnte, ohne sich umzuziehen. Narbe auf der Stirn, das Haar kurz geschoren, Lederjacke, breites Kreuz. Er sitzt im Café einer Landshuter Tankstelle, hier ist er gern, sagt Stancu, aber neuerdings wollen hier alle von ihm wissen, ob was dran sei an der Sache, die überall in den Zeitungen steht, überall im Fernsehen läuft. "Das gefällt mir nicht", sagt Stancu.

"Hier wohnen die Abkassierer aus Rumänien", hat eine Zeitung getitelt, daneben ein Foto des schäbigen Wohnblocks, den in Landshut alle nur "Drachenburg" nennen. Die Botschaft: Die Bösen, das sind die Rumänen, die Abzocker eben. Die Guten, das sind wir, die Deutschen, die Angeschmierten. Fast frohlockend klang die Schlagzeile, weil die Wahrheit endlich mal ins Klischee zu passen schien - ins Klischee vom Rumänen, der gerne mal den deutschen Staat bescheißt.

"Wir haben nichts gemacht", sagt Stancu, selbst Rumäne, wie seine Freundin, die im Café neben ihm sitzt. Seine Freundin heißt Mariana-Ioana Antonie, trägt leopardengemusterten Blazer zu leopardengemusterten Leggins, pinkfarbenen Lippenstift und falsche Fingernägel mit Glitzersteinchen.

Ein schillerndes Paar, das mancher Landshuter nun für zwielichtig hält, weil ihre Firma, die La Mari GmbH, insgesamt 35 Wohnungen in der Drachenburg zwischenvermietet hat - an Rumänen, aber auch an Bulgaren und Kroaten. Alles legal, sagt Stancu und klappt einen Ordner auf, in dem die 35 Mietverträge abgeheftet sind. Einen Beweis für Betrug, sagt er, "werden Sie da drin nicht finden".

Und genau darum geht es bei dieser Geschichte: Es gibt keine Beweise, nur einen Verdacht. Den Verdacht, dass Rumänen in "regelmäßig verkehrenden Bussen" nach Landshut gekarrt werden, "um Job-Center-Leistungen in Anspruch zu nehmen um dann anschließend mit dem Geld wieder nach Rumänien zurückzufahren". Das behauptete eine Sozialarbeiterin gegenüber der Stadt Landshut, das steht in einem internen Bericht.

Mit anderen Worten: Die Menschen, deren Namen auf den Briefkästen stehen, wohnen gar nicht in der Drachenburg, haben sich dort nur Adressen beschafft, um Hartz-IV-Leistungen zu erschleichen. Den Bericht mit dem schlimmen Verdacht hat der Landshuter Stadtrat Klaus Pauli (Freie Wähler) dem Landshuter Wochenblatt zugespielt, und weil beim Wochenblatt offenbar keiner Lust hatte zu recherchieren, haben sie eine schnelle Story draus gestrickt.

Und die Stadt? Hat die Gerüchte erst einmal befeuert. Die Sache müsse aufgerollt werden, sagte Landshuts Oberbürgermeister Hans Rampf (CSU) und äußerte sofort seine Sorge, dass "die Leute jetzt gewarnt" seien, "die hier diesen Missbrauch begangen haben". Er sprach von "Tätern", das klang, als wisse der OB was, als zweifle er nicht an einem massenhaften Sozialbetrug in der Landshuter Drachenburg - obwohl die Sozialarbeiterin, die den Verdacht geäußert hatte, längst zurückgerudert war.

Es gehe "um zwei, drei Handvoll Leute", relativierte Ele Schöfthaler, die seit sechs Jahren das Quartier rund um die Drachenburg managt. Alles "hochgepusht", sagt ausgerechnet diejenige, die den Stein leichtsinnig ins Rollen gebracht hat.

Man habe inzwischen nachgezählt, sagt Thomas Link, Sprecher der Stadt Landshut. In 67 Wohneinheiten, die es tatsächlich in der Drachenburg gebe, seien 23 Alleinstehende oder Familien gemeldet, die Hartz-IV bekommen. Bei 20 dieser Fälle handle es sich um Aufstocker, die ganz legal arbeiten gehen, aber zu wenig für ihren Lebensunterhalt verdienen und deswegen Sozialleistungen kriegen.

Auch für die übrigen drei Fälle gebe es keine Hinweise, dass zu Unrecht Geld vom Staat fließe. "Jeder, der sich das in Ruhe anschaut, der fragt sich, wo da der große Betrug laufen soll", sagt Link. Und jeder, der die Hysterie der vergangenen Woche verfolgt hat, der fragt sich, warum die Stadt die Sache nicht von Anfang an in Ruhe angeschaut hat - statt gleich hysterisch zu werden.

Schaut so aus, als schrumpfe der Landshuter Skandal zum Skandälchen und zur Räuberpistole. Auch die Sprecherin der Arbeitsagentur kann "laut Aktenlage nichts augenscheinlich Falsches erkennen". Und die Briefkästen? Es pappen ja viel mehr Namensschilder drauf, als Leute ins Haus passen.

Es stimme, sagt die Stadt, 239 Leute seien in der Drachenburg gemeldet. Allerdings seien da einige "Karteileichen" dabei, die inzwischen gar nicht mehr dort wohnen. Für einen Rumänen sei es "nicht unbedingt der erste Weg, dass er sich im Rathaus abmeldet", bevor er zurück in seine Heimat gehe, sagt Stadtsprecher Thomas Link, der effektiv mit 200 Bewohnern in der Drachenburg rechnet.

Wie mit Schrottimmobilien Geld gemacht wird

Ein Aspekt macht trotzdem stutzig: Im öffentlich gewordenen Protokoll heißt es, dass in Landshut die Hartz-IV-Quote bei Rumänen höher ist als überall sonst in Deutschland. Die Arbeitsagentur bestätigt das, fast die Hälfte aller hier lebenden Rumänen seien Hartz-IV-Empfänger. Zum Vergleich: Im deutschlandweiten Schnitt ist es etwa jeder Dritte.

Woran kann das liegen? Ein Rumäne habe in der Regel keine Berufsausbildung, die hier anerkannt sei, erklärt Arbeitsagentur-Chef Andreas Staible. Und weil es in Landshut überdurchschnittlich viele Hilfsarbeiter-Jobs gebe, kämen überdurchschnittlich viele Rumänen hierher. Die Hilfsarbeiter-Jobs wiederum seien oft schlecht bezahlt und viele Rumänen müssen mit Hartz-IV aufstocken. "So kumuliert sich das", sagt Staible.

Ist der Fall Drachenburg damit geklärt? Nein, sagt Ele Schöfthaler, die Sozialarbeiterin. Sie findet, dass die Betrugsdebatte den Blick auf ein anderes Problem verstellt: die jämmerlichen Wohnverhältnisse, in denen Zuwanderer hier oft leben müssen. Sie meint Häuser wie die Drachenburg - mit ihren vernagelten Balkonen, den demolierten Geländern, dem Putz, der von der Fassade bröckelt. "Der eigentliche Skandal" sei, dass Immobilienbesitzer die Not der sogenannten Armutszuwanderer ausnutzten und "jedes Drecksloch vermieten, und das für horrendes Geld".

Das Geschäft mit Schrottimmobilien ist nicht nur in Landshut ein Problem. Die Stadt München ermittelte vor einiger Zeit mehr als 20 Häuser, in denen viel zu viele Menschen auf viel zu engem Raum in schäbigen Verhältnissen leben - zum Teil ohne warmes Wasser, ohne Heizung, dafür mit Schimmel und Ratten. Es ging um bis zu 500 Menschen, die meisten aus Bulgarien und Rumänien. Menschen, die nehmen müssen, was sie kriegen können.

Weil in vielen Städten Wohnungsnot herrscht, ist es für einen Deutschen schon schwer genug, etwas zu finden. Für Zuwanderer, die ohne Arbeitsvertrag und Deutschkenntnisse hier ankommen, ist es fast unmöglich. Vermittler und Vermieter nutzen das aus - und vermieten ihnen Bruchbuden für teures Geld. Um dieses Geld zusammenzukriegen, ziehen dann viel zu viele Menschen in die Wohnungen.

Was die Vermieter der Drachenburg dazu sagen

Die Drachenburg, eine Bruchbude? Vielleicht "kein Luxus", sagt Stefan Stancu, "aber passt schon". Er klopft an eine der Türen, es öffnet ein Mann in Unterhose, der Mann schaut verschlafen aus, er sagt, er habe Nachtschicht gehabt. Drinnen riecht es modrig, der Schimmel hängt an den Wänden, von denen die Farbe blättert, im Bad unterm Waschbecken ein Eimer, der das Wasser aus dem undichten Abflussrohr auffängt, das Schlafzimmer teilen sich vier Leute, die in Stockbetten schlafen. "Der klassische deutsche Mieter würde hier nicht wohnen wollen", sagt Peter Wellano, der Eigentümer der Drachenburg, der die Hälfte der Wohnungen selbst vermietet und die andere Hälfte an Stancus Freundin zwischenvermietet hat.

Ein Blick in den Ordner, in den Stancu die Mietverträge geheftet hat: 400 Euro zahlt er pro Wohnung an Eigentümer Wellano, 520 Euro kriegt er von seinen Mietern. Ziehen mehr als drei Leute in eine Wohnung, kassiert er pro Mann 100 Euro extra. Es gibt dreistere Fälle, aber es ist immer noch ein Haufen Geld für eine Bude, die den Vermieter kaum Unterhalt kostet, weil er die Wohnungen verkommen lässt, statt sie in Ordnung zu bringen.

"Es wird keiner gezwungen, dort zu wohnen", sagt Eigentümer Wellano, aber ein rumänischer Hilfsarbeiter finde halt "in Landshut keinen vergleichbaren Wohnraum für annähernd diesen Preis". Er klingt wie ein Wohltäter, dem die Zuwanderer dankbar sein sollten, dass es Vermieter wie ihn gibt.

Selbst Stefan Stancus Anwalt hält das Geschäft mit Schrottimmobilien für problematisch - weil diese Praxis "Parallelgesellschaften" schaffe, "die man sicherlich diskutieren kann", sagt Albrecht Schöllhorn-Gaar. Das Problem: Die Kommunen haben kaum Mittel, skrupellosen Vermietern das Handwerk zu legen.

Dafür bräuchte es ein Wohnungsaufsichtsgesetz, das es zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen gibt, aber in Bayern abgeschafft wurde. Damit können Kommunen Immobilien ohne Anmeldung kontrollieren und Eigentümern verbieten, ihre Wohnung zu vermieten, wenn sie Missstände feststellen und der Eigentümer sich weigert, sie zu beseitigen.

Solange der Freistaat nichts an dieser Gesetzeslage ändert, wird es weiter Fälle wie in Landshut geben - und Raum für Spekulationen, dass hinter den Fassaden krumme Dinger laufen. Die Staatsanwaltschaft will den Fall nun ganz genau prüfen - findet auch sie keine Belege für Sozialbetrug, hat sich die Sache erledigt. An den Bewohnern der Drachenburg wird der Verdacht wohl trotzdem hängen bleiben.

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