Rückkehr der Augsburger Puppenkiste:Bitte recht frech

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2013 kehren neue Marionetten wie die Talkshowgäste Wolf und Schaf ins Fernsehen zurück, in der BR-Sendung "Freitag auf d'Nacht".  (Foto: Florian Oswald/BR)

Die Augsburger Puppenkiste kehrt zurück ins Fernsehen - nicht mit Kinderstücken, sondern Kabaretteinlagen in einer neuen BR-Talkshow. Es treten auf: ein arroganter Windhund als Regisseur, ein unterwürfiger Biber als Bildmischer und ein Terrier als Aufnahmeleiter.

Stefan Mayr

- Der Pandabär mit seinem Handy und seiner schrillen Glitzerkrawatte ist extrem aufdringlich. "Vastehste", ruft er mit Berliner Schnauze und rückt dem armen Raben dermaßen nahe, dass dieser rückwärts flatternd vom Sofa auf den Wasserspender flüchtet. "Das Kinderspielzeug wird in China artgerecht produziert", tönt der Geschäftsbär, "in einer Halle mit 15 000 Barbiepuppen, davon träumen die Sechsjährigen doch!" Den Einwand des Raben, dass Kinder doch lieber im Freien herumtoben und nicht malochen, lässt der dicke Panda nicht gelten: "In die Natur wollen die nicht, die wurde ja vorsorglich verschmutzt. Kinderarbeit schützt Kinder vor dem Smog, vastehste?"

Das soll die Augsburger Puppenkiste sein? Die Bewegungen und die Kulisse sind ja unverwechselbar, aber hat das berühmteste Marionettentheater zwischen München und Lummerland jemals dermaßen zeitkritische Töne von sich gegeben? Es ist tatsächlich ein mutiges Experiment mit vielen, noch nie da gewesenen Elementen, das das Bayerische Fernsehen im nächsten Jahr startet: Vom 11. Januar an zeigt der BR immer freitags um 23 Uhr seine neue Talkshow "Freitag auf d'Nacht" - moderiert von den TV-Talk-Neulingen Brigitte Theile und Hans Sigl und immer wieder gewürzt mit kabarettistischen Einlagen der Augsburger Puppenkiste.

Nach vielen Jahren der TV-Abstinenz feiert die Kiste also ihre Rückkehr ins Fernsehen - allerdings nicht mit drolligen Märchen für Kinder, sondern mit deftigen Sketchen für Erwachsene. Es treten auf: ein arroganter Windhund als Regisseur, ein unterwürfiger Biber als Bildmischer und ein Terrier als Aufnahmeleiter. Dieses tierische Trio ist für den Talk der Menschen quasi verantwortlich - und quatscht von hinter dem Mischpult regelmäßig dazwischen. Dazu kommen Talkgäste wie der Panda und der Rabe, die hinter der Bühne in einem Wartezimmer mitsamt Wasserspender vergeblich auf ihren Auftritt warten.

Das Wiedersehen mit den Marionetten ist auch BR-Intendant Ulrich Wilhelm zu verdanken, er hat ihr Mattscheiben-Comeback höchstpersönlich eingefädelt. "Ich freue mich sehr, dass wir den Augsburger Puppen mit einer neuen Idee eine Bühne bieten können", sagt er. "Sie werden die Zuschauer sicher exzellent unterhalten und köstlich amüsieren."

Puppenkisten-Chef Klaus Marschall beobachtet die Dreharbeiten auf seiner Bühne aus dem Hintergrund und ist mindestens genauso begeistert: "Dieses Format ist für uns perfekt." Es spreche "genau die richtige Zielgruppe" an. "Die Show ist für junge Eltern von 30 aufwärts, die denken sich dann: Mensch, die Puppenkiste, da fahre ich mal mit meinen Kindern hin."

Der BR geht sein Experiment mit namhaften Experten an: Die Texte schreibt Thomas Lienenlüke, der auch für die BR-Satireshow "Die Klugscheißer" tätig ist und das Singspiel für den Nockherberg 2013 schreibt. Als Regisseure wurden zwei erfahrene Figurentheater-Koryphäen engagiert: Puppenkisten-Mann Peter Scheerbaum und Tommy Krappweis, der Miterfinder des Kinderkanal-Helden Bernd das Brot. In den 1990er Jahren machte sich Krappweis als Slapstick-Comedian in der RTL-Sendung "Samstag Nacht" einen Namen - neben Mirko Nontschew und Wigald Boning war er zuständig für Zappelei und halsbrecherische Stunts. Inzwischen ist der Familienvater 40 Jahre alt und etwas ruhiger geworden: Seinen Haarzopf zieren graue Strähnen, sein schwarzes Puppenkisten-T-Shirt ist durchaus gut ausgefüllt. "Für mich ist das der Höhepunkt meiner Karriere", sagt Krappweis. "Ich war schon immer Puppenkisten-Fan und denke mir hier alle zehn Minuten: Wie geil ist das denn gerade?" Früher habe er die Puppenkisten-Stücke immer auf Musikkassette aufgenommen und abgehört.

Jetzt ist Krappweis Inhaber und Chef der Produktionsfirma "Bumm Film", zusammen mit Peter Scheerbaum achtet er auf das Timing und jedes kleinste Detail. So muss der Glitzerkrawatten-Panda beim Telefonieren den Kopf "noch nerviger bitte" zur Seite neigen, und auch das Blubbern des Wasserspenders darf keine Sekunde zu früh oder zu spät ertönen. Gedreht wird nicht mit üblichen TV-Kameras, sondern mit viel kleineren Spiegelreflexgeräten, die mit Minikränen bis an die Schnabelspitze des Raben heranfahren können.

Krappweis hat mit Bernd das Brot schon etliche Preise gewonnen und bringt jede Menge Erfahrung mit - die Moderatoren der Sendung betreten dagegen Neuland: Brigitte Theile saß bislang nur hinter dem Bayern-3-Radio-Mikrofon, und Hans Sigl trat bislang vor allem als Schauspieler ("Der Bergdoktor") in Erscheinung. Beide müssen mit ihren Gästen vor Live-Publikum und den Kameras 45 Minuten lang schlagfertig und witzig sein. Dies darf als große Herausforderung bezeichnet werden, zumal das Ganze auf einem prominenten Kabarett-Programmplatz stattfindet. Die Konkurrenz am späten Freitagabend ist enorm: Tatort im Ersten, Heute-Show im Zweiten, Dschungelcamp auf RTL.

Geplant sind 40 Ausstrahlungen pro Jahr, die ersten Gäste sind die Komiker Lizzy Aumeier und Chris Boettcher sowie Schauspielerin Janina Hartwig ("Um Himmels Willen") und Startenor Erkan Aki. "Freitag auf d'Nacht" ist im Zuge der BR-Programmreform entstanden. Dabei kooperieren BR-Hörfunk und BR-Fernsehen - auch um jüngeres Publikum im dritten Programm zu erreichen. Im Anschluss an einige Talk-Aufzeichnungen sind Live-Konzerte mit prominenten Musikern geplant, die dann im Bayern-3-Liveclub ausgestrahlt werden.

Für die Puppenkiste kommt die TV-Rückkehr pünktlich zum 60. Jubiläum ihrer ersten Fernsehausstrahlung. Im Januar 1953 hatte der Nordwestdeutsche Rundfunk das Stück "Peter und der Wolf" noch live (!) via Stativkamera übertragen. An ihre Fernsehkarriere erinnert die Kiste in ihrem hauseigenen Museum noch bis Mai mit der Sonderausstellung "Fernsehgeschichte(n)". Im Februar feiert die Kiste dann ihren 65. Geburtstag - bei der Party wird das neue "Große Buch der Augsburger Puppenkiste" vorgestellt, eine Dokumentation der Kisten-Historie auf DVD sowie eine Musik-CD mit zwölf Kisten-Klassikern plus zwölf Neuinterpretationen - unter anderem von Reinhard Mey, Rodgau Monotones und den Jungen Tenören. Zudem wird die Bayerische Regio-Bahn im kommenden Jahr mit einem "Puppenkisten-Zug" durchs Land kurven - beklebt mit den prominentesten Figuren. Und vielleicht schon 2014 kommt ein Marionetten-Spiel für die Computerkonsole Wii auf den Markt.

Es gibt aber auch schlechte Nachrichten für Kisten-Chef Klaus Marschall: Der Rechtsstreit gegen den Hessischen Rundfunk um DVD-Lizenzgebühren ging "auf ganzer Linie" verloren, wie er berichtet. Die angestrebte Nachzahlung muss er also abschreiben. Aber trotz des Prozesses plant der HR zum Jubiläum eine Würdigung seines langjährigen Partners. "Wir werden irgendetwas machen", sagt Sprecher Christian Bender. Es sei aber noch zu früh, um Konkretes zu verraten. Auch der Kinderkanal denkt weiterhin darüber nach, ob er die Marionetten ins Programm zurückhieven soll - allerdings noch ohne Ergebnis: "Das ist weiter in der Überlegung", sagt eine Sprecherin, "das Thema ist noch nicht ad acta gelegt."

© SZ vom 14.12.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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