VW-Prototypen der 50er und 60er:Autos ohne Zukunft

Heinrich Nordhoff und der VW Käfer

VW-Chef Heinrich Nordhoff bei der Feier, als der 100 000. Käfer vom Band rollt.

(Foto: Volkswagen AG)

Sie sollten den Käfer beerben, verschwanden aber alle in der Versenkung: VW ließ im Stillen mehr als 70 Prototypen entwickeln und verschwendete dabei Millionen - weil dem Firmenchef der Mut fehlte.

Von Christof Vieweg

Er war Ehrenbürger der Stadt, Träger des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland und der ungekrönte "König von Wolfsburg": Heinrich Nordhoff, Generalbevollmächtiger des Volkswagenwerks und in den Augen vieler Menschen der Retter der größten deutschen Autofabrik. Der Käfer, so beteuerte der charismatische Industriekapitän in den 1950er-Jahren immer wieder, sei das Auto der Zukunft. In seinem Werk werde "auf viele Jahre hinaus kein anderer Wagen gebaut". Kritik an Fahrverhalten, Sicherheit und Komfort wehrte Nordhoff stets vehement ab. Der Käfer sei "ein schmuckes, sehr gut aussehendes Automobil".

Doch das alles war nur Show. In Wahrheit dachte Nordhoff ganz anders - und handelte entsprechend. Um das in seinen Augen "technische und ästhetische Unding" namens VW Käfer endlich aufs Altenteil schicken zu können, ließ Nordhoff in den 1950er- und 1960er-Jahren ein neues Modell nach dem anderen entwickeln. Immer wieder trieb er die Ingenieure der Technischen Entwicklung (TE) an, "einen von Grund auf neuen Wagen" zu konstruieren und ihm baldmöglichst entsprechende Prototypen vorzuführen. Doch es nützte alles nichts, ein anderes Auto als den Käfer mochten sich die Techniker nicht vorstellen. So blieben Nordhoffs Aufträge und Forderungen unbearbeitet oder wurden auf die lange Bank geschoben.

"Meisterhaft" und "geradezu unübertrefflich"

Dieses Spiel macht der Generaldirektor einige Monate mit, dann zieht er Konsequenzen. Er feuert den Chef der TE und überträgt die Entwicklungsaufträge für neue Modelle an externe Partner: das Stuttgarter Konstruktionsbüro Porsche und die italienische Designschmiede Pininfarina. Im Sommer 1951 steht der erste Kandidat für die Nachfolge des VW Käfer auf den Rädern.

Intern nennt man ihn EA 41 ("EA" für Entwicklungsauftrag), Nordhoff spricht jedoch stets vom "F-Wagen" ("F" wie Farina) und ist hellauf begeistert. Der Zweitürer mit der etwas pummeligen Pontonkarosserie sei "meisterhaft" und "geradezu unübertrefflich" lässt er die Italiener wissen, die deshalb bereits auf einen Großauftrag aus Wolfsburg hoffen. Vergebens. Ebenso spontan wie das Lob kommen die Änderungswünsche, die Nordhoff immer wieder nach Turin durchgibt - in puncto Technik, Platzangebot und Komfort, die sich aber auf Basis dieses Fahrzeugkonzepts nicht realisieren lassen. Und weil Pininfarina nichts Neues liefert, verliert der VW-Chef irgendwann das Interesse an dem Projekt. EA 41 gerät in Vergessenheit. Man bezahlt die Rechnung für die Entwicklung und lässt den Prototypen verschrotten.

Auch Porsche scheitert mit seinen Entwürfen

Jetzt ist Porsche am Zug. Nordhoff gibt zwar nur ein "Studienobjekt" in Auftrag, erwartet aber eigentlich weit mehr von den Stuttgartern. Sie sollen endlich den Käfer-Nachfolger realisieren. Am 13. Oktober 1953 ist es so weit: Der VW-Generaldirektor und sein Tross reisen ins Schwabenland, um das "Studienobjekt" mit der Entwicklungsnummer 534 zu begutachten. Was sie zu sehen bekommen, ist ein fast komplettes Auto, das formal dem damaligen Porsche 356 ähnelt, aber weitaus einfacher ausgestattet ist. Im Heck arbeitet ein 26,5 PS starker Ein-Liter-Motor, den Porsche mit neu entwickeltem Vierganggetriebe und Lenkradschaltung kombiniert.

Es wäre die Chance für VW gewesen, einen technischen und stilistischen Neuanfang zu machen und mit neuen Ideen in die Zukunft zu starten, doch Heinrich Nordhoff zögert; er ist von dem Porsche-Entwurf nicht überzeugt. Der Prototyp könne gleich in Stuttgart bleiben und verschrottet werden, gibt er den Porsche-Leuten zu verstehen und zeigt zu deren Entsetzen auch an einem anderen Entwurf wenig Interesse, den man eigens für Nordhoffs Besuch in Stuttgart fertiggestellt hatte: den Typ 555. Es ist quasi der größere Bruder des 534, unterscheidet sich durch längeren Radstand und mehr Platz im Innenraum. Ansonsten bietet er aber die gleiche selbsttragende Konstruktion, ein ähnliches Design und den gleichen Antrieb wie der Prototyp 534. Porsche präsentiert den Typ 555 sogar in zwei Karosserieversionen, doch weder das Fließheckmodell noch die Variante mit Kofferraumdeckel erhalten Nordhoffs Plazet.

Der Käfer ist zu erfolgreich

Letzter VW-Käfer läuft 1974 im Volkswagen-Stammwerk vom Band

1. Juli 1974: In Wolfsburg fährt der letzte Käfer aus dem Werk. Fast zwölf Millionen Exemplare produzierte VW bis dahin, obwohl viel weniger geplant waren.

(Foto: dpa)

So geht es weiter. "EA 47" lautet 1954 die neue Geheimformel, die Volkswagens Weg in die Zukunft beschreibt und von dem sich Nordhoff die Erfüllung seiner Autoträume erhofft: "Mehr Eleganz und mehr Sex-Appeal." Entwicklungsauftrag 47 ist ein Projekt der italienischen Firma Ghia, deren Chefdesigner Luigi Segre Nordhoff kurz zuvor kennengelernt hatte. Segres Entwurf trifft auf Zustimmung. Insgesamt 15 Prototypen des EA 47 werden auf die Räder gestellt und nehmen im Laufe der Zeit immer konkretere Gestalt an. Damit stehen alle Weichen in Richtung Serienstart. Man spricht mit Lieferanten, plant bereits die neuen Werksanlagen und schickt im Frühjahr 1955 die ersten Versuchswagen auf Testfahrt.

Nordhoff könnte zufrieden sein - das Ende der Käfer-Ära ist in Sicht. Nur: Das Auto, das der VW-Boss insgeheim so schnell wie möglich loswerden will, hatte sich inzwischen zum Verkaufsschlager gemausert. Und zum Symbol des deutschen Wirtschaftswunders: Täglich rollen 1200 Käfer aus der Wolfsburger Fabrik. Mehr als 40 Prozent aller in Deutschland neu zugelassenen Personenwagen tragen das VW-Emblem und auch im Ausland boomt das Geschäft der Wolfsburger.

EA 47 gerät ins Abseits

Dieser Erfolg bringt Nordhoff offenbar in einen Gewissenskonflikt. Einerseits will er unbedingt einen neuen Typ herausbringen, doch andererseits läuft der Käfer weiterhin so gut, dass überhaupt kein Grund für einen Modellwechsel besteht. "Solange man ein Modell so gut absetzen kann wie unseres, ist es klüger und wirtschaftlicher, dieses Modell weiterzuentwickeln", wird der VW-Chef im August 1955 im Nachrichtenmagazin Der Spiegel zitiert.

Und tatsächlich: Der Hoffnungsträger EA 47 gerät plötzlich ins Abseits. Nordhoff verschiebt den Serienstart des geplanten Käfer-Nachfolgers von Herbst 1956 auf Ende 1957 und erklärt das neue Modell einige Zeit später sogar für "entbehrlich". Die Bilanz: Fast drei Jahre Design- und Entwicklungsarbeit waren vergebens; erneut werden Prototypen verschrottet, Lieferantenaufträge müssen storniert werden und sämtliche Konstruktionspläne landen im Archiv.

Porsche als wichtigster Entwicklungspartner

VW Prototyp EA 48 von 1955

VW-Prototyp von 1955: Der EA (Entwicklungsauftrag) 48.

(Foto: Volkswagen AG)

Doch die neu entdeckte Liebe zum Käfer währt nicht lange. Nordhoff weiß, wie problematisch und risikoreich es ist, auf Dauer nur ein Modell zu produzieren, zumal dessen Technik hoffnungslos veraltet ist. Deshalb werden neue Entwicklungsaufträge erteilt und Prototypen auf Testfahrt geschickt.

Porsche avanciert zum wichtigsten Entwicklungspartner, während die VW- Ingenieure bei der künftigen Modellplanung oft nur eine Außenseiterrolle spielen dürfen. So entstehen ab 1955 nicht nur Dutzende neuer Modelle, Nordhoff lässt auch einen Mini-Van mit sechs Sitzplätzen, einen Kleinwagen, eine Sechszylinder-Limousine und einen großen Kombi entwickeln. Nur: Keines dieser Autos geht in Serie. Immer wieder verlässt Nordhoff quasi auf der Zielgeraden der Mut, etwas Neues zu verwirklichen. Volkswagen wird zum "Käfer-Unternehmen".

Die Unentschlossenheit des Firmenchefs und die chaotische Modellplanung verschlingen Millionen. Das zeigt allein das Beispiel des Entwicklungsauftrags EA 97/1, der 1958 gestartet wird. Im Herbst 1965, so der Plan, soll dieses Auto den Käfer ersetzen. Der Zweitürer nimmt konkrete Gestalt an, sodass auch die Presswerkzeuge, automatische Förderanlagen und andere Produktionsmaschinen gekauft werden. Eine "Nullserie" wird gestartet und schon bald produziert man Dutzende Autos im Probebetrieb. Doch dabei bleibt es. Plötzlich heißt es aus der Vorstandsetage, das Auto sei nicht ausgereift, koste zu viel und bringe für das Unternehmen zu wenig Gewinn. Die Folge: Sechs Monate vor der geplanten Marktpremiere lässt Nordhoff das Projekt stoppen. Mehr als 110 Millionen Mark müssen als Fehlinvestition abgeschrieben werden.

Ruhestätte für gescheiterte Typen

Jetzt schreibt man bereits das Jahr 1965. Mehr als 15 Jahre lang hatte man diskutiert und experimentiert, um einen Nachfolger für den Käfer zu finden und neue Modelle auf den Markt zu bringen. Alles vergebens. Als Heinrich Nordhoff im April 1968 stirbt, zählt man mehr als 70 verschiedene Prototypen, die unter seiner Regie entstanden waren - Autos ohne Zukunft, deren Entwicklung einen Milliardenbetrag gekostet hat.

Viel ist davon nicht erhalten geblieben. Gut die Hälfte seiner Geheimprojekte ließ der VW-Chef ("Was soll man so etwas aufheben") verschrotten, andere Modelle wurden in Wellblechbaracken am Rande des Werks geschoben, die VW-Mitarbeiter noch heute ehrfurchtsvoll "das Mausoleum" nennen. Es war und ist die gut verschlossene Ruhestätte für gescheiterte Typen - für Autos ohne Zukunft.

Erst seit kurzer Zeit kümmern sich Historiker der Wolfsburger Stiftung AutoMuseum Volkswagen darum, die noch erhaltenen Prototypen vom "Mausoleum" ins Museum zu holen. Damit zeigen sie, dass VW schon in den 1950er- und 1960er-Jahren mehr war als nur das "Käfer-Unternehmen" - zumindest hinter den Werkstoren.

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