Berchtesgaden:Acht Stunden in der Unterwelt

Im Bergwerk von Berchtesgaden wird seit knapp 500 Jahren dem Gestein das Salz abgerungen. Die Männer, die dort arbeiten, sind von einem ganz besonderen Schlag: stolz, wortkarg, zäh.

Von Dietrich Mittler, Bad Reichenhall

Das Gebirge hat gewaltige Kräfte, und es zögert keinen Augenblick, sie den Menschen spüren zu lassen. Bei Schichtbeginn erbitten die Bergleute des Salzbergwerks Berchtesgaden himmlischen Beistand, um möglichen Gefahren zu entgehen. "Gott wir bitten dich darum durch Jesum Christum, Deinen lieben Sohn, unseren Herrn und Heiland, Amen", heißt es im traditionellen Bergmannsgebet vor der Einfahrt in die Grube. Aufrecht stehen die Männer auch an diesem Tag vor einem geschmückten Kreuz. Ihre Stimmen füllen den Saal, den sie Kaue nennen. "Vater unser . . .", ertönt es, und nichts kann die Arbeiter in diesem Augenblick stören.

Zweieinhalb Stunden später pendelt der Strahl von Thomas Stögers Grubenlicht längst im Takt seiner Schritte übers Gleisbett hinweg, das den Stollen durchzieht. Die Gesteinsbrocken, die im nur noch zu Kontrollzwecken begangenen Altgrubenbau von den Wänden herabgerutscht sind, versperren ihm nun den Weg. Aufhalten können sie den Bergmann nicht. Instinktiv umgeht er Hindernisse, die plötzlich vor ihm aus der Finsternis auftauchen. "Wir sehen hier, wie der Gebirgsdruck den Stollen so langsam verbogen hat", sagt er.

Wenn die Leitungsrohre brechen, könnte es ernst werden

Sichtbar wird dies vor allem an den Schienen der Grubenbahn, die auf einmal wellenförmig verlaufen, wo sie eigentlich gerade sein sollten. Der Gebirgsdruck hat sie verformt, so als wären sie nicht aus Stahl, sondern aus Draht. Stöger lässt sie mit stoischer Gelassenheit hinter sich. In seiner Funktion als Fahrhauer hat er die Aufsicht darüber, dass hier alles sicher abläuft. Wichtiger als die verbogenen Schienen sind dem 52-Jährigen gerade die gegossenen Leitungsrohre, die zu starr sind, um dem Gebirgsdruck dauerhaft standzuhalten. Wenn sie brechen, könnte es wirklich ernst werden.

"Vor allem das Grundwasser hier unten, das muss man ja gezielt wieder ableiten, damit es keinen Schaden anrichtet", sagt Stöger. Viele Kilometer legt er Tag für Tag zu Fuß in den Stollen zurück. Nur ab und zu wird das Poltern seiner Schritte übertönt durch dumpfes Dröhnen. Stöger springt aus dem Gleisbett, kurzer Gruß, eine Grubenbahn rauscht vorbei - in der Dunkelheit nur erkennbar am Fahrlicht. Gelegentlich begegnet er auch Grubenfahrrädern, die ebenfalls auf den Gleisen unterwegs sind, ideal für kleinere Materialtransporte zur Werkstatt.

Vieles, was in den Stollen kaputtgeht, wird von Handwerkern gleich unter Tage gerichtet. Bei ihnen würde man sich fast in einem normalen Reparaturbetrieb wähnen, stünde nicht schweres Bergmannsgerät herum. "Das hier ist ein Brecher, der kriegt neue Zähne. Die alten hat er sich abgebissen", sagt Stöger und beugt sich über die defekte Zerkleinerungsmaschine. Aus einem Lautsprecher erklingt Volksmusik. "Holleiduido" jodelt es noch, als der Fahrhauer längst wieder durch die Dunkelheit stapft.

Dieses bayerische Bergwerk - seit 1517 ununterbrochen in Betrieb - unterscheidet sich eben nicht nur durch Gesteinsformationen von den Ruhrpott-Zechen. Berchtesgadener Bergleute sind ein Schlag für sich: stolz, wortkarg, zäh. "Ach datt macht keinen Unterschied", ertönt es indes kurze Zeit später mit einer Stimme, die nach Dortmund, Essen und Oberhausen klingt. "Berchleute sind doch irgendwo wesensverwandt", sagt Winfried Sindern, Sachverständiger der Prüfgesellschaft DMT. Er ist gerade in Bayern unterwegs, um Seilfahrt- und Befahrungsanlagen sowie Bohrspülwerke zu untersuchen.

Ein fauliger Geruch liegt in der Luft

Zeit für Smalltalk bleibt nicht, ein Zwischenfall im Bohrspülwerk BW 43 zwingt zum Ortswechsel. Ein eigenartig fauliger Geruch liegt in der Luft. In der Nacht ist im BW 43 der Lüfter ausgefallen. Dort soll gerade ein 125 Meter tiefes Bohrloch zu einem Schacht erweitert werden. Folglich wurde auch am Tag zuvor gesprengt, allerdings konnten die in hoher Konzentration tödlichen Schussgase nicht "ausgewettert werden", wie der Bergmann sagt. Stöger bleibt stoisch: "Wir wettern das jetzt frei. In ein, zwei Stunden geht es dann weiter."

Doch vorerst ruht im BW 43 die Arbeit, wo sich sonst das Brummen, Zischen und Knattern zu einer urgewaltigen Symphonie vereinen. An anderen Bohrspülwerken herrscht indes Hochbetrieb. Abteufbühnen - dabei handelt es sich um kreisrunde Arbeitsplattformen - werden dort, an dicken Stahlseilen hängend, in die gerade entstehenden Schächte hinabgelassen. In wochenlanger Arbeit nähern sich die Männer Stück für Stück einem Hohlraum, in dem sich noch minimale Reste der salzigen Brühe (Sole) sowie herabgefallenes Gestein befinden.

Mit dem Presslufthammer gegen das überhängende Gestein

Immer wieder drücken sie ihre Presslufthämmer, die sie "Pickhämmer" nennen, gegen überhängendes Gestein, bis es endlich nach unten wegspritzt. Bevor die Arbeit am neuen Schacht beginnen konnte, ist die wertvolle Sole abgepumpt worden. Über eine Leitung ist sie, wie schon zu alten Zeiten, nach Bad Reichenhall gelangt, wo in der Saline Salz und Wasser voneinander getrennt werden. "Wir produzieren jedes Jahr eine Million Kubikmeter Sole, aus denen 280 000 Tonnen Salz entstehen", sagt Natascha Groll, als Südsalz-Bereichsleiterin zuständig für das Bergwerk Berchtesgaden. 30 Bergleute sind derzeit unter Tage tätig, hinzu kommen unten die 25 Kollegen der Instandhaltung sowie weiteres Personal.

Fahrhauer Thomas Stöger ist bereits seit 34 Jahren dabei. Der Takt der Produktion hat auch seine Schrittgeschwindigkeit geprägt - und die ist rasant. Oben wartet noch viel Arbeit auf ihn, Berechnungen am Computer, Materialbestellungen. "Papierkram", sagt Stöger. Dabei blickt er auf seine Kluft aus grobem weißen Gewebe, das von den erdigen Spuren der Bergmannsarbeit gezeichnet ist. Gegen 13 Uhr versiegt unten im Tiefbau-Stollen das Knattern der Pickhämmer. Die Bergleute räumen auf, zünden aus sicherem Abstand Sprengladungen. Zügig beginnt dann die gut 45-minütige Prozession nach oben - zu Fuß, Mann hinter Mann. Alle kommen auch an diesem Tag wieder heil ans Tageslicht.

Für den Tipp danken wir Michael Köppl aus Schönau am Königssee.

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