Wilde Jagd nach Marktnischen:Das richtige Auto im richtigen Moment

Mit Durchschnittswagen lässt sich heutzutage kein Geld mehr verdienen - und genau darin liegt für die deutsche Industrie eine Chance.

Michael Kuntz

Es war einmal ein Auto, das auf hundert Kilometern nur drei Liter Benzin verbrauchte, und das hieß Lupo. Vielleicht war der Preis zu hoch und der Anreiz zu niedrig, wie auch immer, Volkswagen verkaufte davon so wenige Wagen, dass es dieses Sparmobil längst schon nicht mehr gibt. ¸¸Nun wird es aber Zeit, dass wir wieder ein Drei-Liter-Auto bauen", sagt VW-Vorstandsvorsitzender Bernd Pischetsrieder unterwegs durch die Center Hall der Tokyo Motor Show.

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Die Tokyo Motor Show kommt dem individuellen Geschmack der Kunden mit immer neuen Nischenmodellen entgegen: hier der neue Porsche Cayman S.

(Foto: Foto: Reuters)

Sein Forschungsvorstand Mathias Rabe hat gerade von drei Hostessen in schwarzen Kleidern den ¸¸Racer" enthüllen lassen, ein Auto mit nach oben schwenkenden Flügeltüren. Gelb und flach wie eine Flunder, mit blinkenden Nebelscheinwerfern und der überhaupt nicht sparsamen Fahrleistung von 230 Kilometer pro Stunde - alles bei einem Verbrauch von 3,5 Litern.

Tokio ist nur eine Station auf der weltumspannenden Jagd der Autoindustrie nach Marktnischen, in denen neue Kunden sitzen könnten. Erst vier Wochen vorher hatte die Branche auf der IAA in Frankfurt die vielen neuen Modelle gefeiert, mit denen sie aus der Krise fahren will.

In Detroit sieht man sich im Januar wieder, und eisig wird nicht nur das Wetter sein, sondern auch die Stimmung angesichts der ruinösen Rabattschlachten in Amerika. Dann gibt es Genf und Paris, vor allem aber die Automesse in China, die abwechselnd in Peking und Schanghai stattfindet. Jede Messe hat ihren eigenen Charakter: Tokio gilt als die Show der extravaganten Ideen - auch von VW.

Bernd Pischetsrieder durcheilt die Messe-Welt seines Konzerns und läuft die paar Schritte vom Drei-Liter-Auto zu den Volkswagen-Marken für anspruchsvollere Menschen: Audi, Lamborghini, Bentley, Bugatti. Gespart wird hier weniger.

Loblieder auf das irreste Produkt

Pischetsrieder kommt etwas zu spät zur Bugatti-Präsentation und lehnt locker draußen auf der Absperrung, hinter der die anderen Honoratioren von Europas größtem Autohersteller gerade Loblieder auf ihr irrestes Produkt singen. So geht es zu im Volks-Konzern, und so verrückt ist die Autowelt.

Vom Bugatti sollen schon dreißig Stück verkauft worden sein. Und die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass das edle Ausstellungsstück nicht nach Europa zurückgeflogen werden muss und ebenso wie noch ein paar Exemplare mehr an autoverrückte Japaner veräußert werden kann. 1,5 Millionen von ihnen werden bis zum Messeschluss an diesem Sonntag durch die drei Auto-Hallen gepilgert sein, 600.000 mehr als über die auf erheblich größerer Fläche stattfindende IAA.

Die Japaner gelten als die kritischsten Autokäufer überhaupt. Sie dürfen nicht schneller als 110 Stundenkilometer fahren, stehen oft im Stau und reagieren empfindlich auf Nebengeräusche von Bremsen, Lenkung, Gebläse und Scheibenwischern. Sie entscheiden sich in der Regel für einheimische Fabrikate wie Toyota, Nissan, Honda, Mazda und Mitsubishi.

Nur jedes zwanzigste Auto stammt aus dem Ausland. Dann darf es oft das Modell eines deutschen Herstellers sein. Wie in Hongkong zählen in Japan die Ventile, und da befriedigt der Bugatti mit 16 Zylindern selbst fortgeschrittenen automobilen Größenwahn.

Hilfreich beim Einparken: Die drehbare Fahrgastzelle

So wie die Asiaten mit ihren Digitalkameras in Frankfurt ausschwärmen, machen sich in Tokio viele deutsche Ingenieure auf den Weg, um Neuheiten kritisch zu betrachten - wie das Auto mit der drehbaren Fahrgastzelle, das beim Einparken enorme Vorteile bringen soll.

Doch angesichts der alternden Bevölkerung und der Vorliebe der Käufer für nationale Hersteller dürfte die Messe in Tokio mittelfristig an Bedeutung verlieren. Denn Wachstum findet woanders statt. Zweistellige Zuwachsraten beim Verkauf neuer Autos locken nach China, den am schnellsten wachsenden Automarkt der Welt. VW will deshalb die Automesse dort zur Leitmesse für Asien aufwerten, ist aus unternehmensnahen Kreisen zu hören. Das kommt nicht von ungefähr: Volkswagen gehörte zu den Pionieren in der Autoindustrie des Landes, und jahrelang gestaltete sich die Zusammenarbeit mit den chinesischen Partnern wie gemeinsames Gelddrucken.

Das richtige Auto im richtigen Moment

Das änderte sich, als die Regierung die Vergabe günstiger Kredite für den Kauf von Autos deutlich einschränkte, andere ausländische Hersteller auf den Markt drängten und neue chinesische Hersteller für Wettbewerb sorgten. Nicht mehr nur von Behörden werden die Autos gekauft, sondern zunehmend auch von Privatleuten. Da waren auf einmal die einstigen Funktionärs-Limousinen unbeliebt, und es reicht auch nicht mehr, auf dem chinesischen Markt vorwiegend ältere Modelle anzubieten.

Gleich nach China entdecken die internationalen Autokonzerne das Schwellenland Indien als Markt von morgen. Im vergangenen Jahr wuchs die Autoproduktion hier um fast ein Drittel. Von den deutschen Herstellern sind Mercedes-Benz in Oune sowie die VW-Konzerntochter Skoda in Aurangabad mit jeweils einem Werk auf dem Subkontinent vertreten. Skoda verkauft seine Autos trotz der niedrigen Lohnkosten auch wegen hoher Steuern zu ungefähr den selben Preisen wie in Europa - vorzugsweise an die so genannte obere Mittelschicht.

200 Millionen neue Reiche

Diese 200 Millionen neuen Reichen haben in dem nach wie vor von Bettlern, Slums und fliegenden Händlern geprägten Land einen Lebensstandard wie in Europa. Die insgesamt 1,2 Milliarden Inder aber sind so gut wie gar nicht motorisiert: Auf tausend Einwohner kommen nur sechs Personenwagen. BMW verkauft in Indien zur Zeit keine 200 Autos im Jahr und will das nun ändern durch den Bau eines Montagewerkes und einer werkseigenen Niederlassung.

Es handelt sich also gegenwärtig noch mehr um Marktchancen als um reales Geschäft. Das machen die deutschen Autohersteller nämlich bei aller Asien-Euphorie weiter direkt vor ihrer Haustür. Kunden in Westeuropa kauften im vergangenen Jahr 14,5 Millionen Neuwagen, davon die Hälfte bei deutschen Herstellern. Japaner dagegen erwarben nur fünf Millionen Autos. Die Schwellenländer China (2,6 Millionen Neuwagen) und Indien (eine Million), aber auch Südamerika (1,9 Millionen) wecken zwar Hoffnungen, sind aber bisher nur kleine Absatzmärkte bei global 50 Millionen neuen Autos.

USA: Größter Markt, aber extrem umkämpft

Auf dem weltweit größten Automobilmarkt USA werden jährlich 16,9 Millionen Personenwagen und leichte Nutzfahrzeuge, also auch Minivans und Pickups, verkauft - aber unter welchen Umständen? Marktführer General Motors (GM) zettelte im Sommer mit Mitarbeiterrabatten für jedermann eine beispiellose Preisschlacht an. Die nach einer Serie von Wirbelstürmen ungewöhnlich hohen Treibstoffpreise machten die zuvor so beliebten spritfressenden Geländewagen schwer verkäuflich. Von den großen Herstellern konnte nur Toyota seinen Absatz steigern.

Das richtige Auto im richtigen Moment

Im Vergleich zu GM und Ford kam von den Big Three aus Detroit auch Chrysler noch ganz gut weg. Die US-Tochter von DaimlerChrysler legte zum neunten Mal in Folge bessere Quartalszahlen vor - ein Indiz für die erfolgreiche Sanierung durch den künftigen Konzernchef Dieter Zetsche. Der Zukunftsoptimismus und das Zupacken bei neuen Ideen, davon könnten wir uns in Deutschland eine Scheibe abschneiden, sagt er. ¸¸In den USA habe ich mit meinen Leuten häufig kürzer zusammengesessen und schneller Ergebnisse produziert als hier."

Autokäufer wollen heute mehr Auto für das gleiche Geld oder das gleiche Auto für weniger Geld bekommen. Sie sind nicht mehr bereit, Geld auszugeben für Extras, die sie nicht brauchen. Zu rationalen Überlegungen kommt die emotionale Komponente: Der Käufer will sich wohlfühlen in seinem Auto und das auch von anderen bestätigt bekommen.

Das alles macht es den Herstellern von automobiler Durchschnittsware, den so genannten Massenautos, nicht leichter. Immer neue Nischenmodelle sollen den individuellen Geschmack der Kundschaft treffen. Betriebswirtschaftlich sind sie eine Herausforderung. Oft lassen sie sich nur mit Gewinn herstellen, wenn kostengünstige Teile aus einem Baukasten für möglichst viele Modelle verwendet werden können.

Letztlich aber gilt es, die richtige Zielgruppe im richtigen Moment mit dem richtigen Auto zu versorgen. Dann wird ein Auto zum Kultgegenstand - wie das BMW mit dem Mini gelang. Manchmal empfiehlt es sich, auf Nebenstraßen abzubiegen: Für die erfolgreiche VW-Tochter Audi zum Beispiel ist die Automesse in Los Angeles besonders wichtig, weil im sonnigen Kalifornien die Cabrios und das Sportcoupe TT gefragt sind. Da haben dann die Ingolstädter ihr US-Geschäft schon angekurbelt, bevor die Messe in Detroit erst losgeht.

Mit den Großen dieser Welt auf Tuchfühlung

Es ist intim in Tokio, zumindest an den ersten Tagen der Motor Show, an denen die Öffentlichkeit noch nicht zugelassen ist und Aussteller und Journalisten unter sich bleiben. Da läuft dann schon der neue deutsche Branchenkönig Wendelin Wiedeking einmal auf und ab durch den Mittelgang, begleitet nur von seinem Pressesprecher, und es ist wie vor dem Cafe Orth in Westerland, wo man vorübergehend mit den Großen dieser Welt auf Tuchfühlung gehen kann.

Später in der Beletage des Porsche-Standes erklärt Wiedeking den jungen Reportern der internationalen Finanzblätter, wie man das macht, mal eben drei Milliarden Euro hinzublättern und sich die Gangschaltung, vielleicht sogar die Lenkung des Volkswagen-Konzerns zu kaufen. Der Einzige, der ihm dabei die Schau hätte stehlen können, nämlich Porsche-Enkel und VW-Aufsichtsratsvorsitzender Ferdinand Piëch, ist diesmal gar nicht erst nach Tokio gekommen.

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