Abgelassener Forggensee:Als hätte jemand den Stöpsel gezogen

Trockener Forggensee

Sogar Baumstümpfe sind am trockenen Seegrund zu sehen.

(Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)
  • Mit 15,2 Quadratkilometern ist der Forggensee bei Füssen der größte Stausee in Deutschland.
  • Allerdings: Der Staudamm ist marode und muss saniert werden.
  • Darum führt der See aktuell kein Wasser - das gefällt nicht allen Touristen.

Von Christian Rost, Schwangau

Mal angenommen, jemand würde den Stöpsel ziehen am Starnberger See. Oder am Ammersee, Tegernsee, Chiemsee, Schliersee oder in einem der andern Gewässer in Bayern, die Touristen magnetisch anziehen. Was wäre da los, und was käme alles zum Vorschein? Schiffwracks, Leichen, sogar abgestürzte Flugzeuge sollen in den Tiefen schlummern.

Doch wirklich erfreuen würde der Anblick wohl nur wenige: brauner Untergrund, soweit das Auge reicht. Am Forggensee im Königswinkel im bayerischen Allgäu hat dieses Jahr tatsächlich jemand den Stöpsel gezogen. Der Lech bildet nur noch ein trauriges Rinnsal im mit gut 15 Quadratkilometer umfassenden größten Stausee des Landes. Ansonsten aber seit Wochen: Mondlandschaft, Wüste oder Ödnis, wie man es immer auch nennen mag. Kein Wasser weit und breit.

Im leeren Forggensee liegt auch nicht viel rum, was man bestaunen könnte. Eine alte Römerstraße gibt es im Nordwesten des Beckens, ansonsten ist der Seegrund von der Strömung leergefegt. Richtig aufgeräumt wirkt das Becken in der Trockenperiode. Ein bisschen Treibholz hier und da, Hobbykünstler haben es zu Skulpturen aufgetürmt, sonst ist nur ausgedörrter, rissiger, lehmiger Untergrund zu sehen.

Ein paar Bojen liegen herum. Und trotzdem hat der abgelassene Forggensee einen gewissen Reiz. Wann kann man schon in einem leeren See herumlaufen? Manche Urlauber kommen in diesem Jahr nur deswegen hierher. Andere schreckt der Anblick ab. Das Tourismusgewerbe jedenfalls leidet schwer unter der Ebbe.

Der Forggensee kann in diesem Jahr nicht wie sonst üblich im Sommer aufgestaut werden. Der Damm am Nordufer bei Roßhaupten, der sonst das Wasser zur Schneeschmelze zurückhält und den steten Zufluss zu den zahlreichen flussabwärts gelegenen Kraftwerken garantiert, ist marode und muss saniert werden. Solange das Bauwerk nicht wieder intakt ist, liegt der See 15 Meter unter Normalstand auf dem Trockenen.

Seit dem Bau des Dammes im Jahr 1954 wurde der Forggensee über den Winter stets abgelassen, um Schmelzwasser aus den Allgäuer Bergen und die Regenfälle im Frühjahr aufzufangen. Zum 1. Juni aber stand er stets wieder bereit für Wassersportler, Fischer, Seenschifffahrt und Badegäste. Bis 15. Oktober war der Forggensee dann ein ganz normaler See.

Seit der Kraftwerksbetreiber Uniper aber Risse im Damm festgestellt und weitere in der vergangenen Woche entdeckt hat, ist es völlig ungewiss, wann das Becken wieder gefüllt werden kann. Es ist nur noch der Lechdurchlauf vorhanden und ein kleiner, armseliger Rest-See, in dem die Fische überdauern. In diesem Sommer, so ist zu befürchten, wird es gar keinen richtigen Forggensee mehr geben.

Auch der leere See ist eine Attraktion

Sabine Günther und Tanja Zirner aus Esslingen in Baden-Württemberg stehen in Schwangau auf dem Steg vorm Gasthof am See. Sie blicken hinaus auf die schlammige Ebene, in der ihre Männer mit einem schwarzen Hund herumwaten. "Es stand im Internet, dass der See verschwunden ist", sagt Tanja Zirner. "Das wollten wir uns mal ansehen." Für sie ist der Forggensee in seinem jetzigen Zustand eine Attraktion.

Schloss Neuschwanstein, Bayerns wichtigstes Tourismusziel nur wenige Kilometer entfernt, interessiert sie dagegen überhaupt nicht. "Da ist zu viel los", meint Sabine Günther. Sie seien nur gekommen, um den leeren See zu sehen. Weil der aber nicht nur eindrucksvoll, sondern mit seiner wüstenhaften Anmutung auch beklemmend sei, hätten sie sich in Lechbruck einquartiert. Das liegt ein paar Kilometer nördlich des Forggensees, von dort aus kann man den leeren See nicht sehen.

Während einer Fahrt rund um den See trifft man etlich Leute, die das Wasser vermissen. Rastilslav Kremnický betreibt in Füssen am Bootshafen der Seenschifffahrt ein Lokal. Direkt neben dem "Mary y Sol" liegt der Stolz der Forggensee-Flotte auf dem Trocken-Dock. Keine Hand breit Wasser unterm Kiel hat das für bis zu 400 Personen fassende Ausflugsschiff. Es steht da auf einer betonierten Fläche wie eingeparkt in einer Garage. Allein im Juni sollte es mit seinem kleineren Schwesterschiff zu 270 Rundtouren aufbrechen, auch Sonderfahrten waren geplant. Die Schifffahrtsgesellschaft muss einen Verlust von einer Million Euro verkraften, weil es keinen See gibt.

Wirt Kremnický kann noch nicht abschätzen, was am Ende dieser besonderen Saison für ihn übrig bleibt. Er und seine Mitarbeiterin Petra Keller sind aber schon ein wenig genervt: "Natürlich ist ein leerer See eine Attraktion, die Gäste bringt", sagt Keller. Wie viele es aber am Ende sein werden, das wisse man nicht. Und schon gar nicht wisse man, ob diese Klientel so zahlreich sei wie das normale Sommerpublikum.

Weil die Stadt Füssen keine Tafeln mit Informationen über die ungewöhnliche Situation am See aufgestellt hat, fragen die Ausflügler Kremnický und Keller Löcher in den Bauch: Wo ist der See, warum ist er weg? Keller sagt, sie und ihre Kollegen fühlten sich als Ersatz für das Tourismusbüro. Etwa 100 Mal täglich müsse sie Auskunft über die Situation geben. Sie würde es jedenfalls begrüßen, wenn die Stadt endlich Infotafeln aufstellen würde.

Während die Mitglieder im Segelclub Schwangau die Situation gelassen sehen - sie laden "mit und ohne Wasser unterm Kiel" zum Sommerfest der Skipper im Juli ein - sind die Campingplatzbetreiber rund um den Forggensee in Sorge. "Die Lage ist beschissen", sagt unverblümt die Mitarbeiterin eines Platzes am Westufer. Die Gäste seien unsicher, sie wüssten nicht, wann der See wieder ein See sein werde und würden vorsichtshalber ihre Buchungen stornieren. Wie sich die Ebbe auf die Kasse auswirke, werde man erst bei der Saisonbilanz im Herbst wissen, sagt die Frau. Für sie ist allerdings klar: "Die Leute suchen sich einen Ort zum Urlauben aus, wo es auch Wasser gibt."

Kurios ist, dass vor dieser Kulisse im Festspielhaus von Füssen, direkt am Forggensee-Ufer, von August an wieder in einem Musical allabendlich der Tod von Ludwig II. begangen wird. Der Bauherr von Neuschwanstein wirft sich am Ende der Vorstellung zum Sterben in die Fluten. Bekanntlich hat er das am Starnberger See gemacht. Im leeren Forggensee hätte sich Ludwig II. lediglich den Kopf angehauen.

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