Frank-Walter Steinmeier:"Die Chance zum Regierungswechsel war selten so gut"

Landesparteitag der bayerischen SPD

Der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Frank-Walter Steinmeier hat die Delegierten auf dem Landesparteitag der bayerischen SPD begeistert.

(Foto: dpa)

In Bayern erschüttern Filz-Vorwürfe die CSU, in Berlin verwaltet Kanzlerin Merkel nur noch. Eigentlich eine gute Ausgangsposition für die SPD. Doch die Sozialdemokraten können daraus keinen Profit schlagen. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier spricht im SZ.de-Interview über Fehler im Wahlkampf und erklärt, wie die SPD noch die Wende schaffen will.

Von Sebastian Gierke

SZ: Auf dem Parteitag der Bayern SPD haben Sie gesagt, Sie hätten die Zeitungen nicht so gern gelesen an manchen Tagen. Ist das nicht etwas larmoyant? Die Medien sind doch nicht verantwortlich für den schlechten Gesamteindruck, den die SPD im Moment macht.

Frank-Walter Steinmeier: Wer hat denn das behauptet? Dass wir uns den Start nach der Nominierung der Kanzlerkandidatur etwas anders und glücklicher vorgestellt haben, ist wahr. Und Peer Steinbrück hat das mehrfach öffentlich gesagt - übrigens ohne jede Larmoyanz. Aber das liegt nun auch länger zurück. Inzwischen ist eine weitere Regierung von Union und FDP abgewählt worden, wir haben eine Mehrheit im Bundesrat, vor vier Wochen einen gelungenen Parteitag mit der Verabschiedung eines Wahlprogramms, darin Ideen und Konzepte, denen Union und FDP jetzt bemüht nachlaufen, in dieser Woche die Vorstellung der ersten drei Mitglieder aus Peer Steinbrücks Kompetenzteam.

Der Wahlkampf beginnt für die SPD erst?

Ja. Da ist noch viel Musik drin, und die Voraussetzungen für Artikel, die ich mit Freude lese, die schaffen wir selbst. Im übrigen bin ich sicher, dass der organisierte Stillstand von Angela Merkel - inszenierte Showtermine und Gipfeltreffen - ebenso wenig kommentarlos bleibt wie die Selbstgerechtigkeit einer selbsternannten Staatspartei CSU in all ihren Ausdrucksformen - von Personenkult bis Vetternschaft.

Sigmar Gabriels Aussagen über das Tempolimit sind erst ein paar Tage alt. Auch diese Debatte hat doch dazu geführt, dass in der Öffentlichkeit der Eindruck entstand, dass in der SPD nicht alle an einem Strang ziehen.

Ach was! Ihre Erwartung an Geschlossenheit einer Partei verstehe ich ja. Es gibt in der Tat wichtige und zentrale Fragen in der Politik, über die sich eine Partei notwendigerweise einig sein muss. Sie wollen doch nicht wirklich sagen, dass in der Debatte über Geschwindigkeitsbegrenzungen über die Zukunft der Republik entschieden wird. Ein generelles Tempolimit steht nicht im Wahlprogramm der SPD, und der Kanzlerkandidat hat sich klar und eindeutig in diesem Sinn geäußert.

Die Menschen im Land diskutieren aber darüber.

Ich sage: Das Tempolimit ist kein Selbstzweck. Verkehrspolitik muss darauf ausgerichtet sein, Gefährdungen für Menschen nach Möglichkeit zu vermeiden. Genau das tun wir schon. Mit unterschiedlichen Geschwindigkeitsbegrenzungen innerhalb der Städte, auf Landstraßen, zum großen Teil auf Autobahnen. Deshalb stellt sich die Frage: Brauchen wir Begrenzungen auch für den Rest noch? Mit Blick auf den guten Ausbauzustand deutscher Autobahnen bin ich der Meinung, dass das nicht zwingend notwendig ist.

Sie haben in der Rede auch gesagt: Die Aufholjagd der SPD kennt kein Tempolimit. Wie schnell ist ihr Fahrer denn unterwegs auf der Autobahn?

Es gelten die Verkehrsregeln - und die wurden innerhalb der letzten Tage auch nicht verändert. An die halten wir uns natürlich. Im Übrigen - wie es die Verkehrslage erlaubt. Ich rede da meinem Fahrer nicht in sein Handwerk.

In Augsburg hat es Sie - ein Nordlicht - gebraucht um die Delegierten aus der Lethargie zu reißen, ein bisschen Stimmung zu machen...

Na, nun mal nicht so kleinlich! Es war ne Bombenstimmung im Saal. Sie haben es doch erlebt!

Am Samstag sorgte das schlechte Ergebnis für Landeschef Florian Pronold bei den Vorstandswahlen aber für einen gehörigen Dämpfer.

Das ist doch auch nicht ganz normal, dass gute Abstimmungsergebnisse bei 95 Prozent beginnen, oder? Achtzig Prozent sind eine Bestätigung, für die Arbeit von Landesvorsitzendem und Generalsekretärin, beide können mit ihrem Ergebnis gut leben. Ich werde mir meinen Kopf darüber nicht zerbrechen.

Schwarz-Gelb? "Totalausfall von Politik"

Womit die SPD nicht leben kann, sind die aktuellen Umfragewerte.

Ich glaube, Christian Ude hat keinen Anlass, sein Licht und das der bayerischen SPD unter den Scheffel zu stellen. Völlig klar ist, dass die Umfragen noch nicht so sind, wie wir uns das alle wünschen. Das gilt für Bayern und die SPD im Bund. Aber die Selbstsicherheit, mit der die CSU in den vergangenen Jahren hier aufgetreten ist, die ist jetzt nach der Gehälteraffäre doch dahin. 1,5 Millionen an die eigene Ehefrau, zwölfjährige Kinder die zu Scheinbeschäftigten wurden, Nepotismus bei Bundesminister Friedrich mit Parteibuch-Einstellungen. Jede Woche neue Fälle von Selbstbedienung. Ich glaube, auch innerhalb der CSU aber erst recht innerhalb der Bevölkerung, spürt man: da ist eine Partei, die sich in 55 Regierungsjahren aufgebraucht hat. Die mit viel zu viel Selbstgerechtigkeit unterwegs ist, in der auch Grundfragen der politischen Kultur gelitten haben. Die Chance zum Regierungswechsel ist da - und sie war selten so gut.

Die CSU München hat gewaltige Probleme, die CDU in Berlin auch. Aber die SPD macht nichts draus.

Vielleicht ist Ihnen da was entgangen: Wir hatten seit 2010 zwölf Landtagswahlen, in allen zwölf Landtagswahlen ist die SPD in Regierungsverantwortung gewählt worden. Da wo Union und FDP regierten, sind sie abgewählt worden.

Nochmal. Sie behaupten, es gebe gesellschaftliche Mehrheiten für die Themen der SPD, in den Umfragen schlägt sich das aber nicht nieder. Hat die SPD Wahlkampf verlernt?

Der Wahlkampf beginnt und die Union wie die FDP fahren eine riskante Strategie. Ganze Truppen im Konrad-Adenauer-Haus arbeiten an der Strategie der asymmetrischen Demobilisierung: Die Überschriften der SPD-Themen zu übernehmen, so tun, als ob man dasselbe will, mit dem Ziel, die Wählerinnen und Wähler zum Zuhausebleiben zu bewegen. Ich bin sicher, das wird nicht gelingen. Die Wähler sind schlauer und wissen: Die Koalition hatte vier Jahre die Gelegenheit, Politik zu gestalten. Aber da war Totalausfall von Politik und die europäische Krise musste als tägliche Ausrede herhalten. Am Ende von vier Jahren steht da nichts in der Bilanz und jetzt versuchen sie noch, unsere Ideen als eigene Ideen zu verkaufen. Das durchschauen die Wähler. Sie wissen, dass ein echter Mindestlohn, bezahlbare Mieten, gerechte Bildungschancen und gute Kinderbetreuung nur mit Sozialdemokraten kommen.

Sie sprechen von Stillstand, viele Menschen empfinden den Status Quo allerdings als gar nicht so schlecht. Deutschland steht im europäischen Vergleich gut da.

Aber was bitte hat diese Regierung damit zu tun? Haben Sie auch nur über eine einzige Entscheidung, ein einziges Gesetz von Union und FDP berichten können, mit der Merkel und Co dieses Land auf die großen Herausforderungen der nächsten zehn bis 20 Jahre vorbereitet hätte. Dieser Regierung ist die positive wirtschaftliche Trendwende in den Schoß gefallen. Gearbeitet haben dafür andere - Sozialdemokraten mit Verlaub! Und wir haben es geschafft.

Was genau haben Sie geschafft?

Vor genau zehn Jahren stand Deutschland auf den unteren Plätzen der europäischen Wachstumstabelle - der kranke Mann Europas. Die Arbeitslosigkeit stieg auf fünf Millionen, die Sozialkassen waren am Ende. Wir haben den Mut gehabt, den Schalter umzulegen. Mit Reformen den Weg aus der Abwärtsspirale zu schaffen. Weil das gelungen ist, geht es uns heute besser als anderen in Europa.

Und wurden trotzdem abgewählt.

Das war bitter! Und in der Tat: Leichter ist es, sich irgendwie über die Runden zu retten, den Kopf einzuziehen und Zukunftsfragen zu ignorieren. Aber daraus entsteht keine Perspektive für das Land in 20 oder 30 Jahren. 45 Gipfel hat diese Regierung veranstaltet, immer dann wenn Entscheidungsbedarf unabweisbar wurde, kam ein Gipfel. Einige darunter auch zum demographischen Wandel - aber wo sind Entscheidungen, die Vorsorge treffen, dass eine Gesellschaft mit wenig jungen und vielen älteren Menschen nicht zerreißt, dass sozialer Zusammenhalt gewahrt bleibt. Die Gesellschaft einfach nur in Ruhe zu lassen, keine Debatten auszulösen, Entscheidungen in eine ferne Zukunft zu schieben, das ist weder Politik noch verantwortungsvoll.

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