Werner Röslmair ist Bürgermeister von Inning am Ammersee. In seinem Büro hängt ein sehr buntes Landschaftsbild mit der Signatur "Glowatzki 1966". Weiterhin finden sich: ein Kruzifix, ein Wappen, drei Fotografien mit Ortsansichten von Inning sowie ein Luftbild.
Wenn Röslmair über das Haus des derzeit prominentesten Bürgers von Inning spricht, das muss er dieser Tage häufiger, so sagt er: "Die Wärmepumpe, die der Baselitz benutzt, die ist absolut fortschrittlich. Und er will auch unbedingt den ganzen alten Baumbestand auf seinem Grundstück erhalten. Das finde ich richtig." Nur über den Zaun, der des Künstlers Grundstück zur Seeseite hin abgrenzt, über den müsse man noch reden. "Aber da finden wir schon eine Lösung."
Für alle, die mit dem Namen Baselitz nichts anfangen können: Georg Baselitz wurde am 23.Januar 1938 als Hans-Georg Kern in Deutschbaselitz (sorbisch Nemske Pazlicy) in der sächsischen Oberlausitz geboren. Der DDR-Hochschule für Bildende Künste wurde er in den fünfziger Jahren wegen "gesellschaftlicher Unreife" verwiesen. Später, da wohnte er in Westberlin, wurden einige seiner Bilder beschlagnahmt.
Seit Ende der Sechziger stellt Baselitz, derzeit einer der erfolgreichsten Künstler weltweit, seine Motive gerne auf dem Kopf. Die Fachwelt spricht von der "Motivumkehr".
Zuletzt wohnte er in einem Schloss nahe Hildesheim. Nun zieht Baselitz, 69, nach Inning. Sein Haus bauen Architekten, die sich auch schon für die Münchner Allianz-Arena verantwortlich zeigten. Weil der Rohbau bislang eher betonlastig wirkt, und die alte Villa, welche zuvor das schöne Grundstück schmückte, abgerissen wurde, weht durch Inning derzeit ein Proteststürmchen. Der hässliche Metallzaun am See tut sein Übriges. Gegen ihn liegen dem Bürgermeister bereits 35 Unterschriften vor.
Geduldig gewährt der parteilose Bürgermeister Röslmair - ein Mann mit grauem Schnurrbart und blauen Augen - Einblick in den Fall. Die Spaziergänger seien über Baselitz' Eisenzaun "verärgert und traurig" heißt es in einem der Briefe, die sich auf seinem Schreibtisch finden. Dem Künstler, heißt es, sei doch lediglich ein Maschendrahtzaun genehmigt worden. Ein weiterer Bürger hat seinem Schreiben gleich neun Fotos beigefügt, auf denen er den hundert Meter langen Sicherheitszaun in unterschiedlichen Ansichten geißelt.
Ortsgegehung in Sachen Baselitz-Umzäunung
Gleich muss Bürgermeister Röslmair zur "Ortsbegehung mit dem Landratsamt". Es ist bereits seine zweite Ortsbegehung in Sachen Baselitz-Umzäunung in dieser Woche. Jüngst habe ihn der Künstler persönlich aus dem Ausland angerufen: "Ich will nur keinen Ärger", habe Baselitz zu ihm gesagt. Auch Röslmair will nur keinen Ärger. Schließlich sei er erst fünf Wochen im Amt.
Man werde sich sicher bald auf eine Versetzung des Zaunes vom Ufer weg einigen, meint der Bürgermeister. Und dann erzählt er, dass ein Quadratmeter in Inning vor 30 Jahren noch 114 Mark gekostet habe. Nun liege der Quadratmeterpreis bei bis zu 600 Euro. "Da gibt es schon einen gewissen Frust. Für Einheimische ist das ja alles nicht mehr zu bezahlen." - "Sollen die doch gleich sagen, dass ich dort wieder wegziehen soll", schimpft Baselitz kurz darauf am Telefon. "Darauf läuft es doch hinaus."
Die Autos vor den Häusern neben der baselitzschen Baustelle tragen Mannheimer, Münchner oder Hamburger Kennzeichen. "Hier hat sich in den letzten Jahren viel verändert", sagt ein am See aufgewachsener Hausbesitzer. Er erzählt von seinem Nachbarn, dem Großstadt-Professor, der erst ein Ufergrundstück gekauft und dann die schöne Jugendstilvilla dort abgerissen habe, um in Beton zu bauen. Nun protestiere eben dieser Professor gegen die Gründung eines Neubaugebietes. "Hat der denn alles vergessen?", fragt der Mann. "Irgendwann schreibe ich ein Buch über diesen Ortsteil hier." Man könnte es "Motivumkehr" nennen.