Altersarmut in München:Alle Tage Einsamkeit

Altersarmut in München: Joseph T. war selbständiger Handwerker. Dann brachen die Aufträge weg und er stürzte in die Armut.

Joseph T. war selbständiger Handwerker. Dann brachen die Aufträge weg und er stürzte in die Armut.

(Foto: Hess)

Alt, arm, allein: Schicksalsschläge und Krankheit können von heute auf morgen Existenzen zerstören. Die Rente reicht nicht mehr zum Leben - es ist kein Geld für Tabletten da und am Monatsende gibt es nur noch Kartoffeln und Reis. Am unerträglichsten ist jedoch die Einsamkeit.

Von Monika Maier-Albang

Diese Stimme. So warm und tief. Dazu das rollende R - altes Münchnerisch eben. Und dann erzählt Joseph T. auch noch, dass er Schreiner gelernt hat. Man kann in dem Moment gar nicht anders, man muss an den Meister Eder denken: an die Werkstatt mit ihrem vom Pumuckl beschriebenen Wohlgeruch nach Holz, an das alte Kutscherhaus in der Widenmayerstraße mit der Wohnung vom Eder mit Anrichten und Lampen, die schon 1979, bei Drehbeginn, altertümlich wirkten und heute gerade deshalb wieder begehrt wären.

Auch in der Wohnung von Joseph T. wirken die Möbel, als stünden sie an diesem Ort, seit das Haus Mitte der 1960er Jahre erbaut wurde. Doch romantisch ist hier nichts. Das graue Sofa und die Sperrholzschränke sehen aus, wie Möbel aussehen, wenn sie jahrzehntelang benutzt wurden. Das Radio im Regal wäre ein Stück fürs Deutsche Museum. Wie aus der Zeit gefallen wirkt die Ein-Zimmer-Wohnung, was Joseph T. nichts auszumachen scheint. Was ihm fehlt, sind keine neuen Möbel. Was ihm fehlt, ist ein unterhaltsamer Geselle, wie ihn der Meister Eder im Pumuckl gefunden hatte.

Früher, als er noch arbeiten konnte, habe er immer gern Menschen um sich gehabt, erzählt Joseph T. (alle Namen von der Redaktion geändert). Bis vor vier Jahren, bis zu seinem 71. Lebensjahr, hat er als selbständiger Bodenleger sein Geld verdient. "Ich hab' mich zu wenig versichert", sagt der 75-Jährige heute, und er geht selbst hart mit sich ins Gericht. Zu viel geraucht habe er, so viel, dass er sich am Ende einen Wecker gestellt hatte, um zwischen zwei Zigaretten wenigstens zehn Minuten Pause einzuhalten. Dann hörte er auf, von einem Tag auf den anderen. Weil er sich so geärgert hatte "über meine Ohnmacht".

Zukunftssorgen hatte er da noch keine. "Du wirst eh nicht alt, dachte ich mir. Und so lange kannst Du Deine Arbeit machen." Es kam anders. Die Firma, für die T. tätig war, hatte für die Bayerische Landesbank gearbeitet. Als die 2008 einen Rettungsschirm benötigte, brachen die Aufträge weg. T.s Lager war voll mit Parkett und Teppichböden, die Miete lief weiter - aber es gab keinen Abnehmer mehr. Also hat er seine Lebensversicherung aufgelöst, um die Zulieferer bezahlen zu können. "Meine Materialschulden habe ich noch erledigt. Gott sei Dank," sagt T. Er trennte sich von seinem Auto, als der TÜV ablief. 416 Euro Rente bekommt er heute, 400 Euro zahlt er für die Wohnung. Ohne Hilfe vom Staat käme er nicht über die Runden. Jeden Monat sitzt er wieder da und weiß nicht, wovon er die Tabletten bezahlen soll, die ihm die Magenbeschwerden nehmen, die aber die Kasse nicht übernimmt. "Die kosten mich am Tag eine Mark", sagt T., stutzt, und lacht. Das mit dem Euro hat er noch nicht verinnerlicht.

Dabei ist Joseph T. durchaus ein Mensch, der sich interessiert für das, was um ihn herum passiert. Im Fernseher läuft gerade eine Bundestagsdebatte zu Griechenland, als der Gast kommt. Er interessiere sich für Politik, sagt T., "nur habe ich niemanden, mit dem ich darüber reden kann". Die Einsamkeit kam mit der erzwungenen Rente. "Auf einmal war ich wie abgeschnitten." Einen großen Freundeskreis hatte er nie, die langjährige Lebensgefährtin zog vor einiger Zeit zu ihrem Sohn in den Süden. Und sich außerhalb Münchens zu bewegen, das fällt Joseph T. mittlerweile schwer, obwohl er früher viel im Ausland auf Montage war.

Was er sich leistet, ist die vergünstigte Innenraumkarte; manchmal steigt er einfach in einen Bus und fährt herum. "Da bin ich dann froh, wenn jemand ein geistvolles Wort zu mir sagt." Einmal bis zum Flughafen fahren zu können, das würde ihn freuen, sagt T., "den neuen habe ich noch nicht gesehen". Wenn er hofft, dass es ihm mithilfe der Spenden leichter fällt, seine Medikamente zu kaufen. Und noch einen Wunsch hat T., den er sich selbst nicht erfüllen kann: einen Laptop - auch wenn die Vorstellung, was er damit anfangen kann, vage ist. "Da gibt es sicher etwas, das mich interessieren wird." Er würde, sagt T., einen Kurs belegen, um sich im Internet zurecht zu finden. Und vielleicht gibt es das ja auch: Dass ein Mensch in die Zeit zurückgehoben wird.

Die Frau, die den Sommer nicht mehr erträgt

Nach einem Menschen, mit dem sie ihre Sorgen und Ängste teilen kann, sehnt sich auch Elfriede E. Ihr Mann ist vor Jahren gestorben, nach seinem Tod eröffnete sie ein Blumengeschäft. "Der Laden, das war mein Leben", erzählt sie. Am Wochenende nahm sie ihren Hund und fuhr mit der S-Bahn raus aus München, sammelte Gräser und Moose für die Sträuße. "Ich war schon kreativ. Mein Mann hat immer gesagt: Du machst noch was aus einem Kuhfladen." Unter der Woche kamen die Kunden in den Blumenladen. Die Besitzerin bot ihnen stets auch einen Kaffee an. Dass man sich gerne traf in ihrem Geschäft, das habe sie genossen, sagt Elfriede E. Aber dann kam der Krebs. Und mit dem Krebs die Einsamkeit.

Nach der ersten Chemotherapie hatte sie den Blumenladen noch einmal aufgeschlossen. Nach der zweiten Behandlung fehlte ihr die Kraft. "Plötzlich stand ich vor dem Nichts." Elfriede E. fällt es heute schwer, ihre Ein-Zimmer-Wohnung zu verlassen. Sie hat Rheuma, kann den Gehwagen mit der linken, verkrümmten Hand kaum festhalten. "Die Wohnung ist meine Oase", sagt sie. Sie hat Buddha-Figuren aufgestellt, im Gang hängt getrocknet einer der Sträuße, die sie früher gebunden hat. Frische Blumen kann sie sich heute nicht mehr leisten; die 75-Jährige ist froh, wenn es am Monatsende fürs Essen reicht. Oft habe sie nur noch Kartoffeln oder Reis, erzählt sie.

Sie ist angewiesen darauf, dass der Pflegedienst für sie einkaufen geht. Und wenn die Helfer beim Einkaufen nicht auf jeden Cent achten - "ein Ragout für 2.49 Euro etwa würde ich mir nie leisten" - fehle ihr am Monatsende das Geld. Das Leben ist freudlos geworden für Elfriede E. Kinder haben sie und ihr Mann nicht bekommen. Eine Freundin aus Norddeutschland schickt ihr ab und an gelesene Bücher, das erhellt ihr den Tag. Ansonsten fehlen ihr die Menschen, die sie früher im Laden um sich hatte. Und die Freunde, die im Laufe ihrer Krankheitsgeschichte verschwunden sind. "Vielleicht hat ihren meine Krankheit Angst gemacht", überlegt Elfriede E.

Lange hat die 75-Jährige selbst Ängste mit sich herumgetragen: Angst vor dem Sterben, Angst, wie es ohne Geld weitergehen soll - die Ladenmiete musste ja in den Monaten, die sie nicht arbeiten konnte, weiter bezahlt werden. Die Chemotherapien hat sie als qualvoll erlebt. "Man hat Schüttelfrost, erbricht nur Schaum." Elfriede E. musste sich beide Brüste abnehmen lassen; ihren Körper empfindet sie seitdem als "verstümmelt".

Und es setzt ihr zu, wenn sie bei der Krankenkasse als Bittstellerin auftreten muss. Alle drei Jahre nur, sagt sie, stehe ihr ein Spezial-BH zu, in dem die Prothesen in vorgeformten Taschen Platz finden. Vor Kurzem war ihr alter BH so ausgeleiert, dass sie vor der Zeit bei der Krankenkasse anrief und um einen neuen bat. Am Apparat war eine junge Frau. Die habe sie angeraunt, sie könne sich doch auch für 18 Euro einen normalen BH kaufen. "So etwas tut weh."

Sie würde gerne Kindern vorlesen, krebskranken Kindern vielleicht. "Aber ich schaffe es ja kaum noch aus dem Haus." Vor Kurzem ist sie im Bus gestürzt, hat sich am Bein verletzt. Seitdem kostet es sie Überwindung, überhaupt in einen Bus oder in die U-Bahn einzusteigen. "Ich fühle mich so festgenagelt in meiner Wohnung, und so unnütz", sagt die 75-Jährige. Dabei hat sie so ein Verlangen danach, die Stadt zu erleben, in klassische Konzerte oder Lesungen zu gehen. "Ich mag Orgelkonzerte. Und ich habe das Theater geliebt."

Nächstes Jahr, wenn der Geiger David Garrett am 1. Juni auf dem Königsplatz auftritt, wäre sie gerne dort. Und eine Fahrt ans Meer, nach Italien - auch davon träumt sie. Mit einer Begleitung würde sie dorthin reisen wollen, aber nur im Herbst oder im Frühling, wenn es nicht zu heiß ist. Den Sommer, sagt Elfriede E., ertrage sie auch aus einem anderen Grund nicht mehr. "Da sind die Menschen so lustig."

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