Emir soll Diamant gekauft haben:Der verlorene Wittelsbacher

Ausstellung "Bayerns Krone 1806" in München, 2006

Die bayerische Königskrone wird in der Schatzkammer der Münchner Residenz verwahrt. Als Leitstein dient seit 1921 ein Imitat des Blauen Wittelsbachers.

(Foto: Stephan Rumpf)

Einst schmückte der Diamant Bayerns Krone, jetzt soll ihn der Emir von Katar für 80 Millionen Dollar gekauft haben. Die Geschichte eines kulturellen Schatzes, der aus Geldgier zerstört worden ist.

Von Hans Kratzer

Kurz nach Weihnachten sind die Fußballprofis des FC Bayern zu einem Trainingslager nach Katar abgedüst. Viele Anhänger haben diese Reise aufmerksam verfolgt und dabei vermutlich erstmals Notiz genommen von diesem Emirat am Persischen Golf, das im Freistaat reichlich unbekannt ist. Und das, obwohl es eines der höchsten Pro-Kopf-Einkommen der Welt vorweisen kann. Erst recht hat niemand geahnt, dass die Verbindung zwischen Bayern und Katar neuerdings weit über die Ebene des Fußballs hinausreicht.

Alles deutet nämlich darauf hin, dass der berühmte Blaue Wittelsbacher, der Leitstein der bayerischen Königskrone, nach einer langen Odyssee nun in Katar gelandet ist. Wie der Münchner Chemie-Professor Jürgen Evers, einer der besten Kenner der Geschichte und der Beschaffenheit dieses Diamanten, erfahren hat, soll es sich bei dem neuen Besitzer um den Emir von Katar, Scheich Hamad bin Chalifa, handeln.

Der Blaue Wittelsbacher zählt zu den bekanntesten Diamanten der Welt, viele betrachten ihn als das edelste Wahrzeichen bayerischer Identität. Zwar konnte das Land Bayern nie mit den ganz Großen dieser Welt konkurrieren, aber was Prachtentfaltung und Repräsentanz anging, spielte das keine Rolle. Die Weltkulturerbestätten, die Königsschlösser und die schlossartige Vertretung des Freistaats bei der EU in Brüssel legen ein glänzendes Zeugnis vom Ehrgeiz der Bayern ab.

Insofern war es keineswegs abwegig, dass sie einst einen der seltenen naturblauen Diamanten dieser Erde zum Leitstein ihrer Königskrone gemacht haben. Weil sie eine außerordentliche Rarität darstellen, brachten blaue Diamanten seit jeher Abstammung und Rang ihrer Besitzer zum Ausdruck. Nicht umsonst waren sie die Kronjuwelen europäischer Monarchien. Der Blaue Wittelsbacher gehörte dem Hause Wittelsbach, der Hope-Diamant war im Besitz der französischen Königsfamilie der Bourbonen.

Lange Zeit wurde vermutet, diese beiden Edelsteine könnten Bruchstücke eines gemeinsamen größeren Kristalles sein. Dafür sprachen die gemeinsame Herkunft aus der indischen Kollur-Mine und die blaue Farbe. Die Chemiker Jürgen Evers, Leonhard Möckl und Heinrich Nöth legten allerdings vor wenigen Wochen in der Zeitschrift Chemie in unserer Zeit präzise dar, dass die 2009 an den Steinen durchgeführten Untersuchungen gegen eine gemeinsame Herkunft sprechen.

Durch ein Imitat ersetzt

Der Blaue Wittelsbacher war zu Beginn des 18. Jahrhunderts in den Besitz des bayerischen Herrscherhauses gelangt. In Joseph Stielers berühmtem Porträt von König Ludwig I. (1826) liegen Krone und blauer Diamant deutlich erkennbar auf der damaligen Verfassung. Bis 1918 blieben sie Haus- und Staatssymbol des Königreichs Bayern. 1921 wurde der Diamant bei der Beisetzung des Ex-Königs Ludwig III. letztmals in der Krone gesehen, danach wurde er durch ein Imitat ersetzt.

Jahrzehntelang von der Bildfläche verschwunden, wurde der Stein 1951 in Antwerpen heimlich verkauft. Von da an wechselte er mehrmals den Besitzer, unter anderem ruhte er eine Zeitlang im Tresor der österreichischen Unternehmerin Heidi Horten. Als sie den Blauen Wittelsbacher im Dezember 2008 im Londoner Auktionshaus Christie's versteigern ließ, löste dies ein weltweites Medienecho aus. Die bayerische Staatsregierung ließ die Chance, ihn zurückzukaufen, tatenlos verstreichen.

Kaufsumme: mindestens 80 Millionen Dollar

Stattdessen griff der Londoner Juwelier Laurence Graff zu. Nachdem er für den Stein die Rekordsumme von 24,3 Millionen Dollar hingelegt hatte, kündigte er an, er wolle ihm eine modernere Form geben. Vom Aufschrei der Fachwelt unbeeindruckt, ließ Graff den Stein tatsächlich umschleifen. Der historische Schliff aus dem 17. Jahrhundert wurde dabei dramatisch verändert.

Wie die Autoren Evers, Möckl und Nöth in ihrem Aufsatz schildern, sollten dadurch kleine oberflächliche Schäden beseitigt, die Brillanz verbessert und die Blaufärbung verstärkt werden. Sie nennen Graffs Entscheidung dennoch eine Anmaßung, weil nicht nur die historische Identität des Diamanten zerstört wurde, sondern auch einer der ältesten noch erhaltenen Brillantschliffe eines historischen Edelsteins.

Überdies wurde damit das Gewicht von 35,56 auf 31,06 Karat herabgesetzt. Fachleute wie der Historiker Hans Ottomeyer äußerten sich fassungslos über die Zerstörung dieses Kulturguts. Er sagte, Graff habe den Edelstein "vandalisiert", und mit dem "Umschliff als kalkuliertem Marktmanöver" sei der Blaue Wittelsbacher endgültig im Feld des capital investments angekommen. Überdies wurde dem Stein ein neuer Name verpasst. Er heißt seitdem nicht mehr Blauer Wittelsbacher, sondern Wittelsbach-Graff.

Am 18. Juni 2011 meldete die New York Times, dass der für das Desaster verantwortliche Juwelier Laurence Graff den umgeschliffenen Wittelsbacher Diamanten verkauft habe, Käufer und Aufbewahrungsort blieben jedoch ungenannt. Die Autoren Evers, Möckl und Nöth gehen davon aus, dass die Kaufsumme mindestens 80 Millionen Dollar betragen hat. Für Graff ergäbe dies einen Zugewinn von knapp 56 Millionen Dollar, abzüglich der Umschleifkosten.

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