Eremit aus Niederbayern:Leben ohne Gequassel

Sein Alltag besteht aus Beten und Arbeiten, Geselligkeit und unnützes Gerede hat hier keinen Platz: Johannes Schuster lebt zurückgezogen in Niederbayern - als Eremit. Ein Besuch in seiner Klause.

Von Sebastian Beck, Bad Abbach

Johannes Schuster öffnet zögernd die Tür. Er sieht nicht gerade wie jemand aus, der sich über Besuch freut, als er da im weißen Hemd und dunkler Wolljacke in der Zugluft steht. Über den Acker vorm Haus pfeift der Ostwind. Von Bad Abbach zieht sich die Landstraße zum Waldrand herauf. Kein Auto weit und breit zu sehen. Ein trostloser Wintertag in Niederbayern. Schuster wirkt wie ein Hausherr, der bei etwas sehr Wichtigem von einem Staubsaugervertreter gestört wird. "Die heilige Quelle fließt nicht mehr richtig", murmelt er und bittet seinen Gast dann doch hinein ins Warme.

Er habe sich bis zum letzten Moment noch überlegt, ob er das Gespräch nicht absagen solle, gesteht Schuster drinnen. Das wäre nur zu verständlich gewesen. Denn sein Beruf oder besser gesagt: seine Berufung verträgt sich nur schwer mit Öffentlichkeit. Schuster ist Eremit. Er hat sich damit einer extremen Form des Daseins verpflichtet, einem spirituellen Einzelgängertum, das im Wesentlichen aus Arbeiten und Beten besteht, Geselligkeit und unnützes Gequassel indes ausschließt.

Eine gute Stunde später, als das Misstrauen langsam aus Schusters Blick schwindet, wird er auf die Frage, ob er denn als Einsiedler ein glücklicher Mensch sei, antworten: "Ich würde sagen, ich bin zufrieden." Zunächst geht er aber erst einmal in den Nebenraum, um den nervigen Wäschetrockner abzustellen.

Sein Zuhause - wenn man eine Jahrhunderte alte Klause überhaupt als solches bezeichnen darf - gleicht einer Mischung aus Junggesellenwohnung und Sakristei: Einbauküche, Bad, Wohnstube. Kein Fernseher, kein Internet. "Das wäre nicht so günstig." Telefon, Faxgerät und Zeitung sind erlaubt, immerhin. Die Wände zieren Devotionalien und Mitbringsel aus aller Welt. Es wirkt noch ein wenig provisorisch hier, denn Schuster ist erst im Sommer hier eingezogen, um eine Tradition weiterzuführen.

"Ich habe sehr extreme Situationen erlebt", sagt er mit ruhiger Stimme. Er ist ein ebenso freundlicher wie zurückhaltender Mann. Wenn Schuster von sich erzählt, will er nicht ins Detail gehen. Nur so viel: Einmal musste er mit ansehen, wie in einem kambodschanischen Flüchtlingslager 170 Menschen starben - an einem einzigen Tag. Andere wären vom Glauben abgefallen, ihn haben solche Erlebnisse zu noch mehr Einsatz angetrieben: "Wenn Sie ihre beiden Hände nehmen und helfen, dann begegnet Ihnen schon Gott."

Das war in seinem früheren Leben. In den 70er und 80er Jahren arbeitete er für die Vereinten Nationen und die Caritas als Flüchtlingshelfer und "Senior Supervisor for Lepracy Control". Der Kampf gegen den Aussatz führte ihn von Afrika über Asien bis nach Südamerika. Er erhielt dafür diverse Auszeichnungen, darunter das Bundesverdienstkreuz.

Irgendwann aber kam dann dieser "innere Anruf", wie er es nennt: die Entscheidung für das Priestertum. Schuster studierte in Eichstätt Theologie und wurde 1994 als Spätberufener zum katholischen Priester geweiht - da war er schon Mitte vierzig und als Reisender zwischen den Kontinenten in gewisser Weise längst ein innerer Einsiedler: "Ich habe keine Familie gehabt, sondern nur Mitarbeiter."

Er verschwindet für einen kurzen Moment und kommt mit einem dicken Buch zurück, einer handschriftlichen Chronik, verfasst von einem seiner Vorgänger. Er blättert kurz, bis er die Zeichnung der Klause findet, wie sie in dem 40er Jahren aussah: die barocke Wallfahrtskirche mit der Heiligen Quelle davor, dahinter das Wohnhaus - das "Frauenbründl" hat sich nur wenig verändert in den Jahrzehnten.

Warum zieht sich ein Mensch so sehr auf sich zurück?

Wer hier als Eremit einzieht, der tut dies im Bewusstsein, dass er nur als Gast auf Zeit bleibt. Schuster ist jetzt 64 Jahre alt und als Pfarrer offiziell im Ruhestand. Wie lange er wohl hier wohnen wird? Welche Pläne hat er noch? Schuster lächelt kurz und weist mit einer Geste in Richtung des nächsten Dorfs: "Endstation ist drüben in Peising, da haben wir ein großes Grab."

Wir - das ist die Kongregation der Eremiten, die hier in Frauenbründl seit mehr als 300 Jahren ihren Sitz hat. Nur in Folge der bayerischen Säkularisation wurde die Tradition nach 1804 für einige Jahrzehnte unterbrochen, bevor schließlich ein Klausner das Anwesen zurückkaufte. Einst gehörten Dutzende Einsiedler in der Diözese Regensburg und darüber hinaus der Mutterklause an.

Heute hat der "Klausnerverein" zehn Mitglieder, Anwärter eingerechnet. Von ihnen leben einige in Traditionsklausen mit Kirche und Wohnhaus wie das Frauenbründl, andere anonym in ganz normalen Stadtwohnungen. Weil jeder Eremit verpflichtet ist, für sich selbst zu sorgen, gehen sie ihren Berufen nach. Auch Schuster arbeitete als Priester in der Krankenhausseelsorge und führte zugleich ein Dasein als Einsiedler in der Stadt.

Deshalb war es für ihn auch keine große Umstellung, als er zum Vorsitzenden des Klausnervereins gewählt wurde und schließlich als Altvater nach Bad Abbach zog. Obwohl, mit der Einsamkeit der Stadt ist es jetzt vorbei. An schönen Tagen kommen bis zu hundert Besucher. Er muss sich um den Papierkram des Vereins kümmern, die Klause in Schuss halten, nebenbei noch zwei Dörfer als Seelsorger betreuen, jeden Tag die Messe lesen, Menschen die Beichte abnehmen und sich ihre Probleme anhören. Die Kerzenkapelle renoviert er auch gerade. Nebenbei gilt es noch die Ordensregeln der Franziskaner einzuhalten, also mehrmals am Tag zu beten. Mittags kocht sich der Einsiedler Schuster stets "was Vernünftiges", da legt er Wert drauf. Und manchmal verstopft die Heilige Quelle draußen vor dem Haus, dann muss Schuster sie durchpusten, weil die Gläubigen ihr Wasser abfüllen wollen, das angeblich gegen Augenleiden hilft.

Das klingt nun doch stark nach Einsiedlerstress. "Die Leute meinen immer, in so einer Klause zu leben ist Gottesdienst, Andacht und Halleluja singen", sagt Schuster und man glaubt fast ein kleines Seufzen zu hören. Warum aber macht er das alles? Warum zieht sich ein Mensch so sehr auf sich zurück? "Es geht um die Suche nach Gott", sagt Schuster. "In der Einsamkeit biete ich ihm meine Seele dar."

Er schreitet voraus in die Kirche. Sie ist menschenleer um diese Uhrzeit. Ein paar rote Opferkerzen flackern in der Dämmerung. Wenn man nun kurz die Luft anhält und sich für einen Augenblick nicht bewegt, dann kann man sie hören, diese absolute Stille, das göttliche Nichts. Dann möchte man auch mal Einsiedler sein, zeitweise jedenfalls. Wahrscheinlich war das vor 1700 Jahren nicht anders, als der Heilige Antonius, der Urvater aller Eremiten und Mönche, in die ägyptische Wüste zog. In Alexandrien sei es Antonius zu laut und hektisch gewesen, sagt Schuster, was in den Ohren des modernen Menschen durchaus tröstlich klingt: Es gab also schon vor der Erfindung des Smartphones Probleme mit der ständigen Erreichbarkeit.

Damit ist eigentlich alles gesagt. Schuster schenkt seinem Gast vier kleine Holz-kreuze - eins für die Frau, zwei für die Kinder. Dann begleitet er ihn nach draußen vors Haus, wo die Heilige Quelle noch der Spülung harrt. Er wirkt nun beinah gelöst. Vielleicht auch deshalb, weil er jetzt die Tür hinter sich zumachen kann - und zumindest für diesen Tag seine Ruhe hat.

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