Eklat bei der Bayern-SPD:Volkstribun gegen Parteisoldat

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Zu weit weg von den Problemen der Bürger: Das Zerwürfnis zwischen dem Regener Landrat Michael Adam und Parteichef Florian Pronold zeigt das Grundproblem der Bayern-SPD. Hat sich denn wirklich nichts verändert bei den Genossen?

Mike Szymanski und Wolfgang Wittl

Der Landrat im Landkreis Regen, Michael Adam (rechts), nach seinem Wahlsieg mit dem Landesvorsitzenden der bayerischen SPD, Florian Pronold. Jetzt hat Adam Pronold scharf kritisiert. (Foto: dapd)

Es ist Dienstagfrüh in München. SPD-Spitzenkandidat Christian Ude hat seine Vertrauten beim Frühstück um sich herum versammelt. Die Stimmung ist gedrückt. Es geht darum, die Lage zu besprechen und den Schaden zu bemessen.

Noch immer wirken einige der Teilnehmer fast wie benommen. "Ratlos" ist nur ein Wort, das hinterher die Runde macht. Wie soll man auch erklären, wenn der eine Genosse über den anderen Genossen mit den Worten herzieht, er bekomme "Gänsehaut", wenn dieser nur anrufe. Und hier geht es nicht um irgendwelche Genossen, sondern um Michael Adam, 27, den an der Parteibasis so beliebten Jung-Politiker und Regener Landrat, der über Bayerns SPD-Chef Florian Pronold im Internet lästert. Den hält er für "Ballast" im Landtagswahlkampf, der sich mit "Speichelleckern" und "Ja-Sagern" umgibt.

Es gibt einige wenige Gewissheiten in der Bayern-SPD. Dazu zählt, dass jene, die es als Sozialdemokraten im Freistaat dann doch einmal weit nach oben schaffen, dazu neigen, sich irgendwann an ihrer Partei abzuarbeiten oder gar innerlich von ihr abzuwenden. Bevor Münchens Oberbürgermeister Christian Ude Spitzenkandidat wurde, wurde gespottet, er habe sein Parteibuch verlegt. So wenig wollte er mit der Bayern-SPD zu tun haben. Nürnbergs Oberbürgermeister Ulrich Maly ließ sich auch nie wirklich vereinnahmen.

Nun macht Adam offensichtlich diesen Prozess durch. 2008 wurde er Bürgermeister in Bodenmais, 2011 Landrat in Regen. Im Gegensatz zu vielen anderen hat er Wahlen für die SPD gewonnen, und das als junger, schwuler Mann in Niederbayern. Nach seiner Tirade zeigte er keine Reue, sondern Distanz: "Ich sehe mich selbst in keinster Weise als Nachwuchshoffnung der Bayern-SPD", schrieb er. Seine Parteiämter möchte er "schnellstmöglich abgeben".

Adam geht vor allem zu Pronold in Opposition. Konkret wurde er am Montag bei einer Bürgerversammlung. "Ich vermisse Themen, wo ich sage, da brennt's draußen", sagte er. Die Debatte um Studiengebühren, die die Parteispitze befeuert, gehöre seiner Meinung nach nicht dazu.

"Raumschiff Oberanger"

Das Dahinsiechen der Bayern-SPD über die Jahrzehnte hängt auch damit zusammen, dass die Partei das Gefühl dafür verloren hat, was die Leute wirklich bewegt: "Raumschiff Oberanger" heißt es über die Parteizentrale in München. Als Spitzenkandidat Ude im Sommer nach Niederbayern reiste, hatte Adam einen bemerkenswerten Bierzeltauftritt.

In seinem Grußwort beim Karpfhamer Volksfest sprach er die Leute an, wie es weder Pronold noch Ude vermochten. Er erzählte vom Aufschwung in Niederbayern und bedankte sich bei den Leuten, die weite Wege zur Arbeit auf sich nehmen würden. 100 Kilometer zur Arbeit jeden Tag. "Wer macht das sonst?" Dafür bekam er großen Applaus. Ein "Jahrhundertereignis" nennt ein Parteifreund aus dem Kreisverband Adam.

Die große Politik in der Bayern-SPD machen aber nicht Leute wie Adam, sondern Leute wie Pronold. Pronolds politischer Werdegang beginnt vor seinem beruflichen Werdegang, man muss nur seinen Lebenslauf studieren. Pronold ist ein Mann des Apparats. Er kennt das Innenleben der Partei. Seine Macht beruht darauf, Leute zu kennen, Netzwerke zu pflegen, weniger auf großen Wahlerfolgen für die SPD.

Am Wochenende hat er seine Kontakte in seiner Heimat Niederbayern spielen lassen. Nicht die vom Bezirksvorsitzenden Adam bevorzugte Kandidatin bekam den aussichtsreichen Listenplatz für die Bundestagswahl, sondern die von Pronold - eine Parteisoldatin, die bereits vor vier Jahren erfolglos angetreten war. Einen Tag später ließ Adam alles raus, was sich Monate aufgestaut hatte. Er wusste, dass sein Eintrag im Internet von einer Landtagsjournalistin gelesen werden würde. Adam war mit ihr zur Schule gegangen.

Adam und Pronold konnten nie recht miteinander: hier der Pragmatiker, dort der Taktiker, der den Jüngeren so lange belächelt haben soll, bis der auf einmal Bürgermeister und Vorzeige-Genosse wurde. Pronold weiß um Adams Wirkung auf Menschen, vielleicht fürchtet er sich vor ihr, weil sie ihm selbst abgeht. Pronold, sagen ostbayerische CSU-Granden, würde niemals eine Kommunalwahl gewinnen können. Adam hingegen sähen sie nur zu gerne in der eigenen Partei.

In der niederbayerischen SPD will niemand etwas vom Zerwürfnis ihrer Spitzenmänner mitbekommen haben, dabei ist Adams Misstrauen heute noch größer als früher. Er wirft Pronold vor, die "traurigen Realitäten" nicht an sich heranzulassen. Die Bayern-SPD dümpelt in Umfragen bei 20 Prozent - trotz Spitzenkandidat Ude.

Pronold, 39, war in der Partei nie so richtig beliebt. Je weiter es mit der SPD in Bayern bergab ging, desto größer wurde der Wunsch nach einem starken Mann an der Spitze. Nach den desaströsen 18,6 Prozent bei der Landtagswahl 2008 blieb am Ende aber nur noch der Bundestagsabgeordnete Pronold übrig, "den Karren zu ziehen".

"Super-Männlein" Pronold

Seine äußerlich brave wie schmale Erscheinung brachte ihm den spöttischen Titel "Super-Männlein" ein. In der SPD ist und bleibt er: der Flori. Die Genossen haben sich mit ihm arrangiert, richtige Begeisterung für ihn ist bis heute nicht aufgekommen, obwohl er die maroden Parteistrukturen nach übereinstimmender Meinung ganz ordentlich reformiert hat.

Seit Ude Spitzenkandidat ist, haben sich die Machtverhältnisse in der SPD verschoben: Pronold, Fraktionschef Markus Rinderspacher und Generalsekretärin Natascha Kohnen bilden Udes engste Mannschaft, aber der Mannschaftsführer ist: Ude. Und der zeigte erstaunlich viel Verständnis für Adams Wutausbruch.

Der stellvertretende Juso-Chef Thomas Asböck, ebenfalls Niederbayer, forderte am Dienstag Pronolds Ablösung. Es ist Wahlkampf, und die SPD zerlegt sich selbst. Einen "Höllenritt" hatte Pronold seiner Partei in der Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner prophezeit. Aber dass der Gegner ausgerechnet aus den eigenen Reihen kommen würde?

© SZ vom 21.11.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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