Zukunft von Audi und VW:Mit Elektroautos aus der Krise

File photo of Rupert Stadler, CEO of German car manufacturer Audi, posing next to e-tron, a high-performance sports car with a purely electric drive during the media day at the international car show 'IAA' in Frankfurt

Elektroautos waren schon einmal ein großes Thema bei Audi: Vorstandchef Rupert Stadler auf der IAA 2009 mit einem Batterie-Sportwagen.

(Foto: RALPH ORLOWSKI/REUTERS)

VW hat das Vertrauen in den Diesel verspielt. Das ist die Chance für alternative Antriebe.

Analyse von Joachim Becker

Die Signale aus Wolfsburg erinnern an den letzten Funkspruch der Titanic: "Sinken - brauchen sofort Hilfe." VW hat mächtig Schlagseite, drohende Strafzahlungen in Milliardenhöhe machen den Konzern manövrierunfähig. Trotzdem will Markenchef Herbert Diess das Steuer auch technologisch herumreißen. Auf der diesjährigen IAA verbreitete er die Idee eines elektrischen Flaggschiffs. Martin Winterkorn winkte ab: "Lohnt sich nicht, machen wir nicht." Wenig später trat der mächtige Konzernchef zurück.

Mitten im schlimmsten Sturm der Firmengeschichte will sich VW neu erfinden: Statt eines Verbrennungsmotors soll die zweiten Phaeton-Generation einen Elektroantrieb bekommen. "Auch die künftige Phaeton-Generation wird als Leitstern für das Profil der Marke in der nächsten Dekade stehen", verkündet Herbert Diess. Doch die Neuausrichtung ist ein Taschenspielertrick. Den beschworenen Modularen Elektrifizierungsbaukasten (MEB) gibt es für Modelle größer als Passat oder Tiguan in Wolfsburg noch gar nicht. Der geplante Serienstart 2018 erscheint illusorisch. Da hilft nur ein kühner Kunstgriff: Der VW Phaeton beruhte schon bisher auf dem Modularen Längsbaukasten (MLB). Auch für den neuen MLB evo trägt Audi die Entwicklungsverantwortung. Ohne Starkstrom-Starthilfe aus Ingolstadt geht gar nichts.

Tesla macht den Türöffner

Vor Kurzem hat die Marke mit den vier Ringen eine Hochboden-Plattform für den reinen Elektroantrieb beschlossen - und Siegfried Pint von BMW abgeworben. Der 42-Jährige war Leiter elektrischer Antrieb und Hochvoltspeicher des BMW Project i: "Die Münchner haben das Batterieauto mit eher kleiner Hochvoltbatterie nach dem Bottom-up-Prinzip, also vom Kleinwagen i3 aus, eingeführt", so Pint.

Seit Anfang 2015 arbeitet er rund hundert Kilometer nördlich in Ingolstadt. Als Leiter Entwicklung Elektrifizierung Antrieb ist er für die Technik des Audi Q6 e-tron verantwortlich: "Anfangs dachte ich: Ein Batterieauto im C-Segment, das ist mutig. Aber jetzt weiß ich: Das ist genau richtig, weil dort das weltweit wachsende Volumensegment liegt. Und ja: Der Erfolg von Tesla hat wie ein Schneepflug gearbeitet. Das macht uns auch bei der Bereitschaft der Kunden, so ein Fahrzeug zu fahren, den Weg frei."

Audi will wieder Technik-Vorreiter sein

Von wegen Vorsprung durch Technik: Audi musste Tesla und BMW bei der E-Mobilität vorbeiziehen lassen. Das Hin und Her um die Einführung des R8 e-tron und der ständige Austausch von Entwicklungsvorständen war für das Vorreiter-Image nicht gerade förderlich. Böse Zungen behaupten: Seit dem Allradantrieb Quattro hat Audi höchstens noch in der Lichttechnologie und beim Virtual Cockpit Innovationen zustande gebracht.

Doch die Ingolstädter wollen zurück auf die Überholspur: Nächstes Jahr wird Audi als erster das 48-Volt-Teilbordnetz einführen. Beim SQ7 wird die zweite Spannungslage dem V8-Benziner gehörig Druck machen: Ein elektrisch angetriebener Verdichter unterstützt den konventionellen Abgasturbolader in den ersten zwei bis drei Sekunden nach dem Ampelstart. Klingt wenig, doch der Zusatz-Boost aus der Batterie zaubert ein breites Grinsen auf die Gesichter der Testfahrer (SZ berichtete).

Wirklich billig ist das 48-Volt-Teilbordnetz allerdings nicht. Mit Komfortfunktionen wie einer elektrischen Wankstabilisierung und der elektrischen Standklimatisierung führt Audi das System mit riemengetrieben Starter-Generator von oben ein, also zuerst bei teuren und leistungsstarken Modellen. "In etwa zehn Jahren wird die Marke außerhalb der e-tron-Palette kein neues Modell mehr ohne diese Technologie anbieten", so das Audi-Ziel. Nach 2020 soll es auch eine getriebeintegrierte Variante mit rund 18 kW Leistung geben. Dann kann das 48-Volt-Teilbordnetz selbst Quattro-Modelle in der Tempo-30-Zone rein elektrisch antreiben. Und die Rekuperationsrate steigt ohne das Schleppmoment des Motors erheblich.

2018 kommt Audis Konkurrent für das Tesla Model X

Audi Q6 e-tron

Sportler auf Stelzen: Der Audi Q6 e-tron soll sich trotz des hohen Wagenbodens extrem dynamisch fahren lassen.

(Foto: Audi)

2018 steht die Antwort auf das Tesla Model X in den Startlöchern: ein voll familien-taugliches Erstfahrzeug mit rein elektrischem Antrieb. Auf der IAA 2015 war die Studie e-tron Quattro Concept bereits zu sehen: Drei Elektromotoren leisten im Tesla-Konkurrent bis zu 370 kW. Anders als beim Vorbild aus Kalifornien soll der Spurt von null auf 200 km/h mindestens viermal hintereinander mit maximaler Leistung abrufbar sein.

Dafür ist ein anderes Batteriekonzept nötig, als es Tesla mit Tausenden kleiner Zellen aus der Konsumentenelektronik vormacht. "Bei den Batterien gibt es enorme Fortschritte, und zwar bei Energiedichte und Preis. Deshalb ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um auf den reinen Elektro- Antrieb zu setzen", erklärt Jens Kötz, Leiter Audi E/E Vernetzung und Energiesysteme. Beim Gewicht wird aber auch das Sport-SUV aus Bayern nicht zaubern können. Die 95-kWh-Batterie für theoretisch mehr als 500 Kilometer Reichweite wiegt zwischen 600 und 700 kg.

Ein 4,85 Meter langes Crossover-Modell mit 2,5 Tonnen Gesamtgewicht? BMW sträubt sich noch gegen ein solches Dickschiff, das mindestens 70 000 Euro kosten wird. Audi will dem Brummer allerdings durch Torque Vectoring zum Tanzen bringen - also durch eine variable Verteilung von mehreren Tausend Nm Drehmoment zwischen den Hinterrädern: "Es geht uns nicht um das reine Batteriegewicht. Es geht um das Gesamtkonzept und den Fahrspaß, den der Kunde mit dem Auto erleben kann", predigt der frisch bekehrte Siegfried Pint: "Der Fahrer spürt subjektiv sogar weniger Gewicht. Durch die vier angetriebenen Räder und drei E-Motoren können wir den Wagen per Antriebskraft spritzig in die Kurve lenken. Das Fahrzeug sieht aus wie ein SUV, fährt sich aber auch querdynamisch wie ein Sportwagen." Bei der Wintererprobung in Schweden sollen die ersten beiden Aggregate-Träger auch die Audi-Vorstände begeistert haben.

Bescheidene Absatzziele

Das Zusammenspiel der beiden Elektromotoren an der Hinterachse ist allerdings heikel. Wenn ein Rad zu viel Kraft bekommt, fliegt der Wagen aus der Kurve: "Wir hatten mehrere interne Entwicklungszyklen, von denen das Projekt stark profitiert. Das ganze Thema Torque Vectoring haben wir mit dem R8 e-tron funktional bereits absichern können - und zwar auf einem Sicherheitslevel wie in der Luftfahrt. Diese drei Jahre Entwicklungszeit können wir jetzt komplett auf das Batteriefahrzeug im C-Segment übertragen", freut sich Siegfried Pint. Auch eine hohe Rekuperationsrate durch den Vierradantrieb haben die E-Traktions- und Fahrwerksentwickler bereits abgesichert.

Doch bei aller Elektro-Euphorie: Bis 2020 erwarten die Ingolstädter nur einen Verkaufsanteil der reinen Stromer und der Plug-in-Hybride im kleinen einstelligen Prozentbereich. 2025 soll allerdings schon ein Viertel des gesamten Absatzvolumens aus e-tron-Modellen bestehen: Bis dahin soll es auch etwas kleinere Fahrzeuge mit einem Ladestecker geben. In der Größe eines Audi A4 oder Q5 zum Beispiel, die rein elektrisch um die 50 000 Euro kosten könnten.

Auch der VW Bus soll mit reinem Elektroantrieb kommen

Doch es bleibt das Problem der Kannibalisierung bestehender Baureihen: "Wir werden den Stromer im C-Segment optisch deutlich von den anderen Modellen differenzieren. Im Prinzip entspricht das Showcar in Konzept und Design schon zu mehr als drei Vierteln dem Serienmodell. Neben dem Ausbau unseres Angebots von Plug-in-Hybriden diskutieren wir auch über weitere Karosserievarianten mit reinem E-Antrieb", sagt Stefan Niemand, Leiter der batterieelektrischen Modellreihen. Da VW das Elektro-Hochbodenkonzept ohnehin auf eine tiefer gelegte Limousine umstricken muss, könnte Audi daraus einen A9 e-tron bauen: ein sportlich-flaches, rein eletrisches Luxus-Coupé ohne Vorgänger.

VW muss vorerst keine Kannibalisierungseffekte befürchten, weder beim E-Phaeton noch beim VW Bulli, der 2019 als Elektromobil auferstehen soll. Wie schnell die Wolfsburger bei Elektro-SUVs nachziehen, hängt von den Kundenreaktionen auf die Starkstrom-Offensive ab - und von der Zukunft des Dieselantriebs.

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