Walter Röhrl zum 60. Geburtstag:Außenposten der Physik

Die Rallye-Ikone Röhrl wird 60 Jahre alt - und ist insofern schon in der Nachspielzeit, "weil ich als junger Kerl geglaubt hab, mit 40 geht's langsam ans Sterben". Mit Bildergalerie

Herbert Völker

Dass jetzt der Wecker stehenbleiben könnte, kommt seinem hypochondrischen Talent entgegen, anderseits sagt der Arzt: "Dieses Herz sollte ins Lehrbuch kommen, so picobello ist es beisammen." Am 7. März feiert Walter Röhrl seinen 60. Geburtstag.

Walter Röhrl Rallye Motorsport 60. Geburtstag Jubiläum

Röhrl vor dem Start zur Rallye Monte Carlo 1984, die er später gewinnt.

(Foto: Foto: afp)

Unter der Würde des Alters versteht Röhrl, in 7:42 Minuten um die Nordschleife des Nürburgrings zu schlendern, im Porsche GT3 RS immer noch schneller als befugte Testfahrer des Hauses. Insofern bleibt er auch in seiner Rolle als frei schwebender Fahrdynamik-Experte für jene Art der Qualitätssicherung, die unveränderlich über den Hintern geht - besonders bei Porsche.

Ein Markstein seiner Branche

Röhrl ist mehr als bloß höchste Instanz für gefühlte Fahrzustände, er ist unverändert ein europaweit wahrnehmbarer Markstein seiner Branche, mit einem authentischen Naturell, das auch die jungen Motorjournalisten quer durch die Nationalitäten entzückt - also auch jene, die seine Heldentaten nur noch vom Hörensagen kennen. Und wenn sie dann bei der Vorstellung eines neuen Modells von Herrn Röhrl auf eine kleine Erkundungstour an die Außenposten der Physik chauffiert werden, können sie sich kaum einkriegen vor Begeisterung.

Audi hatte die erste Wahl gehabt, Röhrl zu einer Ikone der Marke auszubauen, die Chance aber nicht kapiert. Porsche griff zu und verpflichtete Röhrl als Repräsentant und Cheftester. Das war 1993, als die Firma 18 000 Autos verkaufte und manche munkelten, dass im nächsten Monat zugesperrt wird.

Als sie bei Audi endlich aufwachten und sich in den Hintern bissen, als dann Winterkorn chefsachenmäßig mit Wiedeking parlierte, war da längst befestigtes Terrain: Röhrl wird nicht mehr hergegeben. Mittlerweile haben die Stuttgarter verstanden, dass Röhrl nicht bloß für Geld zu haben ist, sondern dass es passen muss - die Autos, die Leute, die kleinen Liebespfänder im Umgang miteinander.

Irrwitzig, unvergleichlich, bescheuert

Röhrl führte mit Lancia, Audi und zweimal Fiat vier Teams zur Rallye-Marken-WM, wurde 1980 Fahrer-Weltmeister auf Fiat und 1982 auf Opel, hat aber fast die Hälfte seiner Karriere mit falschem Material verplempert, in seiner Treue zu Verträgen und Kumpels. So ging seine Rolle in diesem Sport weit über die Zahl seiner Siege hinaus; und der Höhepunkt lag in der Mitte der achtziger Jahre.

Es waren irrwitzige, unvergleichliche, bescheuerte Jahre des Motorsports. Mit monströsen Maschinen, die ihre 400 PS längst nicht so geschmeidig darbieten konnten wie ein heutiges World Rally Car; vielmehr ging es schub-, geräusch- und sidewaysmäßig Richtung Nirwana. Ganz zu schweigen von den Zuschauern -, wie die sich aufführten. Und Röhrl war der eindeutige Chef dieser Wahnsinnspartie.

Außenposten der Physik

Durch seine Präzision beherrschte er das Übermaß an hysterischen Kräften, gleichzeitig konnte er sich selber dabei zuschauen und danach darüber reden. In höchster Präzision, auch über Erlebnisse aus den Augenwinkeln:

Walter Röhrl Rallye Motorsport 60. Geburtstag Jubiläum

Während der Ralley Monte Carlo 1980 mit seinem Fiat 131.

(Foto: Foto: ap)

"Am Turini - Rallye Monte Carlo, Schnee und Eis - ist einer auf der Mauer gsessn, den hätt i am liebstn awegfahrn. Beim zweitn Mal sitzt das Arschloch no immer dort. Ganz auf cool. I hab den Gesichtsausdruck erkennen können, ganz lässig, wahrscheinlich is a Has danebngstandn. Pass auf, das ist folgende Stelle: Tunnel nach drei Kilometer, Kehre links, 20 Meter, Kehre rechts, 40 Meter, mittellinks, Kehre links, Kehre rechts, 60 Meter, mittelrechts. Da ist eine Mauer innen, wo du um jeden Zentimeter kämpfst - innen! Und da sitzt der Kerl vorn, wo die Mauer beginnt, ganz cool, die Füaß herin, und zuckt net. Dafür hab i zuckt und mi g'ärgert, und beim zweiten Mal war i scho gfasst drauf, tatsächlich sitzt des Arschloch wieder da. Ich fahr drei, vier Zentimeter vorbei. Der war knallhart, hat net zuckt. I hab bloß gmerkt, wie seine Augen a bissl größer worn san."

Gerade dieser puristische, oft auch puritanische Asketentyp hatte es zuwege gebracht, in seinem Sport jene Sinnlichkeit auszudrücken, die die einzige Entschuldigung dafür sein kann, dass Menschen im Vollbesitz ihres Verstandes bei Eis und Nacht und Nebel und ohne Leitschienen bergab den vollen Hammer stehen lassen.

Der Chauffeur der Bischöfe

Er war wie kein anderer in der Lage, die Zerrissenheit eines Menschen begreiflich zu machen, der auf der einen Seite ein sehr normaler Bürger ist, auf der anderen Seite dank seines unfassbaren Talents etwas erleben kann, das quer durch alle Zustände des Abgehobenseins in den Bereich von traumwandlerischer mathematischer Präzision führt.

Für den Fan war es seine Robin-Hood-Haftigkeit, der Freund der Kleinen, aufmüpfig den Granden, bayrisch-verbündet mit allen, die ihn als Kumpel begriffen. Für die ganze Branche war es seine Statur: einen guten halben Kopf über allen anderen.

Walter Röhrl ist in Regensburg geboren und wohnt heute mit seiner Frau Monika hinter den sieben Wäldern in St. Englmar, ist also Bayer auf sehr ernsthafte Weise. An dieser Stelle kommt man an der Geschichte vom "Chauffeur des Bischofs von Regensburg" nicht vorbei.

Das war natürlich zu schön, um wahr zu sein, aber immerhin war Jung-Walter tatsächlich Sekretär und Chauffeur des Rechtsvertreters der Bischöfe Bayerns. Als der zum ersten Mal zustieg, gab Röhrl gleichsam pantomimisch die programmatische Erklärung für die frühen Jahre ab: Er saß mit ausgestreckten Armen am Volant, behandschuht mit schnellem Leder und den gewissen Löchern, die zur Belüftung der heißen Fingerknöchel dienen. Selbstredend fuhr Röhrl sofort Ideallinie.

Es konnte schon vorkommen, dass der Oberfinanzdirektor mal sagte, ach Walter, wir haben noch viel Zeit bis zu unserem Termin, es pressiert doch nicht. Aber dafür gab es nur einen strafenden Blick: Es ging ja nicht um den Termin, um einen von hundert Terminen zu Pachtverhandlungen mit den Bauern, es ging um die Perfektion der Linie, um die Spontanität des Gaseinsatzes, um die Exaktheit des Bremspunktes.

Entgegenkommende Fahrer blinkten ihn wütend an, wenn er breitseits um die Ecken kam. "Ein Bekannter von mir", pflegte Röhrl auf Fragen des Chefs zu antworten, was den Oberfinanzdirektor eines Tages im Büro sagen ließ: "Unglaublich, dieser Walter. Kennt jeden zweiten Menschen in Bayern."

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