Tourismus im Allgäu:Der Kampf um den Grünten

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Einig sind sich Gegner und Befürworter nur in einem Punkt: Es geht um sehr Grundsätzliches. (Illustration: Zsuzsanna Schemberg) (Foto: N/A)

An den Hängen des 1738 Meter hohen Bergs bei Sonthofen soll für 30 Millionen Euro ein Freizeitzentrum entstehen. Befürworter argumentieren mit Arbeitsplätzen, Gegner warnen vor Naturzerstörung.

Von Florian Fuchs und Christian Sebald

Eigentlich sind sie sich alle einig, wenn es um die Zukunft des Tourismus im Allgäu geht. Die Familie Hagenauer, die am Grünten neue Lifte und einen Sommerbetrieb aufbauen will, spricht von Nachhaltigkeit, wenn sie von ihrem Projekt redet. Klaus Holetschek, CSU-Landtagsabgeordneter und Chef der Allgäu GmbH, des zentralen Tourismusverbands, will das Allgäu "nachhaltig entwickeln". Und Thomas Frey, Alpenbeauftragter des Bundes Naturschutz (BN) und Kommunalpolitiker der Grünen, sagt sowieso: "Wir müssen nachhaltig denken."

Damit könnte die Debatte schon beendet sein. Aber so einfach ist es nicht. Nachhaltigkeit ist ein dehnbarer Begriff, den Unternehmer so gerne benutzen wie Naturschützer, nur versteht jeder etwas anderes darunter. Die einen wollen den Berg zubauen, gerne mit Rücksicht auf die Natur. Die anderen wollen den Vorrang für die Natur, gerne mit Rücksicht auf den Tourismus. Deshalb ist im Allgäu die ganz große Debatte entbrannt, am Grünten, in Oberstdorf, rund ums Schloss Neuschwanstein sowieso: Wie viel Tourismus verträgt das Land - und vor allem auch: wie viel Verkehr?

Rote Linie am Grünten: Teilnehmer einer Demonstration gegen die neuen Bergbahnen bildeten im Oktober eine Menschenkette. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Anja Hagenauer sitzt mit ihrer Mutter Sabine im alten Kassenhaus der Grüntenlifte, die seit zwei Jahren still stehen und Mitte Dezember wieder in Betrieb gehen sollen. Draußen vor der Tür steht ein alter Sessellift, daneben ein Schlepper. Gegen mehr Touristen hätten Tochter und Mutter nichts einzuwenden, die Familie hat die alten Anlagen gekauft und will 30 Millionen Euro investieren.

Sieben dieselbetriebene Lifte sollen durch drei elektrische ersetzt werden. Oben am Grat würde der neue Lift nicht so weit hinauf führen wie der alte, nicht bis zur Schutzzone. Die Unternehmer wollen die Wanderwege ordnen. Von "minimalen Eingriffen" spricht Sabine Hagenauer. Kritik von Vogelschützern hin oder her: Die Vögel, sagt sie, hätten es nach dem Umbau besser. Wo weniger Lifte sind, hängen weniger Seile.

So geht die Argumentation der Hagenauers, so sehen es auch ihre Unterstützer. Als Reaktion auf die Projektgegner hat sich eine Initiative in Rettenberg am Fuß des Grünten gebildet. Sie trifft sich am Abend im Gasthof Adler. Es sind Geschäftsleute da, es sind Bürger da, für sie alle hat das Geschäft mit den Skiliften früher gut funktioniert. Sie würden gerne wieder profitieren, vor allem mit den Hagenauers, die aus der Gegend kommen. Auch der Oberallgäuer Landrat ist da, Anton Klotz, nicht als Diplomat bekannt: "Wir können nicht das Allgäu zusperren und keinen mehr reinlassen. Der Grünten war immer ein Skiberg."

Diesen Skiberg nutzt auch Max Stark gerne, Sprecher der Initiative "Rettet den Grünten", die das Vorhaben der Hagenauers zum derzeit meistdiskutierten Thema im Allgäu gepuscht hat. Stark ist passionierter Skitourengeher, dafür braucht er keine neuen Lifte. Er und seine Mitstreiter stören sich an der geplanten großen Kabinenbahn und am Ausbau der Grüntenhütte für mehr Gäste und Gastronomie. Da nützt auch der laut Werbung "alpenländliche Baustil" nichts.

Stark will keine Streicheltiere oben in der Gaststätte, er will nicht mehr Parkplätze unten im Tal, er will keine neuen Schneekanonen auf dem Berg. Und er sieht nicht ein, dass das alles mit Steuergeldern gebaut werden soll. Ein Drittel der Investition, also zehn Millionen Euro, will die Familie Hagenauer aus dem Seilbahnförderprogramm finanzieren.

Vor allem aber will Stark "kein Halligalli" am Berg. Damit meint er den von ihm so bezeichneten "Rollglider", den die Familie Hagenauer "Walderlebnisbahn" nennt. So ein Streit um die Deutungshoheit ist ja auch immer ein Kampf um die Begriffe. Die Anlage ist der Kern des Streits um den Grünten: An zwei mehrere Kilometer langen Seilrutschen sausen die Leute teils zwischen den Bäumen hindurch ins Tal.

Anja Hagenauer sagt, der Winterbetrieb alleine rechne sich nicht. "Wir brauchen eine Sommerattraktion, die Leute anzieht." BN-Mann Frey entgegnet: "Das ist nichts anderes als eine Achterbahn mit erheblicher Infrastruktur, und dann sind wir im Freizeitpark." So ein Freizeitzentrum betreiben die Hagenauers bereits in der "Alpsee Bergwelt" bei Immenstadt. Da kommen viele Tagesgäste, da kommen viele Autos. "Das brauchen wir nicht schon wieder", sagt Frey.

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Das Problem sei, sagt Anja Hagenauer, dass die Diskussion am Grünten grundsätzlich geworden ist. "Es geht gar nicht mehr um das Projekt an sich." Der Berg eignet sich ja auch gut als Exempel. "Wächter des Allgäus" wird er genannt, wegen seiner exponierten Lage. Und dann hat dort auch noch alles angefangen mit einem der ersten Hotels im Allgäu, dem Grüntenhaus, hinten Richtung Burgberg. Carl Hirnbein, den sie noch heute "Alpkönig" nennen, gründete das Touristenhotel im Jahr 1854. Seinen Gästen bot er Molkekuren und Pferderitte auf den Berg an. Damals gab es keine Proteste. Heute, da gibt Naturschützer Frey den Hagenauers recht, gehe es am Grünten um Grundsätzliches. Aus seiner Sicht um eine "grundsätzliche Fehlentwicklung in den Alpen".

Die große Schlacht am Riedberger Horn ist ja gerade erst geschlagen. Das Riedberger Horn ist die Chiffre für den erbittertsten Streit seit Jahrzehnten zwischen einer Bergbahn und Umweltorganisationen um den Schutz der Berge. Obermaiselstein und Balderschwang wollten mit einer Skischaukel zwei kleine Skigebiete am Riedberger Horn verbinden. Anders als der Konflikt um den Grünten war die Skischaukel ein Tabubruch. Und zwar nicht nur wegen der streng geschützten Birkhühner, die dort leben. Sondern weil sie das erste Projekt war, für das der bayerische Alpenplan geändert wurde.

Er gilt in der Expertenwelt als einzigartiges Instrument für den Erhalt der Bergwelt. Er unterteilt die bayerischen Alpen in die Zonen A, B und C. In Zone C sind Bergbahnen, Schneekanonen und neue Pisten verboten. Für Fachleute ist der Alpenplan der Grund, warum die Bergwelt in Bayern vergleichsweise intakt ist und es hier keine gigantischen Skigebiete und Bergbahnen gibt wie etwa in Tirol.

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2017 passten Staatsregierung und CSU den Alpenplan für die Skischaukel an, der Alpenverein, der BN und der Landesbund für Vogelschutz verteidigten ihn mit Zähnen und Klauen. Als der vormalige Heimatminister Markus Söder Ministerpräsident wurde, räumte er die Skischaukel sofort ab. Sogar die Änderung des Alpenplans wurde rückgängig gemacht. Als Entschädigung bekommt die Region ein Naturerlebniszentrum Alpin und ein Förderprogramm für naturnahen Tourismus.

Nun steuern sie um am Riedberger Horn. Unter dem Motto "Berg-Naturerlebnis Grasgehren - Das etwas andere Skigebiet" probieren sie unter Liftchef Tobias Lienemann sanften Wintertourismus aus. Sogar auf viele Schneekanonen haben sie verzichtet, freiwillig. Stattdessen werben sie offensiv für die Beachtung der Schutzzonen für Birkhühner und andere Wildtiere. Und sie locken Winterwanderer, Schneeschuhwanderer und Skitourengeher. "Wir erfinden uns gerade neu", sagt Liftchef Lienemann, "wir wollen ein kleines, feines Skigebiet sein für Gäste, die Entschleunigung und intakte Natur fernab vom Massentourismus haben wollen."

Die Naturschutzverbände haben das Riedberger Horn zum Symbolberg dafür gemacht, wie sehr Anspruch und Wirklichkeit der Umweltpolitik von Staatsregierung und CSU auseinanderklaffen. Der Grünten ist auf dem besten Weg, zum Symbolberg zu werden für die Debatte über Overtourismus im Allgäu. Der Begriff ist eigentlich für Städte wie Barcelona oder Venedig erfunden worden. Im Vergleich dazu ist das Allgäu unerschlossenes Gebiet.

Dem CSU-Politiker Holetschek ist die Einordnung so wichtig, dass er ein paar Zahlen per SMS sendet. "Allgäu: 36 Millionen Tagesgäste auf 5000 Quadratkilometer. Venedig: 30 Millionen Tagesgäste auf sieben Quadratkilometern", schreibt er, pro Jahr gerechnet. Aber egal, wie man das Phänomen nennt und ob es woanders noch mehr zugeht: Im Allgäu droht die Stimmung bei den Einheimischen zu kippen. Kaum einer weiß das besser als Stefan Fredlmeier, Tourismuschef in Füssen. 15 000 Einwohner, 1,4 Millionen Übernachtungen im Jahr, 560 000 Gästeankünfte und 2,5 Millionen Tagesbesucher. "Wenn wir nichts tun, kriegen wir ein Akzeptanzproblem", sagt er.

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Sie haben das schon gespürt in Füssen. Ein Investor wollte neben das Festspielhaus ein Fünf-Sterne-Hotel bauen. Nach Protesten zog er sich zurück. Man müsse sich mit dem schlechten Bauchgefühl beschäftigen, sagt Fredlmeier, sonst werden die Einheimischen zu schlechten Gastgebern. Es bringe nichts, an den Kopf zu appellieren, etwa mit der Zahl des jährlichen touristischen Bruttoumsatzes in Füssen: 200 Millionen Euro. Der Verkehr, da sind sich die Experten einig, ist das Thema, an dem sich der meiste Ärger entzündet.

In Füssen treffen sich B 16 und B 17, nach Oberstdorf wälzen sich die Blechlawinen die B 19 hinunter. "Wenn wir die Mobilität in den Griff kriegen, ist der größte Druck raus aus der Diskussion", sagt Fredlmeier, der unlängst mit Landräten und Verkehrsminister Hans Reichhart in der Allgäu GmbH zusammensaß. Sie wollen nun ein Mobilitätskonzept für die ganze Region, Ausbau des Schienenverkehrs, Elektrifizierung der Strecken, Ausbau des Nahverkehrs. Jahrelang haben sie das verschlafen, so schnell wird es jetzt nicht gehen.

Hotels

In Nesselwang steht derzeit wieder die Erweiterung eines Hotels an, Bürger haben schon ihre Bedenken geäußert. Dass Einheimische an Wochenenden gar nicht mehr auf ihre Hausberge gehen, in diesem Fall die Alpspitz, hört man nicht nur im Ostallgäu. Und auch wenn ein Hotel nicht direkt am Berg liegt, zieht es Gäste und damit Verkehr an: Die Staus sind Einheimische inzwischen genauso leid wie den Massenansturm auf so manchen Gipfel. Bis zum Sommer gab es in Füssen große Debatten um ein Fünf-Sterne-Hotel, das ein Investor neben das Festspielhaus am Forggensee stellen wollte. Der Investor, dem die Stadt den roten Teppich ausgerollt hatte, um das Festspielhaus wieder in die schwarzen Zahlen zu bringen, gab seinen Plan nach Protesten entnervt auf. Touristiker halten vor allem viele billige Gästewohnungen für ein Problem: In Qualität, nicht in Quantität müsse investiert werden, was Übernachtungsmöglichkeiten angehe. Immer öfter formiert sich aber Widerstand gegen Bauprojekte.

Neuschwanstein

Besucher müssen bei einer Besichtigung von Schloss Neuschwanstein 169 Treppenstufen hinauf und 204 Stufen hinunter steigen, aber das schreckt offenbar niemanden: 1,4 Millionen Gäste zählt die Schlösser- und Seenverwaltung jährlich, 70 Prozent davon aus dem Ausland. 8332 Menschen kamen am 14. August 2007, der Besucherrekord steht noch immer. Neuschwanstein zählt zu den Top-Sehenswürdigkeiten in Deutschland, es war bereits zu den Bauzeiten vor 150 Jahren der größte Wirtschaftsfaktor der Region und ist es gemeinsam mit Schloss Hohenschwangau noch heute. Hotels, Ferienwohnungen, Gaststätten, selbst die Kutscher, die Touristen rauf bis fast vor die Schlosstore fahren, machen ein Riesengeschäft mit Ludwigs Märchenpalast. Einheimische beklagen aber auch hier den Verkehr in Schwangau und die überfüllten Gassen in der Fußgängerzone des Nachbarorts Füssen. "In den Sommermonaten traut man sich kaum noch in die Stadt" - solche Sätze hört man von vielen Einheimischen.

Canyoning

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(Foto: imago/Westend61)

Mit ihren schäumenden Strudeln, den riesigen Wassermühlen und einem mehr als zwölf Meter hohen Wasserfall zählt die Starzlachklamm am Fuße des Grünten zu den Attraktionen im Allgäu. Sommers spazieren oft Hunderte Ausflügler auf dem schmalen Weg, der oberhalb der Starzlach in das Naturdenkmal geschlagen worden ist. Die Klamm ist auch Ziel fürs Schluchtenwandern, auf Neudeutsch Canyoning. Dabei marschieren und schwimmen die Sportler die Klamm direkt im Bach hinab und wenn ein Wasserfall im Weg ist, seilen sie sich ab. In der Starzlachklamm bieten Outdoor-Agenturen solche Canyoning-Touren an. Von Mitte Mai bis Ende Oktober schleusten sie 7000 Leute durch sie hindurch. Der Naturschützer Alfred Kerle-Fendt wehrt sich gegen den Ansturm: "Das Naturdenkmal verkommt zu einem Freizeit-Gewerbegebiet, Vögel und Wassertiere leiden." Im wenig entfernten Ostertaltobel nervte das Canyoning die Anlieger so sehr, dass dort keine Gruppen mehr durch den Tobel geführt werden dürfen.

Schrecksee

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(Foto: Polizei)

Die Polizeikontrollen und die Bußgelder haben offenbar gefruchtet. Diesen Sommer hat der Ansturm auf den Schrecksee ein wenig nachgelassen. Der Schrecksee ist ein idyllischer Gebirgssee auf 1813 Metern Höhe mitten im Naturschutzgebiet Allgäuer Hochalpen. Er liegt zur Gänze jenseits der Baumgrenze und ist von Zweitausendern umgeben. Dank Instagram und anderer sozialer Netzwerke ist der Schrecksee Ziel für Digital Natives aus nah und fern. Bei gutem Wetter haben schon bis zu 80 Leute an dem See gefeiert und gezeltet - obwohl das in dem Naturschutzgebiet streng verboten ist. Dass es nun am Schrecksee etwas ruhiger zugeht, heißt nicht, dass das Partyvolk ein Einsehen hat und die Natur schont. Es sucht sich einfach andere Plätze zum Feiern und Zelten. Den unteren Gaisalpsee zum Beispiel, der unterhalb des Rubihorns auf 1500 Meter Höhe liegt und relativ einfach erreichbar ist, oder den Engeratsgundsee am Osthang des Großen Daumens. Beide liegen ebenfalls mitten im Naturschutzgebiet.

Moutainbiken

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(Foto: imago/Kickner)

Die Mountainbike-Verbotsschilder an der Höllritzer-Alpe waren die ersten, die in den Allgäuer Bergen aufgestellt worden sind. Das war im Juli 2018. Inzwischen sind ein gutes Dutzend an anderen Wegen und Pfaden hinzugekommen. Und Rolf Eberhardt vom Naturpark Nagelfluhkette kündigt weitere an. Seit immer mehr Mountainbiker nicht mehr nur mit eigener Kraft, sondern mit E-Bikes unterwegs sind, verschärfen sich die Konflikte. Vor allem die mit den Alphirten, die um die Sicherheit ihres Viehs fürchten. In dem einen oder anderen Gebirgstal sollen bisweilen bereits mehr Radler als Wanderer unterwegs sein. Dabei gilt im Naturpark Nagelfluhkette und anderen Schutzgebieten seit Langem die Vorgabe, dass man nur auf mindestens zwei Meter breiten Wegen radeln darf. Noch strenger sind die Regeln im Naturschutzgebiet Allgäuer Hochalpen. Aber das wissen selbst die meisten Einheimischen nicht. Deshalb also nun an sensiblen Stellen Verbotsschilder. Die Frage ist, ob die Radler sich an sie halten.

Schneeschuhe

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(Foto: imago images/teamwork)

Manche halten das Skitourengehen für die Wintersportart mit den größten Zuwachsraten. Henning Werth, der als Gebietsbetreuer das Naturschutzgebiet Allgäuer Alpen so gut kennt wie nur wenige, hält dagegen: "Bei uns ist es das Schneeschuh-Wandern, das einen einzigartigen Boom erlebt." Die Gründe sind offensichtlich: Ein jeder, der einigermaßen fit ist, schnallt sich die Schneeschuhe an und kann einfach losstapfen. Die Ausrüstung ist vergleichsweise günstig. Und Schneeschuh-Wanderer brauchen keinen Weg, keine Spur, sie bewegen sich völlig losgelöst in der Winterlandschaft. Genau das ist inzwischen das Problem in den Allgäuer Bergen. "Schneeschuh-Geher dringen in immer mehr weit abgelegene Täler vor, in denen früher absolute Winterruhe geherrscht hat", sagt Werth. In das Obertal etwa, das hinter dem Hintersteiner Tal liegt und winters ein Ruhegebiet für Rotwild und Birkhühner ist. "Wenn der Boom anhält, brauchen wir Lenkungsmaßnahmen", sagt Werth. "Sonst leiden die Hirsche und Birkhühner."

Den Verkehr in den Griff zu bekommen, heißt auch, die vielen Tagesgäste zu lenken, sie sind es, die vor allem die Straßen verstopfen. Und neben einem Verkehrsplan für die Region braucht es laut Fredlmeier ein Beherbergungskonzept. Für Füssen hat er kein Interesse an weiteren Billig-betten. "Wir brauchen Qualität, nicht Quantität", darin ist er sich mit dem Naturschützer Frey einig. Der BN-Alpenbeauftragte will Hotels und überhaupt Infrastruktur vor allem "im nächsten Stockwerk" verhindern, wie er sagt. Nach seiner Beobachtung wird inzwischen mit Vorliebe in Hochlagen investiert, oben auf dem Berg. Das gelte es zu verhindern, sonst schaue es dort in 30 Jahren aus wie im Tal. "Alles zugebaut."

Was also tun? Der Tourismus ist die Leitökonomie im Allgäu, 60 000 Arbeitsplätze im ländlichen Raum. Politiker Holetschek will alle an einen Tisch setzen, Naturschützer, Touristiker, Unternehmer, Bürger. "Wir müssen schauen, dass wir so oft wie möglich Kompromisse finden, auch wenn das nicht immer klappt." Am Grünten saßen Unternehmer und Projektgegner bereits zusammen, angenähert haben sie sich nicht. Es sieht auch nicht so aus, als würde sich das bald ändern. Die Hagenauers bieten an, statt über die Seilrutsche über eine andere, naturverträglichere Sommerattraktion zu verhandeln. "Bis jetzt hat sich nur keiner mit einer Idee gerührt", sagt Anja Hagenauer. Das sei auch ein Denkfehler, sagt der Sprecher der Gegner, Max Stark: "Mit einem nachhaltigen, naturverträglichen Konzept kann ich keine 30 Millionen Euro reinwirtschaften."

© SZ vom 28.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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