Ärztetag:Groß hadern

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Hausärzte, die als Einzelkämpfer rund um die Uhr für ihre Patienten da sind, werden immer weniger. (Foto: Carsten Koall/Getty Images)

In Bayern wollen immer weniger Mediziner eigene Praxen aufmachen. Lieber lassen sie sich anstellen. Assistenzkräfte sollen sie künftig mehr entlasten - beispielsweise bei den Hausbesuchen

Von Dietrich Mittler, Deggendorf

Der Bayerische Ärztetag in Deggendorf unterscheidet sich von vielen Ärztetagen davor. Am Freitag begann das bereits damit, dass Max Kaplan, der Präsident der Bayerischen Landesärztekammer, vor dem großen Empfang in der Stadthalle einen Abstecher zur Degendorfer Erstaufnahme-Einrichtung für Asylbewerber machte. Kaplan wollte sich selbst einen Eindruck davon verschaffen, wie dort die ankommenden Flüchtlinge medizinisch betreut werden. Und auch das ist anders als sonst: Unter Bayerns Ärzten ist die Einsicht gewachsen, dass das alte Berufsbild nicht mehr viel mit der Realität zu tun hat. "Ich habe immer noch großen Respekt vor Ärzten, die als Einzelkämpfer bisweilen rund um die Uhr für ihre Patienten da sind", sagte Kaplan. Aber dieses Berufsbild sei ein Auslauf-Modell.

Junge Ärzte - viele davon Frauen - sind nicht mehr bereit, für den Beruf auf Familienleben und Freizeit zu verzichten. Immer mehr dieser Ärzte engagieren sich deshalb in Gemeinschaftspraxen, in denen die Last auf mehrere Schultern verteilt ist. Oder sie lassen sich gar fest anstellen - etwa in Medizinischen Versorgungszentren. "Seit 2011 ist die Zahl der angestellten Ärzte um mehr als 60 Prozent gestiegen", sagte Kaplan. "Das, so betonte er, "ist die Zukunft, sonst werden wir die Versorgung nicht mehr schultern können."

Diese Erkenntnis mag einigen altgedienten Medizinern weh tun. Noch mehr aber die Ahnung, dass Ärzte Kompetenzen abtreten werden müssen. Schon auch deshalb, weil neue Berufsbilder auf den Markt drängen, wie etwa die "Physician Assistants", die nicht an einzelne Praxen angebunden sind, sondern ihre Leistungen - beruhend auf breit gefächerten medizinischen Kenntnissen - eigenständig anbieten werden. Und die könnten durchaus eine Konkurrenz darstellen. "Ärzte sind unersetzbar", hält hier Kammerpräsident Kaplan dagegen. Aber: Bayerns Ärzte müssten sich, noch mehr als bereits bislang, dazu aufraffen, Tätigkeiten abzutreten. "Mehr Delegation wagen", sagt Kaplan und gibt dabei die Zielrichtung vor, die die Landesärztekammer vertritt. Übersetzt lautet die: Wenn es die Ärzte entlastet, ist es sinnvoll, weitere Aufgaben an Assistenzkräfte abzutreten. Aber am Ende hat immer der Arzt oder die Ärztin die Hosen an.

Weisungsungebundene Konkurrenzmodelle, die durch Bachelor- und Masterstudiengänge entstehen könnten, erteilte Kaplan eine Absage: "Geschäftsmodelle im Sinne eines ,Arzt light' lehne ich ab", sagte er. Um sich rechtzeitig für bevorstehende Diskussionen zu wappnen, sei nun "ein gewisser Denkprozess notwendig", der letztlich klären müsse: "Was sind echte ärztliche Aufgaben?" Und welche Aufgaben - insbesondere die wachsenden bürokratischen Anforderungen - sollten Ärzte abtreten, damit sie wieder mehr Zeit haben, "Patienten als Gesamtperson wahrzunehmen" und nicht in einzelne Krankheitsbilder "zu partikulieren". Klar sei aber: Die Diagnose, die Entscheidung darüber, welche Therapie angewandt werde sowie die Überwachung der Therapie bleibe Ärzten vorbehalten. Wie es in Kaplans Sinn weiter laufen sollte, wird am Modell VERAH sichtbar, das sich immer mehr durchsetzt. Die Abkürzung steht für "Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis". Diese Assistentinnen - kürzlich machte die deutschlandweit Siebentausendste von ihnen im Kreis Kitzingen ihren Abschluss - übernehmen für den Arzt auch Hausbesuche. Etwa dann, wenn es etwa darum geht, Verbände zu wechseln, Blutdruck zu messen oder den Krankheitsverlauf bei chronisch kranken Patienten zu beobachten - das aber alles in Absprache mit dem Arzt. "Schließlich", so betonte Kaplan, "tragen wir Ärzte auch hier die Verantwortung."

© SZ vom 24.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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