Adoptivkinder:Leons neues Leben

Adoptivkinder: Alexandra und Tobias Jung spielen mit ihrem vierjährigen Sohn Leon (Name geändert). Als er zwei Jahre alt war, haben sie ihn adoptiert.

Alexandra und Tobias Jung spielen mit ihrem vierjährigen Sohn Leon (Name geändert). Als er zwei Jahre alt war, haben sie ihn adoptiert.

(Foto: Haas)

Per Adoption zum Elternglück: In München finden pro Jahr etwa 80 Kinder so ein neues Zuhause. Wer diesen Weg gehen will, muss fast alles offenlegen. Manche Paare entscheiden sich auch bewusst für einen Jungen oder ein Mädchen aus dem Ausland. Doch die behördlichen Hürden sind hoch - und oft kämpfen die Familien noch mit anderen Schwierigkeiten.

Von Nadine Regel

Der heutige Tag ist ein denkwürdiges Datum", sagt Alexandra Jung, als sie ihrem vierjährigen Sohn Leon (Name geändert) den Reißverschluss der Jacke zuzieht und seinen wuscheligen Lockenkopf unter der dunkelblauen Kapuze verbirgt. "Auf den Tag genau vor zwei Jahren haben wir Leon das erste Mal in die Arme geschlossen", erinnert sich die 39-Jährige. Damals kamen sie mit dem Flugzeug aus Bogotá. Hinter ihnen lag ein dreiwöchiger Aufenthalt in Kolumbien - eine hoch emotionale Zeit, geprägt von Behördengängen, Gerichtsterminen und der behutsamen Annäherung an den damals zweijährigen Leon.

Mit seiner Oma besucht Leon heute ein Kindertheater in der Stadt. Die beiden gehen die Stufen zur U-Bahn hinunter, er lächelt und winkt seiner Mutter zum Abschied. Leon ist ein fröhliches Kind - und ein temperamentvolles. In seinen Adern fließt kolumbianisches Blut. Als Alexandra Jung vor zehn Jahren ihren Mann Tobias heiratete, war noch nicht klar, dass sie zusammen keine leiblichen Kinder bekommen würden. Der Wunsch nach Kindern war aber immer da. So entschied sich das Ehepaar Jung für eine Auslandsadoption in Kolumbien und gegen den medizinischen Weg.

Von befreundeten Paaren wussten sie, dass eine solche Behandlung an die Grenzen gehe - das ewige Probieren, die physischen und psychischen Belastungen. Sechs Millionen Männer und Frauen im Alter von 25 bis 59 Jahren gelten in Deutschland als ungewollt kinderlos. Sie stehen ähnlich wie Alexandra und Tobias Jung vor der Frage: Welchen Weg wähle ich, um meinen Kinderwunsch zu realisieren? Und wie weit gehe ich dabei?

Durchschnittlich fänden in München pro Jahr etwa 80 Adoptionen statt, sagt Gabriele Pechtl vom Stadtjugendamt München. Die Bewerberzahlen sind dabei weitaus höher - bis zu 120 Paare informieren sich bei den regelmäßig stattfindenden Infoabenden über das Thema Adoption. Ein Drittel dieser Paare sendet schlussendlich auch die Bewerbungsunterlagen für eine Adoption ein.

Die meisten Adoptivkinder aus dem Ausland stammen aus Thailand und Äthiopien

2012 wurden in Bayern 448 Kinder vermittelt, davon 168 aus dem Ausland. Die meisten Kinder aus dem Ausland werden aus Thailand und Äthiopien nach Deutschland vermittelt. Die Zahlen des statistischen Bundesamtes beziehen sich dabei nur auf offizielle Vermittlungsstellen.

Das Stadtjugendamt München unterstützt ausnahmslos sogenannte halboffene Inlandsadoptionen. "Das Paar muss grundsätzlich dazu bereit sein, die leibliche Mutter des Kindes kennenzulernen", sagt die Sozialpädagogin Gabriele Pechtl. Ansonsten sei eine Adoption nicht möglich. Der natürliche Altersabstand zwischen Eltern und Kind sollte bei der Erstvermittlung nicht höher als 40 Jahre sein. Das Mindestalter für eine Adoption liegt bei 25 Jahren. In München werden überwiegend Säuglinge vermittelt.

Grundsätzlich können Eltern auch mehrere Kinder aufnehmen. Die Aufnahme eines Kindes zur Pflege ist eine mögliche Alternative zur Adoption. "Die Chancen einer Vermittlung sind hier höher", sagt Pechtl. Im Unterschied zur Adoption, bei der sich die leiblichen Eltern freiwillig juristisch vom Kind trennen, führt bei einer Pflege die schwierige Lebenssituation in der leiblichen Familie dazu, dass die Kinder abgegeben werden. Diese Entscheidung kann auf einem richterlichen Beschluss basieren.

Häufig verbleiben die Kinder dauerhaft in der Pflegefamilie. Kinder mit besonderen Bedürfnissen wie körperlicher und geistiger Behinderung sowie Traumatisierung sind schwer zu vermitteln, aber werden immer häufiger zur Adoption oder Pflege freigegeben. "Die Menschen, die behinderte Kinder adoptierten, haben eine hohe soziale Kompetenz", sagt Pechtl. Eine "gesunde Adoption" stehe gleichwohl meist an erster Stelle.

Hohe Hürden vor der Adoption

Vor einer Adoption führt Gabriele Pechtl bis zu acht Gespräche mit den Bewerbern. Sie müssen im Laufe des Bewerbungsprozesses so gut wie alles offenlegen: von Beziehungsproblemen bis zum Kontostand. "Wichtig ist, dass sie vor allem ehrlich zu sich selbst sind", sagt Gabriele Pechtl. Ein Kind - ob adoptiert oder leiblich - könne nicht als Kitt für eine Beziehung dienen.

Eltern sollten sich auch schon vor einer Adoption mit ihrer ungewollten Kinderlosigkeit auseinandergesetzt haben, denn es berührt den Menschen existenziell. Viele Menschen glaubten, sie hätten ein Recht auf Glück, Liebe, Gesundheit - und ein Kind. "Es ist aber nicht so. Das müssen sie ein Stück weit hinnehmen", sagt Pechtl. Die ungewollte Kinderlosigkeit sei für viele eine "Verletzung". Eine Heilung sollte noch passieren, bevor Paare eine Adoption anstreben. Sonst träfen bei einer Adoption gleich mehrere verletzte Seelen aufeinander: Das Kind, das den ersten Bruch mit dem Verlust der leiblichen Eltern erlebt hat, und die Adoptiveltern, die sich in dem Schmerz über ihr "eigenes Versagen", keine Kinder bekommen zu können, vergraben.

Adoptivkinder: Familie Jung und ihr Adoptivkind.

Familie Jung und ihr Adoptivkind.

Wenn Kinder dann fragten, warum sie adoptiert seien und die Eltern dann weinten, dann verstöre das das Kind: "Was habe ich denn jetzt angestellt, wird es sich fragen", ist Pechtl überzeugt. Ein gesunder Umgang für das Kind mit seiner Vergangenheit ist dann nur schwer möglich.

Leibliche Mütter entscheiden sich meist schon während der Schwangerschaft dazu, ihr Kind zur Adoption freizugeben. "Ein sensibler Moment", sagt Gabriele Pechtl. 30 bis 40 Frauen kämen im Jahr zu ihr in die Beratung. Diese zielt in erster Linie darauf ab, gemeinsam mit den Eltern die für das Kind beste Lösung zu ermitteln. Dazu werden die Möglichkeiten für ein Leben mit dem Kind ausgelotet: Gibt es Großeltern, die helfen können, kann man die Mutter in einem speziellen Mutter-Kind-Heim unterbringen, findet man gemeinsam mit dem Arbeitgeber ein gute Lösung?

Zwischen neun und 20 Frauen entscheiden sich dann aber für die Abgabe ihres Kindes. Bereut hätte es noch nie eine Mutter, ihr Kind weggegeben zu haben. "Mütter und Väter, die ihre Kinder weggeben, sind keine Rabeneltern. Im Gegenteil: Sie sind liebende Eltern. Sie entscheiden für das Wohl des Kindes", sagt Pechtl. Eine negative Stigmatisierung sei unangemessen.

Für das Ehepaar Jung kam eine Inlandsadoption nicht infrage. Sie wünschten sich ein Kind aus Kolumbien im Alter zwischen null und 36 Monaten, möglicherweise mit körperlichen Behinderungen, die sich mit einem Eingriff in Deutschland beheben lassen. Mit Leon bekamen sie einen Sonnenschein, gesund, munter und "sehr helle". Es war sehr hilfreich, dass die Jungs seine Muttersprache Spanisch sprechen. Sie hätten erlebt, welche Probleme andere Eltern gehabt hätten, weil sie nicht mit dem Kind kommunizieren konnten. "Frustrierend - vor allem für das Kind", sagt Tobias Jung.

Die Jungs fanden sich schnell in ihre neue Rolle als Eltern ein. Leon testete sie schon nach wenigen Tagen. Er ließ seinen Löffel immer wieder provozierend auf den Boden fallen. "Ein gutes Zeichen", findet Tobias Jung. Die anfängliche Befangenheit sei schnell abgefallen. Leons leibliche Mutter haben sie nicht kennengelernt, Adoptionen sind in Kolumbien anynom. Mit seinen vier Jahren hat Leon noch nicht realisiert, dass er anders aussieht als seine Eltern. Wenn er alt genug ist, werden sie mit ihm nach Kolumbien reisen. "Wir sehen eine Adoption als Chance für ein Kind", sagt Tobias Jung, "und für uns."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: