Streit um "Mein Kampf":Neue Volte um Hitlers Hetzschrift

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Der Umgang mit dem Propaganda-Werk "Mein Kampf" ist wieder offen. Ursprünglich wollte der Freistaat das Buch freigeben, wenn 2015 seine Urheberrechte wegfallen. Nun prüft die Staatsregierung, ob sie die Verbreitung einer unkommentierten Version dauerhaft verbieten kann.

Katja Riedel und Martina Scherf

Darf Adolf Hitlers Propaganda-Buch "Mein Kampf" in die Finger eines jeden Lesers gelangen oder nicht? Darüber entscheidet nun die bayerische Staatsregierung. (Foto: AFP)

Wie geht es nach Ablauf des Urheberrechts weiter mit Hitlers Propagandaschrift "Mein Kampf"? Das ist auch in der Woche, nachdem Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) eine strafrechtliche Prüfung einer Veröffentlichung und damit eine weitere Volte in einer schier endlosen Debatte eingeleitet hatte, noch unklar. Zumindest hat sich nun die Staatsregierung Spaenles Linie zu eigen gemacht: Sie will ein Verbot des Propagandawerks prüfen lassen, machte Finanzminister Markus Söder (CSU) am Mittwoch im Hochschulausschuss deutlich.

Die Arbeit an einer kritischen Edition, an der derzeit ein fünfköpfiges Team des Münchner Institutes für Zeitgeschichte (IfZ) arbeitet, soll aber nicht gestoppt werden. Zum weiteren Umgang mit "Mein Kampf" soll der Landtag eine Expertenkommission einsetzen, die eine Veröffentlichung auf urheber-, straf- und völkerrechtliche Relevanz und Verbotstatbestände untersuchen soll. Diesem Gremium, über dessen genaue Zusammensetzung eine Arbeitsgruppe des Landtages befinden wird, sollen neben deutschen Wissenschaftlern auch Experten aus Israel angehören.

Erbitterte Reaktionen stoppen Freigabe

Zudem ging am Montag ein Brief des Kultusministers im Justizministerium ein. Dieses soll für Spaenle klären, ob sich eine Verbreitung des Textes über die Straftatbestände der Volksverhetzung oder des Verbreitens verfassungsrechtlicher Kennzeichen stoppen ließe. Dabei sei es in Einzelfällen möglich, eine Version desselben Textes von einem Verbot auszunehmen, weil sie der Aufklärung, der Forschung oder Lehre dient, hieß es am Mittwoch aus dem Ministerium. Die rechtliche Klärung werde dauern - wie lang, vermochte eine Sprecherin nicht einzuschätzen.

Es bleibt also Unsicherheit. Dabei schien der Umgang des Freistaats mit "Mein Kampf" seit Monaten geklärt zu sein. Bis zu einer Israelreise prominenter Politiker und Vertreter des Freistaates im September. Da hatten israelische Politiker sowohl die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde, Charlotte Knobloch, als auch Spaenle zum Umdenken gebracht. Beide erfuhren dort erbitterte Reaktionen auf die Pläne Bayerns, dass "Mein Kampf" demnächst frei verkäuflich sein sollte.

Im Frühjahr hatte sich der Landtag darauf verständigt, eine maßgebliche Edition, die das IfZ verantwortet, mit Mitteln des Freistaates voranzutreiben und so Hitlers Text 70 Jahre nach dem Tod des Diktators und dem Erlöschen des Urheberrechts nicht unkommentiert in die Welt zu schicken. Die Schrift weiter durch juristische Tricks unter Verschluss zu halten, auch um Geschäftemacherei zu verhindern, plante man damals nicht: auch, weil im Internet der Text binnen Sekunden heruntergeladen werden kann.

Jetzt sucht man nach einer salomonischen Lösung - die Finanzminister Söder einstweilen in einem "Sowohl als auch" findet: Einerseits soll die kommentierte Ausgabe des IfZ vorangetrieben werden, andererseits wolle der Freistaat auch weiterhin sein Urheberrecht gegen andere Veröffentlichungen einklagen. "Bisher haben wir im In- und Ausland gegen Verlage, die das Werk nachdrucken wollten, gewonnen", sagte Söder, "wir halten an unserem Urheberrecht bis 2015 fest." Denn es sei zu befürchten, "dass einzelne Leute eine Menge Geld mit diesem Buch verdienen wollen".

Das IfZ wertete die Debatte als "wichtiges Signal", sagte eine Sprecherin. Man habe den Eindruck gewonnen, dass nicht die Arbeit der Historiker strittig sei, sondern nur eine mögliche kommerzielle Vermarktung. "Die Edition steht unseres Erachtens nicht im Feuer."

"Mein Kampf" soll im Schulunterricht behandelt werden

Auch die Pläne, es nicht bei einer gedruckten Ausgabe zu belassen, sondern zudem eine pädagogisch aufbereitete Schulausgabe sowie ein Hör- und ein E-Book zu erstellen, werden weiter verfolgt. Gerade die Behandlung an Schulen und das Hörbuch hatten aber manchen entsetzt - zum Beispiel den Holocaust-Überlebenden Max Mannheimer. Auch der wissenschaftliche Leiter des Editions-Projektes am IfZ, Christian Hartmann, hält diese Pläne für übertrieben.

Für die wissenschaftliche Edition macht sich die FDP stark. Eine solche werde wohl kaum zum Bestseller, glaubt Julika Sand (FDP). Sie werde zur "Enttabuisierung und Entmystifizierung" beitragen. Auch SPD und Grüne warnten vor einer Tabuisierung. Christoph Rabenstein (SPD) sprach sich dennoch für die rechtliche Prüfung eines Verbots einer Neuauflage aus. Sepp Dürr (Grüne) hält ein Verbot "für grundsätzlich falsch". Erst wenn man das Buch freigebe, nehme man ihm den Nimbus. Auch hätten "die heutigen Nazis mit Hitler nicht mehr viel zu tun". Dem widersprach der Finanzminister: Man dürfe die Wirkung einer Neuauflage nicht unterschätzen. Die rechte Szene greife auch heute noch auf alte Hetzparolen zurück.

© SZ vom 08.11.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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