Abschied von Bayerns oberstem Verfassungsrichter:Jurist auf Umwegen

Abschied von Bayerns oberstem Verfassungsrichter: Eine steile Karriere: Karl Huber war Polizist, nun hat er seinen letzten Arbeitstag als Verfassungsgerichtspräsident.

Eine steile Karriere: Karl Huber war Polizist, nun hat er seinen letzten Arbeitstag als Verfassungsgerichtspräsident.

(Foto: Catherina Hess)

Karl Huber begann seine Karriere als einfacher Polizist in München - und beendet sie nun als Chef des bayerischen Verfassungsgerichtshofes. Dazwischen hat er bayerische Politiker ins Schwitzen gebracht - und geriet selbst ins Straucheln.

Von Annette Ramelsberger

Und dann hätte es ihn auf den letzten Metern fast noch zerlegt. Ausgerechnet Karl Huber, den Mann, der diesen makellosen Aufstieg hingelegt hat, vom einfachen Polizisten zum obersten Juristen des Freistaats. Der dem Holocaust-Leugner David Irving in die Parade gefahren war und sich die Holocaust-Lüge nicht hat auftischen lassen. Der die bayerische Staatsregierung immer wieder gezähmt hatte und am Ende der Opposition erst den Weg bahnte, die sogenannte Verwandtenaffäre im Landtag aufzuklären, über die der CSU-Fraktionschef Georg Schmid stürzte.

Ausgerechnet dieser Verfassungsgerichtspräsident musste sich kurz vor Ende seiner Amtszeit noch vorhalten lassen, dass er engstirnig, kleingeistig und provinziell ist. Und er hatte die letzten zwei Jahre seines Berufslebens genug damit zu tun, sein Ansehen wieder blank zu wienern, damit ihm nun auch makellos glänzende Girlanden geflochten werden können. Doch dazu später.

Er hat die Politiker schwitzen lassen

An diesem Freitag ist sein letzter Arbeitstag. Schon vor zwei Jahren ist Huber 65 Jahre alt geworden, man hat ihn gebeten zu bleiben. Es ist ein Festakt geplant, Ministerpräsident Horst Seehofer hat geladen und alle Honoratioren der bayerischen Justiz und der bayerischen Politik werden in die Allerheiligenhofkirche in München kommen. Manch einer wird sich zusammenreißen müssen, denn der so Geehrte hat sie alle ganz schön schwitzen lassen.

Das Verfassungsgericht hat unter seinem Vorsitz ein Großhotel in Kaltenbrunn am Tegernsee abgelehnt, das Volksbegehren zur Abschaffung der Studiengebühren zugelassen, das Fragerecht der Opposition gestärkt, die Staatsregierung in ihrer gefühlten Allmacht beschnitten. Und er hat den Ministern in der Entscheidung zur Verwandtenaffäre vorgehalten, dass auch ihre private Lebensführung von der Opposition hinterfragt werden kann, wenn dadurch "die Eignung für das Amt wegen der Vorbildwirkung in der Öffentlichkeit infrage steht".

Wo Huber seine "Standfestigkeit" gelernt hat

Dabei ist der Mann ein Konservativer, nicht nur vom Habitus her, sondern bis tief ins Herz hinein, obwohl er nie in der CSU war. Er hat ja auch bei einer strammen Konservativen gelernt: bei der bayerischen Justizministerin Mathilde Berghofer-Weichner. Sie soll die Einzige gewesen sein, die Franz Josef Strauß in seinem Kabinett wirklich respektierte. Und sie war die Erste, die sein Nachfolger Edmund Stoiber ausrangierte.

Huber sagt, er habe von seiner damaligen Chefin "Standfestigkeit" gelernt. Huber, der in den Achtzigerjahren ihr Büroleiter war, erinnert sich noch, wie die Ministerin seinerzeit sagte, wenn sie jetzt rüber in die Staatskanzlei gehe, wisse sie nicht, ob sie danach noch Ministerin sei. Es ging damals um irgendeinen betrügerischen bayerischen Banker, der begnadigt werden sollte - und sie sah keinen Anlass dafür. Genauso wie sie keinen Anlass sah, im Fall des Memminger Justizskandals einzugreifen, wo die Frauen einer ganzen Stadt vor Gericht gezerrt wurden, um einem Arzt unrechtmäßige Abtreibungen nachzuweisen. Das Schweigen der Ministerin mag juristisch korrekt gewesen sein, politisch war es verheerend. Und heute unvorstellbar.

Huber verliert kein Wort darüber, er nennt das Loyalität. Er zog schnell weiter, wurde Vorsitzender Richter am Landgericht München, Vizepräsident des Oberlandesgerichts München, 2001 Generalstaatsanwalt und am 1. März 2005 Präsident des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs. Eine Karriere mit Turboantrieb.

"Ich fühle mich als Liberaler"

Dabei ist Huber erst auf dem zweiten Bildungsweg zum Juristen geworden. Zuvor war er zwölf Jahre lang Polizist. Er war bei den Osterunruhen 1968 dabei - jenseits der Barrikaden, als Vertreter der Staatsmacht, und sagt dennoch heute von sich: "Ich bin eine Folge der 68er, ich habe gegen den Stachel gelöckt. Ich fühle mich als Liberaler." Und: "Man muss die Leute nicht nur wegsperren."

Er erinnert sich an seine Zeit als Jugendbeamter in München, wo ihm auch mal Haschisch angeboten wurde. "Ich hab gesagt: ,Verschwinde und lass dich ja nicht mehr damit sehen.' Heute müsste ich fürchten, dass ich wegen Strafvereitelung belangt werde", sagt er. "Heute wird der Anfangsverdacht geradezu gesucht." Ein leiser Tadel an jene eifrigen Juristen, die die Überlastung der Justiz beklagen und sie doch selbst herbeiführen. Aber der ständige Gehorsam bei der Polizei behagte ihm nicht, nicht das Vor-Demokratische, das damals noch herrschte. Die Polizei, sagt Huber heute, habe sich erst allmählich zu einer demokratischen Institution gewandelt. "Damals war die Täter-Watschn gang und gäbe."

Nächtliches Jura-Studium

Neben der Polizeiarbeit hat Huber dann begonnen, Jura zu studieren. "Wenn auf der Wache nachts nichts los war, habe ich gelernt." Er entschied sich mit 30 Jahren, von vorn anzufangen - als Referendar mit zwei Kindern und einem Salär von 380 Mark im Monat. Seine Frau, eine gelernte Bautechnikerin, steckte zurück.

Selbstkritik, sagt er, sei wichtig für Juristen. Und dass es das größte Problem der Juristen sei, dass sie genau die nicht zu ihrer Kernkompetenz zählen. "Viele verrennen sich in Paragrafen, dabei hilft der gesunde Menschenverstand oft viel weiter", sagt Huber. Doch manchmal musste auch er gegen Hirn und Herz entscheiden. Als Edmund Stoiber 2006 das Bayerische Oberste Landesgericht abschaffte, da fiel das Verfassungsgericht unter Huber dem Ministerpräsidenten nicht in den Arm. "Das Bayerische Oberste war halt nicht in der Verfassung erwähnt. Wenn die Regierung sparen will, hat sie einen Spielraum. Es war keine Willkür." Huber ist halt Jurist.

Angriff auf die Würde

Und dann ereilte ihn ganz zum Ende seiner Karriere der NSU-Prozess. An seinem Gericht, dem Oberlandesgericht München, wurde der größte Prozess nach den RAF-Verfahren zugelassen: fünf Angeklagte, zehn Morde, 80 Nebenkläger. Ein Prozess, der die Republik bewegt und viele darüber hinaus. Doch der Vorsitzende Richter Manfred Götzl hatte den Zustrom falsch eingeschätzt, die Zulassung der Journalisten per Windhundverfahren geregelt, sodass kein türkischer Pressevertreter einen Platz bekamen. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe rief das Münchner Oberlandesgericht zur Ordnung, für Juristen etwas, was sie als Angriff auf ihre Würde empfinden.

Präsident Huber musste den Ausputzer spielen: Sich vor die Kameras stellen und erklären, dass doch alles nicht so gemeint sei. Dass man doch gar nicht provinziell und engstirnig sei, sondern - tja, was denn? Es war nicht einfach, das Versagen zu erklären. Brav hat er danach jeden halbwegs wichtigen Würdenträger auf die Besuchertribüne des NSU-Prozesses geleitet, den türkischen Botschafter sowieso. Nun läuft der Prozess fast lautlos.

Nachfolger von Huber wird der bisherige Präsident des OLG Nürnberg, Peter Küspert. Und der müsste eigentlich schon sehr gut über den wichtigsten Prozess an seinem neuen Gericht Bescheid wissen: Auf der Besuchertribüne war sehr oft Konstantin Küspert zu sehen, der Sohn des neuen Präsidenten. Er ist Dramaturg und hat den NSU-Prozess für das Badische Staatstheater verarbeitet.

Manchmal können Eltern eben auch von ihren Kindern profitieren. Selbst wenn die keine Juristen sind.

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