Manipulationsverdacht bei Organspenden:Zu viel der Auffälligkeiten

Die Transplantationsmedizin muss besser kontrolliert werden. Diese Einsicht hat nach den Skandalen von Göttingen und Regensburg immerhin dazu geführt, dass mehr Überprüfungen stattfinden. In Bayern wird künftig besonders genau hingeschaut.

Christina Berndt

Germany Debates Organ Transplant System

Künftig soll in Bayern bei der Vergabe von Spenderorganen besonders genau hingeschaut werden.

(Foto: Getty Images)

Der Besuch kam nicht so plötzlich, wie es sonst oft passiert. Bereits vier Tage, bevor die Prüfungs- und Überwachungskommission der Bundesärztekammer (BÄK) das Klinikum rechts der Isar aufsuchte, wurden die Verantwortlichen informiert. Häufig kündigen sich die Prüfer kurzfristiger an. "Die Zentren erfahren meistens erst einen Werktag vor der Begutachtung davon", sagt der Strafrechtler Hans Lilie von der Universität Halle, der als Vorsitzender der Ständigen Kommission Organtransplantation der BÄK eng in den Prozess eingebunden ist. Schließlich wollen sich die Experten einen möglichst unverstellten Blick auf die Transplantationszentren verschaffen, die sie besuchen.

Es muss mehr Kontrolle in der Transplantationsmedizin her. Das haben nach dem Organ-Skandal von Göttingen und Regensburg inzwischen viele eingesehen. An diesen beiden Universitätskliniken haben Ärzte offenbar jahrelang ausgewählten Patienten Spenderlebern zugeschoben, indem sie deren Krankenakten manipulierten. Die Ärzte bestreiten dies.

Eine zu laxe Überwachung der Transplantationsmedizin wollen sich die dafür zuständigen Kommissionen der BÄK jedenfalls nicht noch einmal vorwerfen lassen. Deshalb beschlossen sie, alle 47 deutschen Transplantationszentren von nun an turnusmäßig zu besuchen. Mindestens einmal alle drei Jahre sollten so, Organ für Organ, die verschiedenen Programme daraufhin überprüft werden, ob alles mit rechten Dingen zugeht.

Drei Zentren sind im Rahmen dieser neuen Kontrollkultur bereits besucht worden. Während dabei am Klinikum rechts der Isar Unregelmäßigkeiten in neun Fällen zutage traten, fanden die Prüfteams aus Ärzten, Juristen und Mitarbeitern der zuständigen Landesministerien am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und an der Berliner Charité: nichts. Vor allem in Hamburg seien die Akten vorbildlich geführt worden, sagt Lilie. Wie dort in Windeseile zu jedem Patienten alle Fragen mit ein paar Klicks in den elektronischen Patientenakten beantwortet werden konnten, habe ihn beeindruckt.

Allerdings nahmen die Prüfer in Hamburg und Berlin nur Stichproben. Sie schauten sich jeweils Akten von etwa 30 Patienten an, während sie am Klinikum rechts der Isar alle Lebertransplantationen aus den Jahren 2010 und 2011 sichteten. In München sei auch erstmals der sehr kundige und genaue Chirurg Gerd Otto unter den Prüfern gewesen. Er gilt in der Szene als ein durch und durch honoriger und richtlinientreuer Arzt. Otto wird gerade von der Universität Mainz emeritiert, wo er viele Jahre die Abteilung für Transplantationschirurgie leitete.

Neun Auffälligkeiten in zwei Jahren

Auch wenn die Münchner somit wohl besonders strenge Kontrollen über sich ergehen lassen mussten: Neun Auffälligkeiten in zwei Jahren sind viel, wenn man sie auf die eher geringe Anzahl an Lebertransplantationen im Klinikum rechts der Isar bezieht. Dort wurden in den Jahren 2010 und 2011 zusammen 71 Lebern transplantiert; es gab also bei knapp 13 Prozent aller Lebertransplantationen Auffälligkeiten. Zum Vergleich: In Göttingen wurden die Prüfer, die den dortigen Organ-Skandal untersuchten, in 23 von 89 Lebertransplantationen der Jahre 2010 bis 2011 fündig; auffällig waren also 26 Prozent. In Regensburg gab es bei 23 von 110 Lebertransplantationen der Jahre 2004 bis 2006 Unregelmäßigkeiten, das entspricht 21 Prozent.

Aber sind die Auffälligkeiten überhaupt in ihrem Ausmaß vergleichbar? Auch am Klinikum rechts der Isar haben falsche Angaben in den Krankenakten nach derzeitigem Ermittlungsstand dazu geführt, dass Patienten auf der Warteliste nach oben rückten und schneller ein Spenderorgan bekamen. Gleichwohl schließt man dort vorsätzliche Manipulationen weiterhin aus (siehe Interview). Die Klinikleitung argumentiert, es seien vor allem Kommunikations- und Dokumentationsprobleme offenbar geworden. Die Unregelmäßigkeiten seien zudem bei einer internen Prüfung aufgefallen und von der Klinik selbst an BÄK und Staatsanwaltschaft gemeldet worden. Deshalb mussten die Prüfer jetzt auch nicht so plötzlich auftauchen, wie es sonst passiert.

Wie immer es für das Klinikum rechts der Isar ausgeht - fest steht, dass es in Bayern künftig besonders intensive Kontrollen geben wird, wie der Leiter des Transplantationszentrums am Klinikum Großhadern, Bruno Meiser, betont. Anfang September habe das bayerische Wissenschaftsministerium eine Expertengruppe initiiert, die alle bayerischen Zentren regelmäßig überprüfen wird.

"Die Gruppe wird von einem unabhängigen, international anerkannten Experten geleitet, Ferdinand Mühlbacher aus Wien", sagt Meiser. An den Begehungen eines Zentrums nähmen jeweils Vertreter aller anderen Zentren teil. "Diese Prüfung geht weit über die stichprobenartigen Audits der Bundesärztekammer hinaus." Es solle grundlegend geprüft werden, ob die Wartelisten richtig geführt sind und ob die Entscheidungen richtlinienkonform und im Team von Internisten und Chirurgen getroffen werden.

Dabei gehe es nicht nur um Kritik oder darum, sich gegenseitig auf die Schulter zu klopfen. "Wir können in den Fragen von Kontrolle und Dokumentation alle noch voneinander lernen", so Meiser. "Aus der Krise heraus können wir so vielleicht etwas Nachhaltiges schaffen."Manipulierte Organvergabe - Münchner Klinikum rechts der Isar unter Verdacht

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